In einer Märznacht überpinselten Unbekannte die Mohren-Apotheke im niedersächsischen Wolfsburg. Über das O in der Außenwerbung malten sie zwei Punkte. Möhren statt Mohren. Mit einer roten Möhre verdeckten sie den Kopf des schwarzen Menschen, der dort abgebildet war. Kein lustiger Graffiti-Gag.
Der Staatsschutz begann Ermittlungen, weil die Täter in einem Bekennerschreiben einen schweren politischen Vorwurf erhoben. Eine Apotheke nach Mohren zu benennen, sei Rassismus. In den deutschsprachigen Ländern, neben Deutschland vor allem in der Schweiz, tobt seit längerem die gesellschaftliche Auseinandersetzung um ein Wort und um die Antwort auf die Frage: Ist es eigentlich rassistisch, „Mohr“ zu sagen?
Folgen sind schon spürbar. Das Drei-Mohren-Hotel, ein Fünf-Sterne-Haus in Augsburg, heißt seit 2020 „Maximilians“. Die U-Bahn-Station Mohrenstraße in Berlin-Mitte, die in verschiedenen Phasen der deutschen Geschichte schon Kaiserstraße, Thälmannplatz und Otto-Grotewohl-Straße hieß, könnte in den Pendlerkreisen der Hauptstadt bald unter Anton-Wilhelm-Amo-Straße bekannt werden.
Auch erste der etwa 90 deutschen Mohren-Apotheken haben ihren Namen gestrichen und sich anders getauft. Andrew Onuegbu, engagierter Gastronom und Koch mit schwarzer Hautfarbe und 1972 im nigerianischen Biafra geboren, bleibt dagegen standfest. Kämpferisch entschied er: Sein Kieler Restaurant „Zum Mohrenkopf“ wird auch künftig so heißen.
Rassismus? „Völliger Quatsch!“
Rassistisch? „Völliger Quatsch“, findet es Onuegbo, das zu denken. Er hat zwar wenig Zeit so kurz vor Weihnachten und mit ausgebuchten Reservierungen an den Abenden. Aber er hat schon überall seine Meinung dazu gesagt. In vielen Medien. Sogar in Australien. Im Fernsehen. Im Restaurant im Gespräch mit den Gästen. „Ich bin Mohr und stolz darauf“, hat er da gesagt. Mohr, das sei sein Markenzeichen „und überhaupt nicht beleidigend. Im Gegenteil“.
Auf seiner Website wirbt er mit Speisen der traditionellen deutschen Küche („Schnitzel und Rollmops“) und gezielt für den Namen: „Der Mohrenkopf wies im Mittelalter diejenigen Häuser aus, die als Fürstenherberge dienten“. Auch: „Der Mohrenkopf war im Mittelalter eine Auszeichnung für gutes Essen“, sein Abbild an den Türen geradezu eine Einladung.
Aktivisten fordern Rauswurf dieser Begriffe
Es geht also ums M-Wort, um verwandte Begriffe wie „M-Kopf“ und neuerdings auch um den Weihnachtsmarkt-Drink „Lumumba“ und um den Rauswurf all dieser Begriffe aus dem deutschen Alltags-Wortschatz.
So fordern es zumindest Aktivisten wie das Kasseler Ehepaar Ruth und Thomas Hunstock („...muss aus dem Namen aller Apotheken verschwinden“), Bürgerinitiativen wie in Coburg und Stuttgart und nicht wenige Wissenschaftler in zahlreichen Petitionen. Sie sprechen von einer „diskriminierungssensiblen Sprache“, die notwendig sei und vom Kampf gegen „rassistische Fremdbezeichnungen“, wie eben Mohr. Ein ernst zu nehmendes zentrales Argument: Die, die so genannt werden, haben sich selbst nie so genannt.
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Der jüngste Kulturkampf begann in Amerika. 2020 hat der Afroamerikaner George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota sein Leben lassen müssen. Der Tod fachte die weltweite Bewegung „black lives matter“ an.
In Deutschland explodierte die Zahl der lokalen Forderungen nach Ächtung und Verboten von „M“ geradezu – wie im Stuttgarter Vorort Möhringen, wo mehr als 5000 Menschen die Entfernung einer Mohrengesichts-Darstellung aus dem örtlichen Wappen verlangten. „Die Bezeichnung ‚Mohr‘ und die groteske Skizzierung des ‚Mohrenkopfes‘ (oftmals als Diener abgebildet) stammt aus der deutschen Kolonialzeit und hat eine klare rassistische Konnotation“, schrieben die Initiatoren in der Erklärung dazu.
Die Begründung zeigt: Um die Auseinandersetzung zu verstehen, ist ein Griff weit in die Geschichte nötig. Wie kam es zum Begriff „Mohr“ für Speiselokale, Apotheken, Straßennamen und -plätze und wie zum Abbild des schwarzen Männerkopfes auf nicht wenigen Wappen im deutschsprachigen Raum?
Wurden solche Begriffe gezielt gewählt, um andersfarbige Menschen zu beleidigen oder zu diskriminieren? Es schwingt mit: Soll man sie verbieten?

Tatsächlich sind Begriff und seine Entstehung weit älter als die kurzlebige deutsche Kolonialzeit des 19. Jahrhunderts. Rückblenden ins Mittelalter und Altertum belegen: Schon für Lateiner waren schwarze, dunkle oder überhaupt afrikanisch aussehende Menschen „maurus“ gewesen, wobei der Ursprung etwas unklar ist. Die Verwandlung ins althochdeutsche „Mor“ und eine schnelle Verbreitung des Begriffs in Europa kam mit Ereignissen Ende des ersten Jahrtausends nach Christi Geburt in Fahrt.
„Mohr“: Historische Bedeutung ist nicht geklärt
711 landeten muslimische Berber in Südspanien, das bis dahin von Westgoten bewohnt und beherrscht war. Binnen weniger Jahre unterwarfen die Eindringlinge die ganze Iberische Halbinsel. Verbündete aus Nordafrika unterstützten sie.
Nach geraumer Zeit setzte die Rückeroberung durch christliche Heere ein, das war die brutal durchgeführte „Reconquista“. Sie nahmen 1086 die Königsstadt Toledo. Europäische Herrscherhäuser zogen immer öfter in den „Heiligen Krieg“, um den Rest Iberiens zurückzuholen. Maurische Minarette wurden in christliche Glockentürme rückverwandelt. 1491 kapitulierte der letzte muslimische Herrscher Boabdil in Granada.
„Mohr“ stand in den Sprachen der christlichen Länder fortan für Nordafrikaner und später Afrikaner allgemein. Ob damit Menschen mit brauner, dunkler oder schwarzer Hautfarbe gemeint waren oder nur oder überhaupt mit einer negativen Betonung, ist unsicher. Zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert kam es zur ersten Verwendung in Familiennamen. Dann setzte eine entscheidende Entwicklung ein: „Mohr“-Bezeichnungen speziell für Händler von Heilmitteln und von Speisen und Getränken verbreiteten sich rasant.

Das passierte durchaus mit anerkennender, teils verehrender Bewertung, wie heute die Linie der Verteidiger vorbringt. „Mit unserem Namen soll niemand diffamiert werden“, sagen die Eigentümer der Mohren-Apotheke im sächsischen Großenhain, „die Ursprünge dieses Namens gehen vielmehr auf eine Wertschätzung der Heilkunst der ‚Mohren‘ oder auch ‚Mauren‘ zurück.
Wo in Europa im Mittelalter noch auf die Heilkraft von Heiligenbildchen und Beten gesetzt wurde, da hat man im Orient schon den Grauen Star gestochen, Krankenhäuser errichtet und Hygienevorschriften für Ärzte durchgesetzt“. Der Mohr sei „Vorreiter, Heiler, Experte, Vertrauensperson“.
Die Spur, die die Großenhainer hier legen, ist spannend. Tatsächlich war die islamische Welt dem christlich geprägten Europa im Mittelalter überlegen, was weite Bereiche der Medizin und parallel der Pharma-Wissenschaften angeht. Erste Krankenhäuser entstanden in Persien und der Türkei, erste Ärzteschulen am südlichen Mittelmeer.
Bald schlossen sich Krankenhäuser und Schulen zu medizinischen Bildungsstätten zusammen. Als der Kalif Al Muktadir um 900 von einem Kranken erfuhr, der einen ärztlichen Kunstfehler nicht überlebt hatte, entschied er: Niemand dürfe Kranke behandeln, wenn er nicht vorher eine einschlägige Prüfung bestanden hatte. Und etwa zur selben Zeit schrieb der Gelehrte Sabur das erste Lehrbuch der Pharmakologie auf und es entstanden in Bagdad die ersten privat betriebenen Apotheken.
Mohr: Viele Fragen bleiben offen
Die Heilkunst aus dem Orient wurde nach Westen exportiert. Quacksalber und Kurpfuscher? Wohl kein Zufall, dass diese Benennung ihren Ursprung im Mitteleuropa des 16. Jahrhunderts hat. Die Mohren oder die, die irrtümlicherweise so genannt wurden, waren eben verdammt gute Lebensretter und kamen aus dem Süden und dem Südosten.
Dennoch, im zweiten Teil des Geschichtsrückblicks, der mit der Sklaverei durch Europäer im 15. Jahrhundert beginnt, bleiben Fragen danach offen, wie diskriminierend heute Mohrenabbildungen und Mohrennennung sein können. Schon um 1440 verschleppten Menschenhändler auf portugiesischen Schiffen Afrikaner nach Portugal und später bis zu zehn Millionen von ihnen in Richtung Amerika.

In der Neuen Welt wurden schwarze Sklaven gewinnbringend verkauft und waren nicht selten Misshandlungen und Mord ausgesetzt. Die Sklaverei, schon im Altertum und später von Türken in der Ukraine und Arabern in Afrika betrieben, wurde zum Menschheitsverbrechen.
Die Kölner Afrikanistin Marianne Bechhaus-Gerbst hat Sprachverhalten untersucht und glaubt, dass „spätestens ab der Zeit des transatlantischen Sklavenhandels die nahezu ausschließliche Konnotation des M-Wortes immer deutlicher“ mit Sünde, Lasterhaftigkeit und Bedrohlichkeit in Verbindung gebracht wurde – zumal nicht wenige Weiße bald Mohren mit „primitiven Negern“ in gleichem Atemzug nannten. Kindersprüche wie „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ oder „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ folgten. Wer das Wort Mohr verbannen will, der hat wahrscheinlich genau dieses Sprachszenario im Kopf.
Sarotti-Mohr verschwindet aus dem Sortiment
Der Druck steigt, die Kritiker gewinnen an Boden. Tübigens Ex-Grüner und Bürgermeister Boris Palmer empfiehlt zwar immer noch Gelassenheit und verteidigt das lokale „Mohrenköpfle“: „Rassismus sollte man da bekämpfen, wo er wirklich ist“.
Aber auch wenn der „Sarotti-Mohr“ über Jahrzehnte die beliebteste Werbefigur im deutschen Fernsehen war: Der große Schweizer Schokoladenhersteller reduzierte schon vor Jahren die Größe des Aufdrucks „Sarotti-Mohr“ auf seine süßen Produkte, um ihn schließlich ganz zu stoppen. Aus dem Mohr wurde ein Magier, und er hat jetzt ein helles Gesicht.
Umbenennungen kosten Apotheken rund 10.000 Euro
Zug um Zug wechseln Apotheken den Namen, auch wenn ihnen dieser Wechsel nach Berechnungen runde 10.000 Euro kosten kann inklusive Neudruck der Briefköpfe und Umschreibung in den Handelsregistern. Auch Verkehrsadern heißen im Zuge von Dekolonialisierungs-Kampagnen anschließend meist anders. Nur nicht mehr Mohrenstraße.
Die Debatte bleibt verzwickt. Manche Betroffenen lässt sie verzweifeln. So stellt der Mohr im Wappen des bayerischen Coburg den Schutzpatron dar, den Heiligen Mauritius. Der Afrikaner war in dieser Region Chef der Thebäischen Legion der Römer. Er wurde im Herbst 285 nach Christus wegen einer Meuterei hingerichtet. Seit 1500 wacht er als Wappenfigur über den Landstrich.
Dass er dort verschwinden musste, war zuletzt 1934 angeordnet worden. Es waren die gerade an die Macht gekommenen rassistischen Nazi-Machthaber, die das so wollten.