
AIW-Geschäftsführer Andreas Brill © Sven Kauffelt
AIW-Geschäftsführer Andreas Brill setzt auf die Energiepreisbremse
Interview
Wirtschaftsverbände wie die Aktiven Unternehmen im Westmünsterland (AIW) haben zuletzt Alarm geschlagen und vor einer Pleitewelle im Mittelstand angesichts der hohen Energiepreise gewarnt. Sven Kauffelt hat mit AIW-Geschäftsführer Andreas Brill über die Sorgen der Betriebe und Forderungen an die Politik gesprochen.
Über die Explosion der Energiepreise und den Sorgen der Unternehmer hat Sven Kauffelt mit dem AIW-Geschäftsführer Andreas Brill gesprochen.
Herr Brill, gibt es eigentlich noch Unternehmen, die nicht über zu hohe Energiepreise klagen?
Ja, durchaus, denn das Thema trifft nicht alle Unternehmen gleichermaßen. Wir haben unsere Mitglieder befragt und man kann sagen, dass etwa die Hälfte der Unternehmen keine oder wenige Probleme durch die Energiekosten haben. Das liegt zum Teil an länger laufenden Verträgen oder auch an eigener Energie-Erzeugung.
Und wie sieht es bei der anderen Hälfte aus?
Da ist die Lage dramatisch. Stand jetzt sieht es so aus, dass wir bei denjenigen, deren Stromverträge zum Jahresende auslaufen, von Preissteigerungen um das Zwei-, Drei- oder sogar Vierfache sprechen. Einige Beispiele von Mitgliedsunternehmen: Ein produzierender Betrieb hat aktuell jährliche Stromkosten von 475.000 Euro, die im kommenden Jahr auf 1,85 Millionen Euro steigen sollen. Ein anderer Industriebetrieb soll statt 1,5 Millionen Euro 8,5 Millionen Euro zahlen. Das ist nicht aufzufangen, so groß sind Gewinnspannen beim besten Willen nicht.
Was heißt das für die Unternehmen?
Sie können nicht kostendeckend produzieren und haben zwei Möglichkeiten: Ich versuche, meine Produktion zu reduzieren und schicke meine Mitarbeiter in Kurzarbeit. Oder ich muss Insolvenz anmelden. Letzteres droht bei der jetzigen Preisgestaltungen bei durchaus zehn Prozent des Mittelstandes.
Nun hat die Bundesregierung einen Preisdeckel für Energiekosten angekündigt. Hilft der?
Leider haben wir über die Ausgestaltung noch keine genauen Informationen. Aber ich hoffe, dass er die extremen Steigerungen in den Energiepreisen auf ein für Unternehmen tragfähiges Niveau reduziert. Ja, dann hilft er sehr.
Was muss Politik tun, um das Problem dauerhaft zu lösen?
Aktuell funktioniert der Strommarkt nach dem sogenannten Merit-Order-Prinzip. Das heißt: Das teuerste Kraftwerk bestimmt den Preis. Das sind im Moment die Gaskraftwerke. Dieser Preis gilt dann aber auch für alle anderen Erzeuger wie Kohle, Atomkraft, regenerative Energie. Das bedeutet, dass die Betreiber dieser Anlagen Strom zwar viel billiger produzieren, extrem hohe Gewinne einfahren können. Denn der Preis richtet sich ja nach dem Gaskraftwerk, das seinen Rohstoff extrem teuer einkauft. Da muss unserer Meinung nach Politik eingreifen und eine Lösung finden. Und wir müssen zu schnelleren, unbürokratischen Genehmigungsverfahren für regenerative Energien kommen, um den Ausbau voranzutreiben.
Für diese Fälle wurde über die Übergewinnsteuer diskutiert.
Ja, aber diesen Umweg und bürokratischen Aufwand kann man sich ja sparen, wenn man bei der Preisgestaltung ansetzt. Es wäre ja schon viel gewonnen, wenn nicht das teuerste Kraftwerk den Preis macht, sondern ein Durchschnittspreis der Erzeugungsarten zugrunde gelegt würde.
Brauchen Unternehmen über einen Preisdeckel hinaus staatliche Hilfen?
Das hängt von der Gestaltung dieses Preisdeckels ab. Wenn er dazu führt, dass die Preise beherrschbar bleiben, dann nicht. Eine vernünftige Preiserhöhung bei Gas und Strom wäre für die meisten Unternehmen verkraftbar – wobei das, wie gesagt, vom Umfang des Eingriffs abhängt. Wichtig wäre eine gewisse Verlässlichkeit. Es bringt niemanden weiter, wenn die Preise für zwei, drei Monate sinken und dann wieder in die Höhe schnellen.
Was muss aus Ihrer Sicht das Ziel sein?
Das Wichtigste ist, eine Insolvenzwelle zu verhindern und unsere heimischen Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten. Wir dürfen nicht vergessen: Der asiatische Markt hat kein Energiepreisproblem. Wenn unsere Unternehmen hier durch diese Kosten ins Hintertreffen geraten, holen sie das nie wieder auf.
Muss sich die Wirtschaft in dieser Krise nicht auch fragen, ob sie zu wenig vorgesorgt hat für solche Situationen?
Nein, aus meiner Sicht nicht. Wir haben alle nicht damit gerechnet, dass wir in diese Energiefalle laufen. Gleichwohl sind die Unternehmen gerade bei uns schon in ganz hohem Maße dabei, auf regenerative Energien umzustellen und vor allem in eigene Energieerzeugung zu investieren – sei es durch Fotovoltaikanlagen, Kraft-Wärme-Pumpen und ähnliches.
Die Bereitschaft, in eigene Stromerzeugung zu investieren, dürfte exponenziell gestiegen sein.
Klar. Das Problem sind nur die Lieferbarkeit von Komponenten und fehlende Kapazitäten bei Fachbetrieben. Jeder Unternehmer hätte wahrscheinlich lieber heute als morgen die PV-Anlage auf dem Hallendach.