Dieses Bild aus dem Jahr 1997 zeigt die Rückenflächen der Hände eines Affenpocken-Patienten.

Dieses Bild aus dem Jahr 1997 zeigt die Rückenflächen der Hände eines Affenpocken-Patienten. © picture alliance/dpa/CDC

Affenpocken-Ausbruch: Warum Stigmatisierung ein Problem für alle ist

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Der aktuelle Affenpocken-Ausbruch könnte homophobe und rassistische Vorurteile schüren. Wie kann Stigmatisierung verhindert werden, ohne gesundheitliche Aufklärung zu vernachlässigen?

von Philipp Scheithauer

26.05.2022, 05:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Immer mehr Affenpocken-Fälle werden dieser Tage europaweit bekannt. Die Übertragungen könnten sich im Sommer bei Massenveranstaltungen wie Festivals und Partys beschleunigen, vermuten Gesundheitsbehörden. Aktuell werde das Virus vor allem bei sexuell aktiven Menschen festgestellt, sagte zuletzt WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Kluge. Unter anderem ein Gay-Pride-Festival auf Gran Canaria gilt derzeit als ein möglicher Expositionsort.

Experten und Expertinnen warnen aber vor voreiligen Schlüssen. Auch wenn die weltweit erfassten Infektionen derzeit auch Männer betreffen, die Sex mit anderen Männern hatten: Eine Affenpocken-Übertragung sei generell bei engem Kontakt und über kontaminierte Materialien möglich. „Stigmatisierung bei Infektionskrankheiten sind nicht hilfreich“, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) der Virologe Stephan Becker von der Universität Marburg. „Das führt oft eher dazu, dass Menschen ihre Erkrankung verschweigen, statt offen damit umzugehen.“

Auch das Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids (Unaids) hat mit Besorgnis auf Berichte und Kommentare zu Affenpocken reagiert. „Stigmatisierung und Schuldzuweisungen untergraben das Vertrauen und die Fähigkeit, bei Ausbrüchen wie diesem effektiv zu reagieren“, heißt es in einer Pressemitteilung.

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Sündenbocksuche verhindert Kontaktnachverfolgung

Es wäre nicht das erste Mal, dass bei einer neu auftretenden Infektionskrankheit bestimmte Gruppen zu Unrecht für Ausbrüche verantwortlich gemacht werden – und dadurch auch gesundheitliche Aufklärung sowie das Aufspüren von Infektionen zur Kontaktnachverfolgung erschwert.

So warnt der US-amerikanische Epidemiologe Gregg Gonsalves davor, bestimmte Gruppen zum Sündenbock zu machen. „Wenn Sie möchten, dass Menschen Fälle von Affenpocken melden, müssen sie sich vor Repressalien sicher fühlen“, sagte der Professor von der Yale School of Public Health dem RND. Gonsalves arbeitet seit Jahrzehnten an der HIV-Forschung, betrachtet die Schnittmenge von öffentlicher Politik und gesundheitlicher Gerechtigkeit.

Bereits in der Vergangenheit seien Infektionskrankheiten ein Faktor gewesen, um einzelne Menschengruppen vorzuverurteilen. Gonsalves zählt auf: „Von der Sündenbockstellung der Juden im Mittelalter während der Beulenpest über die Sündenbockstellung schwuler Männer zu Beginn der Aids-Epidemie bis hin zum Angriff auf asiatische Amerikaner in den USA, als Trump Covid das ‚China‘-Virus nannte.“ Homophobe und rassistische Stereotypen würden somit verstärkt.

Affenpocken: „Keine Krankheit unter Schwulen“

Wie Stigmatisierung verhindert werden kann, ohne gesundheitliche Aufklärung zu vernachlässigen? „Sie müssen den Leuten sagen, dass Affenpocken keine Krankheit unter Schwulen ist, sondern durch engen Körperkontakt übertragen werden kann“, so Gonsalves. Erste Affenpockenfälle traten unter schwulen Männern auf. Aber im Allgemeinen gelte: Wenn enger körperlicher Kontakt mit einer infizierten Person besteht, könne das Virus verbreitet werden. Das müsse immer wieder wiederholt werden.

Lehren – sowohl aus der Aids-Epidemie als auch aus der Corona-Pandemie – könnten wertvolle Erkenntnisse für den Umgang mit den Affenpocken bieten. „Wir können von Aids und von Covid-19 lernen, dass Menschen unabhängig von der Biologie eines Virus die Schuldigen suchen“, so Gonsalves. Doch Schuldzuweisungen oder Berichte über das sogenannte „Schwulenvirus“, wie zu Beginn der Aids-Epidemie, erschweren nach Ansicht des US-Forschers die medizinische Versorgung. Erkrankte und Kontaktpersonen würden möglicherweise den Weg zum Arzt scheuen. Gonsalves: „Wir müssen den Menschen versichern, dass ihre Rechte geschützt werden, sie sich privat und vertraulich melden können und dass der Staat sie vor Belästigungen und Schikane schützen wird.“

Psychologe: „Jeglicher Alarmismus fehl am Platz“

Informieren ohne Klischees – darauf kommt es laut Biopsychologie-Professor Peter Walschburger von der Freien Universität Berlin an. „Bildung kann die Angst nehmen, mit der wir anderenfalls dazu tendieren, irrational zu werden“, sagte der Wissenschaftler dem RND. „Wir neigen dazu, aus Einzelfällen allgemeine Folgerungen zu einer ganzen Gruppe zu machen.“ Das sei jedoch falsch und bedürfe einer genaueren Analyse.

Ohnehin seien die Menschen derzeit infolge der Corona-Pandemie hochsensibilisiert, wenn es um Erkrankungen geht. Aus diesem Grund sei eine nüchterne Beschreibung von wissenschaftlichen Tatsachen wichtig. „Dabei ist jeglicher Alarmismus fehl am Platz“, sagt Walschburger. Man müsse Viren wie Corona von den Affenpocken unterscheiden können. Und Corona habe gezeigt, wie wichtig der Zugang zu Hintergrundinformationen ist, um zur Beruhigung beizutragen. Walschburger: „Wer sich nicht bildet, der kommt irgendwann bei Verschwörungsmythen an.“

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Was genau es mit den Affenpocken auf sich hat, bleibt abzuwarten. Auch wenn Gesundheitsbehörden weltweit alarmiert sind, weil der aktuelle Affenpocken-Ausbruch eine neue Qualität zu haben scheint: WHO und Robert Koch-Institut (RKI) schätzen die Gefahrensituation für die Gesamtbevölkerung bislang als gering ein. Eine weitere Pandemie stehe nach derzeitigen Erkenntnissen ebenfalls nicht bevor. Das Affenpocken-Virus rufe meist nur vergleichsweise milde Symptome wie Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen und Hautausschlag hervor. Schwere Verläufe seien nur im Einzelfall möglich.

Wie bemerkt man eine Affenpocken-Infektion?

Erste Symptome der Krankheit sind Fieber, Kopf-, Muskel- und Rückenschmerzen und geschwollene Lymphknoten. Einige Tage nach dem Auftreten von Fieber entwickeln sich Hautveränderungen, welche simultan die Stadien vom Fleck bis zur Pustel (Macula, Papula, Vesikula und Pustula) durchlaufen und letztlich verkrusten und abfallen. Der Ausschlag konzentriert sich in der Regel auf Gesicht, Handflächen und Fußsohlen. Die Haut- und Schleimhautveränderungen können auch auf dem Mund, den Genitalien und den Augen gefunden werden. Im Zweifel sollte man den Hausarzt oder die Hausärztin telefonisch kontaktieren.

RND

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