Paarlauf von AfD und Wagenknecht-Bündnis Radikale fischen im Kreis Unna in denselben Gewässern

AfD und Wagenknecht-Bündnis fischten in denselben Gewässern
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Wie war es der AfD möglich, im Kreis Unna bei der Europawahl am vergangenen Sonntag mehr als 15 Prozent der Stimmen zu holen und damit klar drittstärkste Kraft zu werden?

Eine Analyse von drei Städten im Süden des Kreises ergibt starke Anhaltspunkte dafür, dass kleinere und damit engere Sozialgemeinschaften, konfessionelle Bindungen und besser situierte Verhältnisse stärker als anonyme Wohnsiedlungen und sozial schwächere Haushalte vor radikalen Appellen schützen. Übrigens – auf niedrigerem Niveau – ebenso vor jenen des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).

Eine Entfremdung und Enttäuschung ganz besonders von den Ampelparteien SPD, FDP und Grünen, das Nachlassen tieferer Überzeugungen und ein zunehmendes Wählen nach Augenblicksgefühlslagen und in Proteststimmung haben es der AfD auch im Kreis Unna besonders leicht gemacht.

Sozialstrukturen in Unna, Schwerte, Fröndenberg

Die Zeiten der Milieuparteien sind lange vergangen: Arbeiter wählen nicht mehr ausschließlich Rote und Linksaußen, Katholiken bevorzugen nicht mehr die CDU oder davor das Zentrum, Landwirte kennen außer Schwarz heutzutage auch Grün.

Auch im Kreis Unna hat die AfD daher sicherlich wie bundesweit von den im Vergleich zu früheren Jahrzehnten viel schwächeren Bindungen der Wählerinnen und Wähler an „ihre“ Partei profitiert.

Ein zerstörtes Wahlplakat mit einem Foto der BSW-Vorsitzenden Wagenknecht, aufgenommen am Tag nach der Europawahl.
Ein zerstörtes Wahlplakat mit einem Foto der BSW-Vorsitzenden Wagenknecht, aufgenommen am Tag nach der Europawahl. © dpa

Aber warum unterscheiden sich die Europawahl-Ergebnisse der rechtsradikalen Partei wie auch des in vielen Sachfragen radikal auftretenden BSW in einzelnen Stadtteilen derselben Kommune teilweise so deutlich, schwanken bei der AfD sogar mitunter zwischen 3 und 30 Prozent? Das ist auf den ersten Blick umso erstaunlicher, als wir es mit Kleinstädten zu tun haben, die im Vergleich zu Metropolen vergleichsweise immer noch viele homogenere Sozialstrukturen aufweisen.

Ein Blick nach Unna, Schwerte und Fröndenberg gibt Anhaltspunkte dafür, welche Umstände womöglich die AfD hier stärker und dort schwächer abschneiden lassen und zeigen dabei auch historische Parallelen auf.

Thema der Ein-Thema-Partei AfD verfängt

Die AfD war im Europawahlkampf auch bei uns zwischen Lippe und Ruhr die Ein-Thema-Partei: Kaum etwas anderes als „Deutschland zuerst!“ und „Migration stoppen!“ plakatierte die selbst ernannte Alternativpartei – ohne jeden realistischen Lösungsansatz zu bieten.

Der konstruierte Kausalzusammenhang zwischen der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern und einer nicht auskömmlichen finanziellen Situation des einzelnen deutschen (!) Bürgers musste besonders dort verfangen, wo eine eher sozial schwache Wählerschaft zu vermuten war.

In Unna-Massen und in Unna-Königsborn holte die AfD stadtteilweit mit 20,25 bzw. 20,31 Prozent ihre mit Abstand stärksten Einzelergebnisse; in der Stadt Unna kam die Partei insgesamt auf 12,95 Prozent.

Im Wahllokal Hochschulcampus holte die AfD mit 27,7 Prozent gar ihr zweitbestes Einzelergebnis in Unna – und damit vis-à-vis der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Massen. Mit 28,3 Prozent erreichte die AfD in einer Hochhaussiedlung in Königsborn ihren Rekordwert.

Die von der AfD beförderte Neiddebatte und die Identifizierung von Asylbewerbern als jener Gruppe, der anstrengungslos vermeintlich das Geld nachgeworfen wird, das an anderer Stelle fehlt, fiel damit in zwei Unnaer Stadtteilen mit einem relativ hohen Anteil einkommensmäßig schwächer gestellter Menschen auf fruchtbaren Boden.

Immunität gegen vereinfachende Parolen

Ähnlich fällt der Befund für einen Wahlbezirk mit einem starken Anteil der unteren Mittelschicht in Schwerte aus, in dem der stadtweite Spitzenwert von 25,9 Prozent für die AfD doppelt so groß ausfällt wie das Gesamtergebnis von 12,15 Prozent in der Ruhrstadt – das niedrigste wiederum in allen zehn kreisangehörigen Kommunen.

Mit Schwerte-Ost hat die AfD zudem ausgerechnet jenen Ortsteil deutlich für sich gewinnen können, der als Eisenbahnarbeiterbezirk jahrzehntelang fest in der Hand der Sozialdemokraten gelegen hat, die hier Ergebnisse um 60 Prozent einfuhren. Das BSW erzielte mit 7,1 Prozent hier eines seiner stärksten Resultate in ganz Schwerte.

Auf einem Hinweisschild für Hundebesitzer auf dem Friedhof klebt ein regenbogenfarbener thematisch unpassender Aufkleber der Partei "Die Partei". Mit dem Slogan "Fickt euch doch alle!" richtet sich der Aufkleber ironisch an die queere Community.
Fragwürdige Parolen gibt es auch bei anderen Parteien – immerhin kommen sie nicht nationalistisch oder menschenverachtend daher. © Marcus Land

In Fröndenberg wiederum ist der soziale Faktor um einen anderen zu ergänzen: Mit Prozentzahlen zwischen 22,6 und 25,6 holte die AfD auch dort in eher von einer sozial schwächeren Wählerschaft geprägten Bezirken ihre besten Ergebnisse.

Nach einer Debatte über den geplanten Bau von Flüchtlingscontainern schnellten aber auch im betroffenen, eher bürgerlich geprägten Stadtteil Strickherdicke und im benachbarten Langschede mit rund 18 bzw. rund 19 Prozent die AfD-Säulen deutlich nach oben – bei einem stadtweiten Ergebnis von 12,88 Prozent.

Schließlich belegen stark unterdurchschnittliche Einzelergebnisse in den drei Städten ebenfalls, wie dörflicher oder konfessioneller Zusammenhalt bzw. höhere Stufen in der sozialen Hierarchie stärker gegen vereinfachende Parolen immun machen.

Kleines Gemeinwesen als Brandmauer vor Radikalen

So musste die AfD im Schwerter Stadtteil Villigst, einer gehobenen Wohngegend, ihr schlechtestes Resultat von rund 8,3 Prozent in einem der dortigen Wahllokale zur Kenntnis nehmen. Ihr zweitschlechtestes Ergebnis von 9,5 Prozent in einem eher gut situierten Innenstadtbezirk untermauert diesen Befund. Ähnlich erging es dem BSW, das in einem Villigster Wahlbezirk auf gerade 2,5 Prozent kam.

Nicht weniger aussagekräftig sind die weit unterdurchschnittlichen Ergebnisse der AfD in den sehr kleinen Fröndenberger Ortsteilen Bausenhagen und Bentrop von nur 4,4 bzw. 7,4 Prozent. Dörfliche Strukturen und die noch relativ stark ausgeprägte kirchlich-katholische Bindung dürften für die Rechtsradikalen schwer zu durchbrechen gewesen zu sein. Das radikale BSW kam mit 1,9 bzw. 3,7 Prozent in diesen beiden Dörfern auf zwei seiner schwächsten Fröndenberger Ergebnisse.

Ähnliches dürfte für den evangelisch geprägten Stadtteil Frömern mit einer ebenfalls starken Dorfgemeinschaft gelten, wo die AfD nur rund 7,2 Prozent der Stimmen holte (BSW: 2,8 Prozent). In diese Kategorie lassen sich ebenfalls die Unnaer Stadtteile Billmerich und Kessebüren mit schwachen AfD-Ergebnissen von 8,8 bzw. 7,7 Prozent einordnen.

Der Historiker Wolfgang J. Mommsen hat schon vor Jahrzehnten beschrieben, dass in der Weimarer Republik – neben der Arbeiterschaft – besonders stark die konfessionell gebundenen Volksteile – damals vor allem die katholischen – den Verheißungen der politischen Extremisten am rechten Rand widerstanden.

Insofern sind gewisse historische Parallelen zum Ergebnis für die AfD bei der Europawahl 2024 im Kreis Unna unverkennbar. Mommsen fasst die Zersplitterung und Radikalisierung der Parteienlandschaft und die finale Unregierbarkeit der ersten Demokratie auf deutschem Boden wie folgt zusammen: „Am Ende war die gesamte politische Mitte zertrümmert und das parlamentarische System vollends ausgehöhlt.“