
Was passiert gerade in unserem Land? Wiederholt sich Geschichte? Beim Blick auf das, was vor 100 Jahren begann und in der Apokalypse des Zweiten Weltkriegs endete, zeigen sich erschreckende Parallelen.
Im Februar 1920 wurde die NSDAP gegründet. Bei den Reichstagswahlen 1924 kam sie auf 6,55 Prozent. Richtig ernst genommen wurde sie nicht. 10 Jahre nach ihrer Gründung, 1930, erreichte sie 18,33 Prozent. Drei Jahre später rissen die Nazis die Macht an sich. Zwölf unvorstellbare Horror-Jahre nahmen ihren Lauf.
Im Februar 2013 wurde die AfD gegründet. Zehn Jahre später liegt sie aktuell in Umfragen bundesweit bei rund 20 Prozent. Die Landtagsergebnisse in Hessen und in Bayern bestätigen diese Größenordnung. Fazit: Zehn Jahre nach ihrer Gründung ist die AfD heute so stark wie es die NSDAP zehn Jahre nach ihrer Gründung vor 100 Jahren war.
Diese Tatsache müsste auch die letzten Demokraten aus der resignierten Lethargie reißen, mit der viele den Aufstieg der AfD verfolgt haben. Es ist höchste Zeit, dass sie endlich aus ihrer Schockstarre erwachen und ernsthaft um unsere Demokratie und unser Land kämpfen.
Die Beruhigungspillen wirken nicht mehr
Die Beruhigungspillen, mit denen viele Zeitgenossen lange den AfD-Aufstieg als bedauerliches, aber rein ostdeutsches Intermezzo abgetan haben, wirken nicht mehr. Die AfD zieht auch im Westen jede Menge Anhänger an. Und allen, die die Zahlen aus Bayern und Hessen jetzt als „Denkzettel für die Ampel“ relativieren wollen, sei gesagt: Das ist keine gute Idee. Mit der AfD spielt man nicht, sie ist – um es mit Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang zu sagen – eine „Gefahr für die Demokratie“.
Dass die AfD in Teilen rechtsextrem ist, ist AfD-Wählern egal
Dass die AfD rechtsextremistisch ist, ist übrigens vielen ihrer Wähler gleichgültig, wie Zahlen von Infratest Dimap zur Wahl in Bayern zeigen. 85 Prozent der AfD-Wähler stimmten der Aussage zu: „Es ist mir egal, dass sie in Teilen als rechtsextrem gilt.“ Rechtsextrem, aber egal? Antisemitismus, Ausländerhetze, Verschwörungstheorien, Halb- und Unwahrheiten, Verunglimpfung von Randgruppen – alles egal, Hauptsache Denkzettel für „die da oben“? Was wäre das für ein Land mit solchen Leitlinien? Zumindest keines, in dem ich leben möchte.
AfD-Wähler wissen meist nicht, was sie wirklich wählen
Zwei Lehren sollten Demokraten aus den Landtagswahlen vom Sonntag ziehen:
1. Ich bin überzeugt, dass viele AfD-Wähler nicht wirklich wissen, was sie da gewählt haben. Sie stimmen den Propaganda-Slogans der AfD (92 Prozent: „Zu viele fremde Menschen in Deutschland“; 91 Prozent: „Stark steigende Kriminalität“) zu, aber was die AfD sonst noch fordert? Egal? Mit Sicherheit ist das nicht egal, es geht um fundamental Wichtiges.
Zur Erinnerung einige Beispiele: Auflösung der EU oder Austritt Deutschlands. Abschaffung des Euro. Wiedereinführung flächendeckender Kontrollen an Deutschlands Außengrenzen, vollständige Schließung der EU-Außengrenzen; Annäherung an Russland inklusive dem Ende der Sanktionen; Wehrpflicht für Männer zwischen 18 und 25 Jahren; Erhöhung der Geburtenrate der „einheimischen Bevölkerung“ statt Zuwanderung; Abschaffung der Rundfunkgebühr und damit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks; Wiederinbetriebnahme alter und Bau neuer Kernkraftwerke; Aus für Förderung der Windenergie, keine Begrenzung von Mietpreiserhöhungen.
Dass Sie unter einer AfD-Regierung künftig für Ihren Urlaub in Holland oder Österreich wieder Geld umtauschen und Grenzkontrollen über sich ergehen lassen müssen, ist noch harmlos. Viel entscheidender wäre, dass die AfD-Positionen einem Austritt aus der Solidargemeinschaft des Westens gleichkommen. Die Folgen für unsere Wirtschaft, unseren Wohlstand, unsere Umwelt und unsere Sicherheit wären katastrophal.
Das müssten alle Menschen, denen unser demokratisches Land am Herzen liegt – egal, ob sie einer Partei angehören oder nicht – immer und überall laut, deutlich und aus Überzeugung klarstellen. Und es wäre gut und wichtig, dass die demokratischen Parteien diese Fakten den Menschen immer wieder unmissverständlich in Erinnerung rufen.
Die AfD zeichnet das Bild vom „Ampel-Chaos“ und wie das einzuordnen ist
2. Die demokratischen Parteien müssen aufhören, es der AfD so leicht zu machen wie zuletzt. Ihnen muss bewusst sein: Jede Diskussion in der Ampel diffamiert die AfD als Chaos. Oppositionsführer Friedrich Merz liefert zudem mit rechten Sprüchen der AfD reichlich Munition für deren Parole „Wählt lieber das Original als die schlechte Kopie.“
Nun ist das von der AfD gezeichnete Bild der „Chaos-Ampel“ natürlich in weiten Teilen unfair. Erst die Corona-Nachwehen, dann der Ukraine-Krieg samt Energiekrise und Inflation. Kaum eine Bundesregierung zuvor hatte in ihren ersten beiden Jahren jemals so viele Krisen zu bewältigen – und hat das, seien wir ehrlich, mit einigem Erfolg gemeistert. Das Gesundheitssystem ist ebenso wenig zusammengebrochen wie unser Stromnetz. Unsere Heizungen laufen, die Gasspeicher sind zum Bersten gefüllt, die Inflation geht zurück….
Und dennoch: Die AfD streut jedes Mal Salz in die Wunde, wenn SPD, Grüne und FDP über ein Thema streiten und eine Lösung suchen, mit der alle leben können. Nun gehören Diskussionen zu einer Demokratie wie das Blatt zum Baum. Sie sind unerlässlich und in einer Koalition unvermeidbar. Was die Menschen satt haben, sind nicht die Diskussionen an sich, wohl aber, dass selbst nach langem Streit gefundene Kompromisse gleich wieder in Frage gestellt werden. Jüngstes Beispiel: Die FDP verknüpft ihr Ja zur Kindergrundsicherung plötzlich mit neuen Forderungen.
Die Ampel muss der AfD die Deutungshoheit über zentrale Themen entreißen
Dieses Hickhack nervt. Und dass sich die FDP mit ihren ewigen Querschüssen – Kindergrundsicherung, Heizungsgesetz, Nein zum Aus für Verbrenner-Autos und verantwortlich für das einzige Ressort, das die Klimaziele nicht einhält – keinen Gefallen tut, sollte sie spätestens aus den Wahldebakeln in Hessen und Bayern lernen.
Und dann muss es jetzt erste Aufgabe der Ampel sein, der AfD die vermeintliche Deutungshoheit über Themen wie Zuwanderung und Kriminalität durch gute Sachentscheidungen zu entreißen. Zugleich sollte die CDU/ CSU aufhören, rechte Parolen nachzuplappern. Das alles, damit sich Geschichte nicht wiederholt.
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