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Absurd hoch zehn: Schwarzfahrer, Hempels Sofa und Wiener Schnitzel unter Rassismusverdacht
Meinung
Auf der Suche nach verstecktem Rassismus sind Menschen in München und Berlin fündig geworden. Sie wollen nie wieder „Schwarzfahrer“ sagen. Unser Autor hält das für ausgemachten Blödsinn.
Ich weiß nicht, was die Entscheidungsträger bei den Verkehrsbetrieben in Berlin und München genommen haben, aber: Gesund kann das nicht gewesen sein. Zumindest scheint es ihnen mächtig den Verstand vernebelt zu haben. Anders lässt sich kaum noch erklären, wie sie auf diese völlig absurde Idee gekommen sind. Sie wollen künftig nicht mehr von „Schwarzfahrern“ reden und schreiben, weil sie eine Rassismus-Debatte befürchten. Das ist kein Witz, die meinen das ernst.
Da hilft es auch nicht, dass Sprachwissenschaftler inzwischen überzeugend dargelegt haben, dass der Begriff „Schwarzfahren“ rein gar nichts mit einer rassistischen Gesinnung gegenüber Menschen dunkler Hautfarbe zu tun hat. Er kommt vielmehr vom jiddischen Begriff „shvarts“ für Armut: Wer „schwarz“ fährt, ist so arm, dass er sich kein Geld für ein Ticket leisten kann.
Leider kein Einzelfall
Der Fall aus München und Berlin steht leider nicht alleine. Seit geraumer Zeit grassiert die Angst, auch völlig arglos und ohne jegliche Diskriminierungsabsicht irgendetwas Falsches zu sagen und dafür dann an den öffentlichen Pranger gestellt zu werden. Vor allem die sozialen Medien, in denen jeder – ich sag es jetzt mal ganz derbe – Vollpfosten andere Menschen wüst beschimpfen und beleidigen darf, spielen sich dann gerne als die Wächter der sprachlichen Korrektheit schlechthin auf. Shitstorm heißt das auf Neudeutsch. Das ist irrational und aberwitzig.
Um jetzt nicht auch noch falsch verstanden zu werden: Es gibt Begriffe, die schon in der Intention benutzt werden, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe herabzusetzen und zu beleidigen. Diese Begriffe sind rassistisch und wir sollten sie aus unserem Wortschatz verbannen. Aber Schwarzfahren?
Von „Negerküssen“ und „Zigeunerschnitzeln“
In der Vergangenheit mussten wir uns schon von den „Negerküssen“ verabschieden, wofür ich Verständnis habe. Ich finde es auch nicht richtig, statt fälschen und tricksen „türken“ zu sagen. Das ist in der Tat abwertend.
Bei „Zigeunerschnitzel“, die jetzt zumeist „Balkanschnitzel“ heißen, fällt mir das schon schwerer. Ich habe die Zigeunersoße mit ihren vielen bunten Gemüsezutaten immer als etwas überaus Positives wahrgenommen und frage mich, ob die Sinti und Roma, die ja ihre farbenprächtigen Kleider voller Stolz tragen, sich wirklich beleidigt fühlen, weil eine leckere Soße daran erinnert. Mir ist dabei eine Diskriminierung nie in den Sinn gekommen.
Auf dem Weg zur Zerstörung der deutschen Sprache
Wenn wir so weitermachen mit unserer Zerstörung der deutschen Sprache – und ich rede jetzt noch nicht einmal von den krassen Blüten des Genderns – sehe ich schwarz (ups, das darf ich dann ja auch nicht mehr sagen). Ganz einfache, normale Gespräche wären bald nicht mehr möglich. Dann müssen wir uns auch nicht wundern, dass — wie es tatsächlich geschehen ist – die Eisdiele „Möhrchen“ in Essen zum Ziel wüster Angriffe wird. Dabei ist „Mohr“ doch nur der Nachname der Eigentümerin.
Wir haben aus der „Putzfrau“ schon die „Raumpflegerin“ gemacht (Bodenkosmetikerin könnte der nächste Schritt sein), aus dem Hausmeister den „Facility Manager“, aus der „Krankenkasse“ die „Gesundheitskasse“ und aus der „Kündigung“ die „Freisetzung“. Auch der Trend zur Schönfärberei ist stark.
Hempels Sofa und Frau Pingel
An meiner Schule gab es einen Lehrer namens Hempel, aber darf man deshalb bei chaotischer Unordnung nicht mehr sagen: Das ist wie bei „Hempels unterm Sofa“? In dieser Woche telefonierte ich mit einer total netten Frau Pingel. Ich bin mir sicher, dass sie es nicht schlecht fände, den schönen Begriff „pingelig“ ins Jenseits zu verbannen. Sollten wir das tun?
Gehen wir nach der Logik der Münchener und Berliner Verkehrsbetriebe dürfen wir künftig auch nicht mehr von „schwarzen Schafen“ und „Schwarzmalerei“ reden. Diskriminieren wir nicht auch die Hawaiianer, wenn man diese sehr gewöhnungsbedürfte Zusammenstellung von Käse, Schinken und Ananas auf einer Scheibe Brot als „Toast Hawaii“ bezeichnet? Verunglimpfen wir nicht alle Wien, diese Hochburg der Kunst und Kultur, wenn die am meisten verbreitete Wortkombination mit dieser Stadt das „Wiener Schnitzel“ ist?
Die Gefahr, sich zum Deppen zu machen
Wir müssen aufpassen, dass wir uns mit unserer Überkorrektheit nicht zum Deppen machen. Sensibel sein, wo Menschen wirklich herabgewürdigt werden. Das ja, unbedingt. Aber unsere Sprache unter dem Mikroskop sezieren, bis auch dem Letzten die Lust am Sprechen und Schreiben vergeht, das Nein.
Denn sonst müssten wir wirklich auf allen Feldern die Sache zu Ende denken. Beispielsweise – weil ja gerade die EM läuft – beim Fußball: Dort sollte man sich etwas Neues statt der gelben und roten Karten einfallen lassen. Mit diesen Karten könnten sich ja Chinesen diskriminiert fühlen und – Indianer. Aber die heißen ja jetzt auch schon anders.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
