Die Deutschen müssen sich warm anziehen: Die Energiekosten steigen - spätestens im Herbst werden das die Menschen im Land zu spüren bekommen.

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2500 Euro mehr für Gas? Deutschland muss sich warm anziehen

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Der Krieg hat die Preise für Gas und Heizöl derart stark steigen lassen, dass viele Menschen sie nicht mehr bezahlen können. Sie müssen nun auf andere Ausgaben verzichten - oder frieren.

von Christoph Höland, Andreas Niesmann, Frank Wenzel

30.03.2022, 06:07 Uhr / Lesedauer: 5 min

Als Michaela Aderholz vor Kurzem ihre betagten Eltern im ostfriesischen Aurich besuchte, fröstelte sie. 19 Grad – mehr zeigte das Thermometer im Wohnzimmer der Senioren nicht an. Die Tochter war verwundert. „Das ist völlig untypisch, eigentlich waren meine Eltern immer recht großzügig mit dem Heizen“, sagt sie. Vater Aderholz, ein Maurer im Ruhestand, ist 85 Jahre alt und leidet unter der Lungenkrankheit COPD. Außerdem hat er Krebs. Das Leben ist schon beschwerlich genug für ihn, da wollte er es wenigstens warm haben. Bis jetzt.

Es war ein Brief des örtlichen Versorgers EWE, der den Vater die Heizungsventile zudrehen ließ. 489 Euro sollen er und seine Frau für das Verbrauchsjahr 2021 nachbezahlen. Zusätzlich zu den bereits eingezogenen Abschlägen und nur für Gas.

Michaela Aderholz hat eine Weile gebraucht, um das herauszubekommen. Freiwillig gesagt haben ihr die Eltern das nicht – aus Scham. Die Leute sollen nicht wissen, dass Gas und Strom nun zu teuer für sie sind. Ihr echter Familienname ist ein anderer.

Egal ob in Aurich, Aachen oder Augsburg: Wenn Energieversorger schreiben, verheißt das nirgendwo mehr etwas Gutes. Deutschland erlebt eine Energiekrise, die schon jetzt an die Ölpreisschocks der 1970er-Jahre erinnert.

Und die Krise hat gerade erst angefangen. Das tatsächliche Ausmaß des Preisanstiegs wird für Millionen Verbraucher erst im Herbst spürbar, wenn Stadtwerke und andere Versorgungsunternehmen ihre neuen Tarife für Strom und Gas präsentieren.

„Wenn jetzt schon fast 500 Euro für 2021 fällig werden, fragt man sich, was im nächsten Jahr auf uns zukommt. Davor haben meine Eltern jetzt natürlich Angst.“
Michaela Aderholz, besorgte Bürgerin

Die bisherigen Konditionen beruhten auf längerfristigen Lieferverträgen zwischen Versorgern und Großhändlern, von denen viele in diesem Jahr auslaufen. Die Folgeverträge dürften erheblich teurer werden – das lässt sich schon jetzt an den Notierungen ablesen. Erdgas für den europäischen Markt, das im Winter 2022/23 geliefert wird, ist derzeit an den Terminmärkten gut achtmal teurer als vor einem Jahr. „Wenn jetzt schon fast 500 Euro für 2021 fällig werden, fragt man sich, was im nächsten Jahr auf uns zukommt“, sagt Michaela Aderholz. „Davor haben meine Eltern jetzt natürlich Angst.“

Die Sorge ist nicht unbegründet, und es könnte sogar alles noch viel schlimmer kommen, falls Russland seine Drohung wahr machte, und tatsächlich kein Gas mehr gen Westen pumpen sollte. Ein solches Szenario ist deutlich wahrscheinlicher geworden, seit Machthaber Wladimir Putin trotz anderslautender Verträge auf eine Bezahlung der Gaslieferung in Rubel pocht, was Deutschland und die meisten EU-Staaten ablehnen. Die russische Forderung sei „ein einseitiger und klarer Bruch der bestehenden Verträge“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Montag. Man werde das nicht akzeptieren.

Studie des MCC: Gaspreise steigen zwischen 800 und 2500 Euro

Doch Moskau bleibt hart. Bis Donnerstag (31. März) würden auf Anordnung von Präsident Wladimir Putin die Modalitäten ausgearbeitet, damit das System „einfach, verständlich, transparent und umsetzbar“ für die europäischen und internationalen Gasbezieher sei, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag laut Agentur Interfax. „Keiner wird Gas umsonst liefern, und bezahlt werden kann es nur in Rubeln“, betonte er.

Sollten beide Seiten bei ihren Positionen bleiben, wäre eine Eskalation des Energiekrieges unvermeidlich.

Überall in der Republik rechnen sich derzeit Ökonomen die Finger wund, um die Auswirkungen der Krise auf Wirtschaft und Verbraucher zu beziffern. Eine aktuelle Studie des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC prognostiziert allein durch steigende Gaspreise eine zusätzliche Belastung für durchschnittliche Haushalte zwischen 800 und 2500 Euro pro Jahr.

Forscher haben drei Szenarien durchgerechnet

Die Forscher haben drei Szenarien für den Zeitraum von April 2022 bis März 2023 durchgerechnet:

  • Erdgas könnte im schlimmsten Fall um 275 Prozent teurer im Vergleich zu den Durchschnittswerten der Jahre 2017 bis 2021 werden.
  • Im günstigen Fall läge der Aufschlag immer noch bei 69 Prozent.
  • Deutlich weniger stark – aber ebenfalls massiv – können die Verteuerungen für Kraftstoff (15 bis 30 Prozent) und für Heizöl (32 bis 65 Prozent) ausfallen.

Besonders gravierend wären die Folgen für die zehn Prozent der ärmsten Haushalte. Beim Extrem-Preisszenario müssten manche bis zu 15 Prozent ihrer gesamten Konsumausgaben für Energie verwenden. Vor allem die Gaspreise schlagen durch. Und gerade für Familien mit niedrigen Einkommen, die in Mietwohnungen leben, gibt es keinerlei Möglichkeit, diesen höheren Belastungen auszuweichen.

Doch auch auf die Mittelschicht kann einiges zukommen. Mehr als 3500 Euro pro Haushalt und Jahr sind nicht auszuschließen, wenn etwa zu einer Öl- oder Gasheizung noch eine dürftige Dämmung der Wohnung und hohe Kosten für den Sprit des Pkw kommen.

Die Entwicklung der Erdgaspreise ist schon vor dem Krieg gegen die Ukraine in die Höhe geschossen.

Die Entwicklung der Erdgaspreise ist schon vor dem Krieg gegen die Ukraine in die Höhe geschossen. © dpa

Der renommierte Klima- und Energieökonom Ottmar Edenhofer, der an der Studie mitgearbeitet hat, sieht dringenden Handlungsbedarf: „Die jetzt stark steigenden Gaspreise haben das Potenzial, größte soziale Verwerfungen hervorzurufen – und zwar in einem Ausmaß, dass sie Klimaschutz und Treibhausgasneutralität unmöglich machen könnten“, sagte Edenhofer. Aus diesem Grund seien weitere staatliche Hilfen von grundlegender Bedeutung, insbesondere für einkommensschwache Haushalte. „Die bereits beschlossenen Entlastungspakete reichen hier mitnichten aus“, so der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

Wirtschaftsexperte: Entlastungspaket ausgewogen

Nach wochenlangem Streit hatte die Bundesregierung in der vergangenen Woche ein milliardenschweres Energieentlastungspaket auf den Weg gebracht. Die Mineralölsteuer soll drei Monate lange auf den europäischen Mindestsatz sinken, wodurch sich Superbenzin um rund 35 Cent und Diesel um rund 17 Cent verbilligen dürften. Im gleichen Zeitraum soll der Preis eines Monatstickets für Bus und Bahn auf 9 Euro fallen. Für Steuerpflichtige soll es eine Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro Brutto als Zuschuss zum Gehalt geben, Kinder bekommen einen Einmalbonus von 100 Euro, Empfängerinnen sowie Empfänger von Sozialleistungen von 200 Euro.

Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), geht davon aus, dass Geringverdiener vom Entlastungspaket am stärksten profitieren. „Im Großen und Ganzen ist das Entlastungspaket auf sozialer Ebene relativ ausgewogen“, sagte Dullien dem RND.

Vorläufigen Rechnungen des IMK zufolge beträgt die Entlastung bei Geringverdienerinnen und Geringverdiener knapp drei Prozent ihres Nettoeinkommens, womit sich etwa zwei Drittel der jüngsten Preisanstiege abfedern ließen, so Dullien. Bei der Mittelschicht seien es eher ein Prozent, bei Gutverdienern ohne Kinder nur 0,1 Prozent Entlastung.

Zwar seien für die Mittelschicht weitere Entlastungen wünschenswert, „aber man muss sich fragen, ob sich der Staat das leisten kann,“ sagte der Ökonom. Deshalb sei es wichtig, sich bei Hilfen auf die zu konzentrieren, wo der Bedarf am größten ist. Lücken hat das Entlastungspaket nach seinen Angaben vor allem bei Rentnerinnen und Rentnern sowie bei Minijobbern.

Beide Gruppen profitieren oft weder von den Zuschüssen, die auf dem Wohngeldanspruch beruhen, noch von der Energiepreispauschale. „Davon sind Frauen besonders häufig betroffen, weil ihre Renten gering sind und sie häufig in Minijobs tätig sind“, befürchtet Dullien. Für diese Gruppe müsse der Staat nachbessern.

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Edenhofer schlägt die Einführung eines verbrauchsunabhängigen und nach Haushaltsgröße gestaffelten Energiegeldes oder eines „Helikoptergeldes“ vor, für dessen Berechnung die Höhe des Haushaltseinkommens herangezogen werden könnte. Alternativ ließe sich ein solcher Zuschuss auch auf Familien beschränken, deren Einkommen unter einer bestimmten Schwelle liegt. Je nach Ausgestaltung rechnet Edenhofer mit Kosten von insgesamt 30 bis 77 Milliarden Euro. Wenn man die Energiewende retten wolle, führe daran kein Weg vorbei, glaubt er. „Ein wirksamer Ausgleich ist aus meiner Sicht unverzichtbar“.

Für die Gegenfinanzierung hat er einen unkonventionellen Vorschlag entwickelt. „Eine Option könnte sein, die Importe von russischem Gas und Öl in nächster Zeit zu besteuern.“ Damit könne man einerseits den Märkten ein klares Signal geben, dass russische Importe zurückgefahren werden sollen.

Und andererseits würden die Erlöse aus den Deals nicht bei Russland und den Energiemultis anfallen, sondern beim deutschen Staat. „Diese Einnahmen können gezielt eingesetzt werden, um die Verbraucher zu entlasten“, sagt Edenhofer. Einen Teil könne man auch in einen Fonds für den Wiederaufbau der Ukraine transferieren. Das alles sei nicht schön, räumt Edenhofer ein. „In normalen Zeiten wären das keine wünschenswerten Maßnahmen, aber wir müssen auf den Krieg in der Ukraine reagieren.“

Auch Familie Aderholz aus Aurich hat reagiert. Die fünf Kinder legen zusammen, damit die Eltern nicht frieren müssen. „Bislang sind das nur 100 Euro für jeden, das kriegen wir hin“, sagt Tochter Michaela.

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