2023 muss Schwarz-Grün in NRW liefern Ein politischer Ausblick auf das kommende Jahr

2023 muss Schwarz-Grün in NRW liefern: Das kommt auf die Landesregierung zu
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Kampf um ein Braunkohle-Dorf, Ausbau der Windkraft, die kommunale Altschuldenfalle und ein milliardenschweres Krisenbewältigungsprogramm - im kommenden Jahr kommt es für Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen zum Schwur.

Wenn Lützerath im rheinischen Revier leer gefegt wird, wird ganz Deutschland genau hinsehen, ob Innenminister Herbert Reul (CDU) bei dem angekündigten polizeilichen Großeinsatz Deeskalation in der Auseinandersetzung mit Klima-Aktivisten gelingt.

In der Energie- und Wirtschaftspolitik hat die seit Juni 2022 gemeinsam regierende Koalition von Ministerpräsident Hendrik Wüst konkrete Versprechen zu erfüllen. Der CDU-Politiker verspricht, Tempo zu machen beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netze, bei der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, aber auch beim Bau von Straßen, Brücken, Schienen oder Pipelines. „Das wird 2023 ein Schwerpunkt unserer Politik sein“, kündigte er der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf an.

Lützerath

Die zu Jahresbeginn bevorstehende Räumung des von Klima-Aktivisten besetzten Braunkohledorfs dürfte eines der spektakulärsten landespolitischen Ereignisse 2023 werden. Einige Oppositionspolitiker befürchten schon ein „Hambach 2.0“ und beschwören Bilder eines der größten und am heftigsten umstrittenen Polizei-Einsätze der jüngeren Landesgeschichte bei der Räumung des Hambacher Forsts im Herbst 2018.

Seit ein Lützerather Klima-Aktivist im November vor einem Millionen-Publikum Wett-König bei „Wetten, dass..?“ wurde, hat das Thema eine größere Breitenwirkung bekommen.

Ein Aktivist trägt eine Fahne mit der Aufschrift "Stoppt Braunkohle!" bei einem Aktionstag für den Erhalt von Lützerath.
Ein Aktivist trägt eine Fahne mit der Aufschrift „Stoppt Braunkohle!“ bei einem Aktionstag für den Erhalt von Lützerath. © picture alliance/dpa

Windkraft

„Mindestens 1000 zusätzliche Windenergie-Anlagen“ sollen laut schwarz-grünem „Zukunftsvertrag“ in der Wahlperiode bis 2027 in NRW entstehen. Der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) beklagt ebenso wie die SPD-Opposition ein Vollzugsdefizit. Bis Mitte November umfasse der Netto-Zubau der neuen Koalition lediglich 59 Anlagen. „Viel zu wenig“, attestiert der Verband.

Die investitionshemmende 1000-Meter-Abstandsregel insbesondere für Repowering-Vorhaben sei nach wie vor gültig. Aktuell werden Potenziale für die Windkraft in NRW untersucht, um daraus eine gerechte Verteilung auf sechs Planungsregionen abzuleiten.

Eine Änderung des Landesentwicklungsplans mit entsprechenden Flächenvorgaben soll im kommenden Frühjahr im Kabinett verabschiedet werden. Erst im Frühjahr 2024 ist mit einem Abschluss des Planverfahrens zu rechnen. „Schwarz-Grün droht schon jetzt, an den eigenen Zielen krachend zu scheitern“, sagte SPD-Landeschef Thomas Kutschaty der Deutschen Presse-Agentur.

Windräder drehen sich im Windpark Heinsberg-Straeten.
Windräder drehen sich im Windpark Heinsberg-Straeten. © picture alliance/dpa

Kohle-Ausstieg

Nach dem Beschluss für einen auf 2030 vorgezogenen Ausstieg aus der Kohle werde es bis zum Sommer eine neue Leitentscheidung für die Umgestaltung des rheinischen Reviers geben, sagte Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) der dpa.

Damit werde das letzte Kapitel der Braunkohleverstromung in NRW geschrieben. „Wir werden 2023 einen großen Schritt auf dem Weg zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas gehen“, versprach sie.

Wirtschaft

Die Wirtschaftsleistung in NRW ist im dritten Quartal 2022 laut Schätzung des Münchener Ifo-Instituts im Vergleich zum zweiten Quartal um 2,8 Prozent geschrumpft. Damit bilde NRW im Vergleich der Bundesländer „das Schlusslicht“, kritisierte Kutschaty.

Während die Ifo-Forscher als Hauptgrund einen kräftigen Produktionsrückgang in energieintensiven Wirtschaftsbereichen wie der Stahlindustrie nennen, wirft die SPD Wüst fehlende Unterstützung vor und fordert für 2023 ein Paket, „um soziale Notlagen und Arbeitsplatzverluste zu vermeiden“.

Finanzen

Die Energie-Krise, Hunderttausende Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, Inflation und sich daraus ergebende soziale Notlagen sowie die immer noch nicht überwundenen Folgen der Corona-Pandemie engen den finanziellen Spielraum der neuen Koalition erheblich ein.

Schwarz-grüne Wunschprojekte müssen in vielen Fällen der Mitfinanzierung milliardenschwerer Entlastungspakete von Bund und Ländern weichen. „Der Rekordinflation setzen wir gezielte Entlastungen entgegen“, unterstreicht Wüst.

Schwerpunkte: Der Löwenanteil des mit rund 105 Milliarden Euro geplanten Landeshaushalt 2023 soll weiterhin in den personalintensiven Bereich Bildung gepumpt werden. Zum 1. Januar greift mit Auszahlung eines monatlichen Zuschusses von 115 Euro - rückwirkend zum November 2022 - die erste Stufe zur Angleichung der Lehrereingangsbesoldung. Damit erfüllt Schwarz-Grün ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag. Die SPD vermisst daneben eine klare Ansage zur Beitragsfreiheit für Ganztagsangebote und für Kitas.

Weitere Schwerpunkte setzt die Koalition unter anderem bei Klimaschutz und Innerer Sicherheit. Die Haushaltsplanungen der Landesregierung könnten allerdings im nächsten Jahr noch das Landesverfassungsgericht beschäftigen. Die FDP-Opposition behält sich eine Klage vor - auch, nachdem die Regierung einen Rückzieher gemacht hat von ursprünglich geplanten Verschiebungen aus dem Corona-Rettungsschirm.

Kommunen

Zur Lösung der Altschulden-Problematik der Kommunen enthält der Koalitionsvertrag ein gewichtiges Versprechen. Falls der Bund seiner Verantwortung nicht nachkomme, werde die Landesregierung 2023 selbst einen Altschuldenfonds auflegen, „der für die teilnehmenden Kommunen eine substanzielle und bilanzielle Entlastung bringt“, heißt es in dem fast 150 Seiten starken „Zukunftsvertrag“.

Sollte eine bereits verabredete Arbeitsgruppe von Bund und Land keine konkreten Ergebnisse liefern, steht Schwarz-Grün im Wort. Laut Statistischem Landesamt summierten sich die kommunalen Schulden inklusive kommunaler Beteiligungen in NRW Ende 2021 auf 82,5 Milliarden Euro. „Wenn die Landesregierung weiter untätig bleibt, brauchen die Kommunen noch 200 Jahre, bis sie den Schuldenberg abgetragen haben“, mahnt Kutschaty.

Ukraine

Trotz der finanziellen Lasten will die Landesregierung bei ihrer Hilfe für Ukrainer nicht nachlassen. „Gemeinsam mit unseren Kommunen werden wir alles dafür tun, dass jeder Mensch, der vor dem russischen Angriffskrieg flieht, anständig untergebracht und versorgt wird“, bekräftigt der Ministerpräsident.

Seit Kriegsbeginn in der Ukraine im Februar hat NRW nach Regierungsangaben schon beinahe eine Viertel Million Flüchtlinge aufgenommen. Die humanitären Anstrengungen würden mit Maßnahmen verbunden, die die heimische Energieversorgung und kritische Infrastruktur widerstandsfähiger und unabhängiger machten, versichert Neubaur.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU, r) spricht in der zentralen Aufnahmestelle in Unna mit Flüchtlingen aus der Ukraine.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU, r) spricht in der zentralen Aufnahmestelle in Unna mit Flüchtlingen aus der Ukraine. © picture alliance/dpa/Land NRW

Krankenhäuser

Ein dickes Brett ist auch der geplante Umbau der Krankenhauslandschaft. Der neue Krankenhausplan soll Spezialisierungen und Zusammenarbeit der 337 Krankenhäuser in NRW fördern. Gleichzeitig soll er sicherstellen, dass ein Krankenhaus mit internistischer und chirurgischer Versorgung für 90 Prozent der Bevölkerung innerhalb von 20 Autominuten erreichbar sein muss. Intensivmedizin muss flächendeckend vorgehalten werden.

NRW ist das erste Bundesland mit einem solchen Modell. Planungsgrundlage sollen nicht mehr Betten-, sondern konkrete Fallzahlen sein. Die Verhandlungen zwischen Krankenhäusern und Kassen werden sich bis ins nächste Jahr ziehen. Das Gesundheitsministerium will die Versorgungsaufträge für die Krankenhäuser bis 2024 neu verteilen. In die Umsetzung des neuen Krankenhausplans sollen in den Jahren 2023 bis 2027 rund 2,5 Milliarden Euro investiert werden.

dpa