
© Sylvia vom Hofe
Zwangsversteigerung in der Lüner City: Schnäppchen wird Millionen-Deal
Wohnen in Lünen
Das Wohn- und Geschäftshaus Kirchstraße 10 in der Lüner City hat einen neuen Eigentümer. Das letzte von 105 Geboten bei der Zwangsversteigerung lag deutlich über dem Verkehrswert.
Die Katze im Sack ist vier Stockwerke hoch: das Wohn- und Geschäftshaus Kirchstraße 10 in der Lüner City zwischen Lippe und Fußgängerzone. Ordentlich und vielversprechend sehe es aus, sagt der, der diese Katze gekauft hat: ein 40-Jähriger, der zusammen mit seinem Bruder am Freitag (30. 7.) zum Zwangsversteigerungstermin des Amtsgerichts in den Lüner Hansesaal gefahren war. Als die beiden beschlossen, mitzubieten, kannten sie das Haus nur von außen. Fünf Tage, nachdem sie den Zuschlag bekommen hatten, wissen sie immer noch nicht, wie es innen aussieht: die Katze im Sack eben - allerdings keine zum Schleuderpreis.
„Wir sind keine Millionäre“
Der Verkehrswert des Hauses war auf knapp 662.000 Euro taxiert - und damit erstaunlich niedrig angesetzt, meinten Immobilienexperten. Und meinten auch die beiden Brüder, die nicht aus Lünen stammen. Ihren Wohnort und ihren Namen wollen sie nicht in der Öffentlichkeit lesen. Nicht weil sie etwas zu verbergen hätten, sagt der 40-Jährige, sondern weil sie keine falschen Erwartungen wecken wollen, bei niemandem. „Wir sind keine Millionäre“, sagt der Mann und lacht. Auch wenn die beiden für mehr als eine Million Euro in Lünen einkaufen waren. Und jetzt wohl noch mehr in das Haus stecken müssen. Das Geld liege bei ihnen nicht auf der hohen Kante, sondern in der Kreditabteilung.
Wer eine Immobilie bei einer Zwangsversteigerung erwirbt, hofft, weniger zahlen zu müssen als auf dem freien Markt. Zehn bis 30 Prozent unter dem Marktpreis sind da drin, wie die Stiftung Warentest und andere Verbraucherorganisationen als Erfahrungswert sagen. So etwas ist gerade in Zeiten verlockend, in denen die Immobilienpreise durch die Decke schießen - wie seit 2010.
Preisexplosion auf dem Wohnungsmarkt
Laut Preisindex des Statistischen Bundesamtes haben sich die Preise für Wohngebäude - nur auf das Bauwerk bezogen - seitdem fast um ein Drittel erhöht. Die Preise für Baulandgrundstücke erhöhten sich im selben Zeitraum um mehr als 100 Prozent. Nicht nur alle, die sich den Traum vom Eigenheim verwirklichen wollen, haben es zurzeit schwer, sondern auch die, die eine lohnende Immobilie als Kapitalanlage suchen - so wie der 40-Jährige und sein Bruder.
„Wir haben im Internet gesucht“, sagt der Mann am Telefon. Die Amtsgerichte veröffentlichen die Termine für Zwangsversteigerungen. Und die Objekte. „Als wir von dem Lüner Haus lasen, waren wir gleich interessiert.“ Ein 23 Jahre altes Haus in dieser Lage - „da hatten wir uns schon gewundert, dass der Verkehrswert recht niedrig war“. Das blieb auch so, als sie persönlich nach Lünen gekommen waren und das Haus zum ersten Mal in Augenschein genommen haben - von außen zumindest. Er und sein Bruder seien handwerklich versiert. „Ich glaube, das können wir ganz gut einschätzen“, obwohl etwas Wichtiges fehlte: das Gutachten. „Das haben wir erst am Termin der Zwangsversteigerung in der Hand gehalten“, sagt er: ein etwa 100-Seiten Werk.
Erhebliche Feuchtigkeitsschäden im Dachgeschoss
Er und sein Bruder können es bestenfalls überfliegen, bevor es ernst wird. Von erheblichen Feuchtigkeitsschäden im Dachgeschoss lesen sie da zum ersten Mal. Beide schauen sich an, nicken sich zu. Sie halten daran fest, mit zu bieten. Da sind sie nicht die einzigen. Der Hansesaal ist an diesem Freitagmittag komplett gefüllt. Unter ihnen vor allem Privatleute - zwei von ihnen haben schon vorsorglich ihren Anwalt mitgebracht -, aber auch eine Vertreterin einer Immobilien- und Verwaltungsgesellschaft aus Lünen. Schon kurz nach dem ersten Gebot trennt sich die Spreu vom Weizen. Denn da zeigt sich: Für einen Schleuderpreis wird das Haus nicht den Eigentümer wechseln.
Nur keine Zeit verlieren. Das scheint sich der erste Bieter zu denken, als er 700.000 Euro in den Raum stellt - also mehr als den Verkehrswert und fast das Hundertfache des Mindestgebots. Dass der Zuschlag für deutlich niedrigere Offerten erfolgt wäre, gilt als unwahrscheinlich. Liegt das höchste Gebot nicht bei 70 Prozent des Verkehrswerts, könnte ein Gläubiger beantragen, dass der Zuschlag nicht erteilt und über die Zukunft des Hauses bei einem Zweittermin entschieden wird. Liegt das Höchstgebot unter 50 Prozent des Verkehrswerts, darf sogar das Amtsgericht den Zuschlag verweigern – zum Schutz des Noch-Eigentümers.
Gebote im Minutentakt - fast zwei Stunden lang
Mit dieser Frage muss sich bei diesem Termin in Lünen niemand herumschlagen. Die Bieter - zum Schluss bleibt ein harter Kern von vier Interessenten-Gruppen übrig - überbieten sich im Minutentakt. In nicht zwei Stunden gibt es 105 Gebote. Zuletzt das von dem 40-Jährigen und seinem Bruder: 1.300.000 Euro. „Das“, sagt er später am Telefon, „war exakt das Limit, das wir uns gesetzt hatten“.
Was bedeutet der Zuschlag für die Mieterinnen und Mieter in den zehn kleinen Wohnungen des Hauses und für den Pächter des Wand-Tattoo-Ladens? „Erst einmal gar nichts“, sagt der Käufer. An ihn und seinen Bruder sind mit dem Zuschlag bereits sämtliche Rechte - also etwa die Mieteinnahmen - aber auch Pflichten - zum Beispiel die Grundsteuer - übergegangen, obwohl sie noch gar nicht im Grundbuch stehen. „Wir haben kein Interesse daran, hier alles zu verändern.“ Offenbar gebe es ja Bedarf an kleinen Wohnungen, „und der wird dort gut gedeckt“. Gleichwohl bitte er darum, ihm noch Zeit zu lassen: „Wir kennen noch keine Details, weder die Mieterinnen und Mieter selbst, noch ihre Wohnungen und Verträge.“ Die Katze ist noch immer im Sack.
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
