Der Abbruch der Bergwerksdirektion Preußen läuft auf Hochtouren. Die imposante Fassade bleibt aber bestehen. Der Bauverein hat sie in sein Neubauprojekt integriert - jedoch anders geplant.

Horstmar, Lünen

, 09.06.2021, 21:27 Uhr / Lesedauer: 3 min

Wo einst Kumpel einfuhren zur nächsten Schicht unter Tage, recken sich jetzt drei Kräne in die Höhe. Unter ihnen wachsen sieben dreigeschossige Mehrfamilienhäuser mit jeweils einem zusätzlichen Staffelgeschoss in die Höhe. Das Zechengelände Preußen in Horstmar - darunter auch eine Fläche, die zuletzt der Stahlhandel Coers genutzt hatte - ist aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Auf der Industriebrache realisiert der Bauverein zu Lünen gerade ein 23-Millionen-Euro-Projekt. 79 Wohnungen lässt er bauen - davon neun an ganz zentraler Stelle: direkt hinter der roten Backsteinfassade der ehemaligen Zechendirektion. Dafür ist gerade Millimeterarbeit nötig.

Die Baggerschaufel muss zum Skalpell werden. Das Gros des mehr als 100 Jahre alten Verwaltungsgebäudes mit Lohnhalle und Markenkontrolle - jeder Bergmann holte vor der Schicht seine Marke ab und gab sie anschließend dort wieder ab - verschwindet in diesen Tagen. Die Bausubstanz des später auch als Ledigenheim für Bergleute und Seniorenheim genutzten Gebäudes hatte sich als so marode erwiesen, dass sie nicht mehr zu retten war.

Nur die 55 Zentimeter breite Fassade bleibt stehen

Nur ein 0,55 Meter breiter Mauerriegel bleibt stehen: die mit Zinnen und Kapitellen im sogenannten Tudorstil verzierte Fassade. Sie hatte Anfang des 20. Jahrhunderts die Zechendirektion zu dem gemacht, was sie heute noch ist: ein Hingucker.

Die Abbrucharbeiten der alten Zechendirektion laufen seit April. Jetzt kommt der spannendste Teil der Aufgabe. Die 55 Zentimeter breite Fassade muss stehen bleiben.

Die Abbrucharbeiten der alten Zechendirektion laufen seit April. Jetzt kommt der spannendste Teil der Aufgabe. Die 55 Zentimeter breite Fassade muss stehen bleiben. © Sylvia vom Hofe

300.000 Euro extra lässt sich der Bauverein das kosten. Gut investiertes Geld, wie Carsten Unterberg, Vorstand beim Bauverein und Architekt, findet. Denn künftig wird die dunkelrote, unverputzte Erinnerung an Koks und Kohlen das neue Quartier unverwechselbar machen - als Front des neuen Dienstleistungsgebäudes. Künftig werden Mieter, Kunden der Apotheke und Patienten der Arztpraxis und der Physiotherapiepraxis dort über den Laubengang eines nagelneuen Wohn- und Dienstleistungsgebäudes flanieren und durch mehr als 100 Jahre alte Fensteröffnungen auf die Preußenstraße schauen können. Thorsten Rehder, Architekt bei der SFW GmbH Lünen, hatte sich das ausgedacht. Er musste allerdings noch einmal umplanen.

So wird das Wohn- und Geschäftshaus aussehen, das sich an die alte Fassade anschließen wird. Platz für eine Gemeinschaftspraxis, eine Praxis für Physiotherapie, eine Apotheke, eineTagespflege und eine Wohngruppe sowie neun weitere Wohnungen. Der Neubau wird ein Flachdach mit Vordach haben.

So wird das Wohn- und Geschäftshaus aussehen, das sich an die alte Fassade anschließen wird. Platz für eine Gemeinschaftspraxis, eine Praxis für Physiotherapie, eine Apotheke, eineTagespflege und eine Wohngruppe sowie neun weitere Wohnungen. Der Neubau wird ein Flachdach mit Vordach haben. © Bauverein zu Lünen

„Die ursprüngliche Planung sah ein Walmdach vor“, sagt Carsten Unterberg. Tatsächlich gebaut werde jetzt aber mit Flachdach - nach einer entsprechenden Intervention des Gestaltungsbeirats der Stadt Lünen.

Gestaltungsbeirat hat Flachdach empfohlen

Im Februar 2019 hatte die Stadt das Gremium ins Leben gerufen. Dessen Aufgabe ist es, „positiven Einfluss auf das Bewusstsein für Architektur und Stadtgestaltung in der Öffentlichkeit ebenso wie in Politik und Verwaltung“ zu nehmen, wie es damals hieß. Mitglieder sind fünf Architekten und Raumplaner. Die sahen laut Unterberg in dem Flachdach die bessere Lösung, weil Walmdächer nicht ortsbildprägend seien: eine Entscheidung, die der Bauvereins-Vorstand nicht teilt - nicht nur aus gestalterischen Gründen.

So hatte der Bauverein das Gebäude ursprünglich geplant: mit Steildach und eckigen Stützen. Der Gestaltungsbeirat hatte die andere Variante empfohlen - die mit Flachdach.

So hatte der Bauverein das Gebäude ursprünglich geplant: mit Steildach und eckigen Stützen. Der Gestaltungsbeirat hatte die andere Variante empfohlen - die mit Flachdach. © Bauverein zu Lünen

„Starkregenereignisse gibt es immer häufiger“, sagt er. Flachdächer seien da nicht optimal, „zumal wir hier sehr hohe Straßenbäume haben“. Der Vorschlag des Gestaltungsbeirats fand aber Eingang in den Bebauungsplan. Und der Bauverein ließ sein Vorhaben entsprechend anpassen. Ein attraktives Element bliebe die Fassade in jedem Fall. Ein standfestes auch - obwohl sie bald für etwa sechs Monate ohne Rückhalt eines Gebäudes auskommen muss.

Mehr als zehn Tonnen Gegengewicht geschaffen

Die alte Direktion ist spätestens Ende Juli komplett verschwunden, und der Neubau muss erst errichtet werden. Bis dahin muss etwas anderes die schmale Fassade vorm Umkippen schützen. „Wir haben ein Gegengewicht geschaffen“, sagt Unterberg und zeigt auf die mächtigen blauen Metallstreben und die riesenhaften Legosteine aus Beton: mehr als zehn Tonnen Gegengewicht. „Alles, was jetzt nicht abgestrebt ist, wird abgerissen“, sagt Unterberg. Und alles andere werde dauerhaft stehen bleiben - nicht als einzige Erinnerung an die Bergbauzeit.

Die Seilscheibe wird wieder aufgerichtet werden. Sie stammt aber nicht von Preußen I/II, sondern von der Zeche Gneisenau.

Die Seilscheibe wird wieder aufgerichtet werden. Sie stammt aber nicht von Preußen I/II, sondern von der Zeche Gneisenau. © Sylvia vom Hofe

Die zurzeit auf der Seite liegende Seilscheibe, über die einst das Förderseil in die Tiefe führte, werde wieder aufgerichtet, sagt Zaremba. Sie steht dort bereits seit 1989. Für die beiden Schächte Preußen I und II hat sich das Rad aber nie gedreht.

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„Die Seilscheibe stammt von der Zechen Gneisenau“, sagt Prof. Dr. Christian Melchers. Sein Ingenieurbüro hatte das Schadstoffkonzept für den Bauverein entwickelt. Er ließ auf die beiden Schächte, die bei der Stilllegung der Zeche Preußen am 30. Juni des Jahres 1929 nur abgedeckt worden waren, nachverfüllen und Betonstopfen daraufsetzen. Überbaut werden sie aber trotzdem nicht.

62 bis mehr als 100 Quadratmeter große Wohnungen

Die 79 Wohnungen, die auf dem Zechengelände entstehen werden, messen zwischen 62 und mehr als 100 Quadratmeter und sind alle barrierefrei. Die ersten von ihnen werden laut Zaremba voraussichtlich in einem Jahr bezogen werden können. Bis aber alles fertig sein wird, werde es aber noch länger dauern. Mit Abschluss dieses Projekts bleibt für die Wohnungsbaugenossenschaft aber noch mehr zu tun auf ehemaligen Bergbauflächen in Horstmar. Er hatte vor einem Jahr 42.000 Quadratmeter am Preußenhafen - alles außer dem eigentlichen Hafenbereich mit Kai - erworben, um dort auch Wohnungen zu bauen.

Zufrieden mit den bisher erfolgten Abrissarbeiten (v. l.) Reinhard Fischer (Bauverein), Prof. Dr. Christian Melchers vom Ingenieurbüro für das Schadstoffkonzept, Andreas Zaremba (Bauverein), Jörg Schäperklaus vom Abbruchunternehmen und Carsten Unterberg (Bauverein).

Zufrieden mit den bisher erfolgten Abrissarbeiten (v. l.) Reinhard Fischer (Bauverein), Prof. Dr. Christian Melchers vom Ingenieurbüro für das Schadstoffkonzept, Andreas Zaremba (Bauverein), Jörg Schäperklaus vom Abbruchunternehmen und Carsten Unterberg (Bauverein). © Sylvia vom Hofe