Die Überschrift „Die Stadt, von der wir träumen“ lässt an große Metropolen mit Weltstadtatmosphäre denken. An Städte, die nie schlafen und in denen das Leben pulsiert. Dass da auch von Lünen die Rede ist, hat manchen hierzulande überrascht oder auch aufgeweckt.
Die Wochenzeitung „Die Zeit“ lenkt in ihrem Titelthema der Ausgabe vom 15. Dezember den Blick auf die Stadt an der Lippe - als positives Beispiel. Auch in Innenstädten von Hamburg, München oder Hannover ist inzwischen nicht mehr alles Gold, was glänzt. „Verwaiste Kaufhäuser verschandeln die besten Lagen“, schreibt Redakteur Marcus Rohwetter. Als gesichtslose Konsumzonen hätten die Innenstädte keine Zukunft. „Fast 70 Prozent aller Städte klagen laut dem Forschungsinstitut EHI Retail über Leerstände im Zentrum“, schildert er.
Dann kommt Lünen ins Spiel. „Neue Ideen zeigen nun: Das Wunder einer lebenswerten City ist möglich.“ Aufmerksam geworden ist der Zeit-Redakteur aus Hamburg auf Lünen durch die Initiative „Stadtimpulse“. Sie würdigte den Hertie-Umbau vom hässlichen Klotz zum Vorzeigeprojekt 2021 als „Best Practice“. Es war genau das, was Marcus Rohwetter für seine Recherche zur Zukunft der Innenstadt suchte: Ein gelungener Kaufhaus-Umbau, in dem nicht Büros, sondern auch Wohnungen entstanden sind. Genau 24, dazu zwei Arztpraxen und lokale Unternehmen im Erdgeschoss.
„Das fand ich klasse“, sagt er auf Anfrage am Telefon. Wohnraum in der City schaffen und dadurch Autos reduzieren. „All die Ärgernisse, mit denen so viele Städte kämpfen, hier bekommt man sie ziemlich gut in den Griff“, schreibt Rohwetter in „Der Zeit“ über Lünen.
„Stets belebte Fußgängerzone“
An einem Tag im Oktober hat sich der Mann aus Hamburg hier umgeschaut und „eine stets belebte Fußgängerzone“ wahrgenommen und dass es so gut wie keinen Leerstand gibt. Getroffen hat er sich mit Astrid Linn, Fachreferentin für Stadtentwicklung, die seinerzeit maßgeblich aufseiten der Stadt an dem Projekt Hertie beteiligt war. 14 Millionen Euro hat der Bauverein zu Lünen in die Realisierung gesteckt, nach einem Entwurf des Architekten Christian Christensen für Uding Projektmanagement. Vier Jahre nach der Kaufhaus-Schließung und dem Leerstand gab es 2013 endlich eine Chance, die „hässliche Narbe im schönen Gesicht der Innenstadt“ zu beseitigen.
Rohwetter sieht in Lünen, „dass Veränderung funktioniert“, vor allem auch durch lokale Unternehmer, die sich vor Ort verpflichtet fühlten im Gegensatz zu finanzgetriebenen internationalen Ketten. Es gebe sehr wenige Beispiele, wo etwas Brauchbares für aus der Zeit gefallene Innenstadt-Immobilien entstanden sei. Lünen ist eins davon.
Dass Auswärtige Lünen als attraktiv wahrnehmen, erlebt Bauverein-Geschäftsführer Andreas Zaremba immer wieder. Astrid Linn bestätigt, die Lüner selbst seien sehr kritisch, Menschen von außerhalb hätten oft einen anderen Blick. So wie Marcus Rohwetter, der von so gut wie keinem Leerstand und von Bäumen, Bänken und Menschen, die an freundlichen Tagen sitzen, reden, lachen und Passanten beobachten, schreibt. „Man vergisst schnell, was für Qualitäten wir haben“, sagt Astrid Linn. Manche hätten noch gar nicht mitbekommen, dass in anderen Innenstädten viel verbrettert sei.
Einfaches zu Besonderem machen
Rohwetters Bild decke sich damit, dass in Lünen die Zahl der geschlossenen Läden gering sei und der Fluktuationsleerstand bei drei Prozent liege, so Linn. Sie sieht den Standort gut aufgestellt. Nach einer Untersuchung der Industrie- und Handelskammer sei Lünen eines der beliebtesten Mittelzentren zwischen Münsterland und Ruhrgebiet.
Dass zum Jahresende drei inhabergeführte Läden schließen, findet sie schade. Doch die Stadt könne nichts tun, wenn sich wie beim „Steckenpferdchen“ oder bei „Präsente Eckmann“ kein Nachfolger findet. Dass allerdings P&C viel modernisiert habe, wertet Linn als Bekenntnis zum Standort. Das Angebot insgesamt sei gut. Mancher wünsche sich zwar einen Laden für Kochtöpfe, „aber das macht heute kaum noch einer.“ Dafür gebe es einen Spezialanbieter, der auf dem Markt vertreten sei.
„Aus Einfachem das Besondere machen“, das ist Linns Credo für die Innenstadtentwicklung in Lünen. Die werde kompakter werden, mit neuen Nutzungen an den Rändern. Wie an der Bäckerstraße, wo sich inzwischen viel Dienstleistung findet. Lünen setze Shopping nicht an die erste Stelle. Man wolle Erlebnisräume schaffen, wo man sich trifft.
Strahlkraft über Lünen hinaus

Viel positive Resonanz habe Linn auf den Zeit-Artikel bekommen, auch von eher kritischen Lünern. Auch Andreas Zaremba spricht von einer Stadt, die aus seiner Sicht liebenswert sei. Erst kürzlich hat er auf Einladung in Potsdam einen Vortrag zur Innenstadt-Entwicklung gehalten. „Dass die Lünen im Fokus hatten, fand ich toll“, sagt er.
Das modern gestaltete Hertie-Haus hat längst bei Stadtplanern und Architekten Interesse geweckt. Zweimal kam der damalige NRW-Bauminister Michael Groschek (SPD) nach Lünen, auch Bundesbauministerin Barbara Hendricks schaute sich den Wandel an.
Wohnen in der City ist ein Zukunftsthema. Der Bauverein steht in den Startlöchern für sein Bauprojekt von 60 Wohnungen auf der ehemaligen Mercedes-Fläche. „Wir haben schon 200 Anfragen“, sagt Zaremba. Es seien vielfach auch Lüner, die ihr Eigenheim am Stadtrand verkaufen und in die City möchten.
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