Die Blattzeit hat für die Jäger gerade begonnen. Das ist die Zeit, in der sie auf Reh-Böcke ansitzen. Die Tiere sind nämlich aktuell etwas unaufmerksam, weil die Hormone mit ihnen durchgehen: es ist Fortpflanzungszeit. Die Paarungszeit bei Rehen nennt man Brunft. Während der Brunft kann es sein, dass vermehrt Rehe auf Straßen laufen, weil die Aufmerksamkeit der Tiere für ihre Umgebung abnimmt. Ihr Fokus liegt währenddessen eben woanders.
„Bei der Brunftzeit handelt es sich um einen Zeitraum von Mitte Juli bis etwa Mitte August, in der Rehe paarungsbereit sind. Dabei läuft das männliche Tier dem weiblichen Tier hinterher um sich fortzupflanzen“, erklärt Landwirt und Jäger Julian Freisendorf. Zum Problem werde es, sobald die Rehe Straßen überqueren und Autofahrer nicht rechtzeitig reagieren können.
Bei der Polizei in Lünen seien in 2023 bisher etwa 21 Unfälle mit Verdacht auf Wildbeteiligung gemeldet worden, sagt Carina Dupont, Pressesprecherin der Polizei Dortmund. In Selm wurden 2022 insgesamt 53 Unfälle mit Wildbeteiligung gemeldet und in Werne 79, teilt Christian Stein, Pressesprecher der Polizei Kreis Unna, auf Anfrage der Redaktion mit. Wie viele Rehe darunter waren, wisse man nicht so genau.
„Durch die Hormonumstellung verlieren die Böcke leicht die Wahrnehmung zur Umwelt und nehmen Autos so als eine geringere Gefahr da“, erklärt Klaus Jürgen Buse, Pressesprecher des Hegerings Werne. So kommt es vor allem in dieser Zeit zu vermehrtem Wildwechsel, also dem überqueren der Straßen von Rehen. An Stellen wo dies häufiger auftritt, ist der Wildwechsel durch ein dreieckiges Schild mit rotem Rand und einem Reh in der Mitte gekennzeichnet. Hier müssen Autofahrer besonders aufpassen.

Tageszeitabhängig sei die Brunft nicht, es komme aber bei der Morgen- und Abenddämmerung zu leicht erhöhter Aktivität der Tiere. Die Temperatur spiele ebenfalls eine leichte Rolle. So komme es bei höheren Temperaturen zu einem höheren Brunftverhalten. Der Anstieg sei aber nur gering, sagt Heinz Georg Mors, Leiter des Hegerings Selm. Bei zu heißen Tagen verlagere sich die Aktivität auch auf die Abendstunden. Eine Gefahr für den Menschen stellen die Tiere nicht dar. „Wenn man im Wald unterwegs ist, sollte man auf den dafür vorgesehenen Wegen bleiben und Hunde sollte man unbedingt anleinen“, betont Mors. Andernfalls stresse man die Tiere zusätzlich.
Auch auffällig sei die hohe Population der Tiere in diesem Jahr. Durch das gute Vorjahr und die bessere Rettung der Rehkitze, sei dies kein Wunder. „Das Retten von Rehkitzen war schon immer ein Problem, da nicht immer alle Kitze durch uns Menschen oder Spürhunde gefunden wurden. Deswegen setzen wir seit ein paar Jahren eine neue Drohnentechnik ein. So kann anhand einer Wärmebildkamera in der Drohne jedes Kitz im Feld gefunden und gerettet werden, bevor wir mit der Ernte beginnen“, erklärt Buse. Dazu wurden auch Fördermittel vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bereitgestellt, damit sich Landwirte diese Technik anschaffen können, um das Leben der Tiere zu schützen.

Wo sich besonders viele Rehe in Lünen, Selm und Werne aufhalten, kann man laut Freisendorf nicht sagen. Insgesamt sei die Aktivität flächendeckend und bei zu viel Unruhe wechseln die Tiere ihr Gebiet. Deswegen sei es beim Autofahren besonders wichtig aufmerksam zu sein und die Schilder für erhöhten Wildwechsel zu beachten.
Durch den häufigen Einsatz von Drohnen konnten also deutlich mehr Rehe gerettet werden als noch vor wenigen Jahren. Umso trauriger wäre es doch, wenn diese Tiere auf den Straßen landen, weil sie von Autos erfasst werden. Das Beachten von Wildwechsel-Schildern und vorausschauendes Fahren kann also Leben retten.