Andreas Kühn zeigt, wie hoch das Wasser im Keller stand. Dieser Raum war vor dem Hochwasser seine Werkstatt. Zahlreiches Werkzeug lagerte hier.

© Gerstenmaier

Vier Wochen danach: Betroffene des Hochwassers aus Niederaden erzählen

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Auch einen Monat nach dem Starkregen steht dem Ehepaar Kühn der Schock noch ins Gesicht geschrieben. Und auch wenn sie viel verloren haben, so hatten sie doch Glück im Unglück, meinen sie.

Lünen, Niederaden

, 14.08.2021, 20:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Vier Wochen sind vergangen, seit vielerorts in NRW und Rheinland-Pfalz innerhalb weniger Stunden so viel Regen niederging, wie normalerweise über mehrere Monate hinweg. „An diesem Tag haben wir in Unna gegen 11 Uhr unsere Arbeit eingestellt“, erinnert sich Andreas Siebeck (58) , „weil wir die Hand vor Augen nicht mehr sehen konnten. Als ich dann heimkam, war ich erst mal froh, auf der anderen Seite der Fensterscheibe zu sein. Gegen 17 Uhr ging es dann aber auch in Niederaden richtig los.“

Auch knapp einen Monat danach löst allein der Gedanke an jenen 14. Juli eine Bandbreite an Gefühlen in Heike Kühn-Siebeck und Andreas Siebeck aus: Von Schock, Trauer und Hilflosigkeit bis hin zu Freude, Dankbarkeit und Demut ist alles dabei. Das Ehepaar bewohnt ein zweistöckiges Haus. 250 Meter sind es bis zum Lüserbach, die Straße, an deren Ende das Paar wohnt, steigt leicht an. Im Keller gibt es auf 70 Quadratmetern eine Werkstatt, ein Büro mit Computer, ein Bade- und ein Gästezimmer, eine kleine Bar und einen feuerfesten Schrank, in dem die beiden ihre wichtigen Dokumente lagern. Außerdem steht die Waschmaschine dort und Heike Kühn-Siebeck (57) verwahrt Laken und Handtücher hier, die sie für ihre Massage-Praxis braucht. Heute ist nichts mehr davon übrig.

„Wir können nichts machen“

„Wir standen am Fenster und sahen das Wasser von den Feldern und die Straße rauf immer näher auf uns zukommen. Und das Schlimme war, dass wir wussten: Wir können nichts machen“, durchlebt Kühn-Siebeck den Tag erneut. Gegen 17 Uhr gingen die beiden im Keller nachsehen und schon zu diesem Zeitpunkt stand das Wasser kniehoch. „Wir stellten dann mal ein paar Dinge nach oben“, erzählt Andreas Siebeck, „wir gingen einfach nicht davon aus, dass das Wasser richtig hoch steigen könnte.“ Doch dann dringt Wasser durch die Fenster, aus den Abflüssen wird Wasser aus der Kanalisation in den Keller gedrückt. Als sie das nächste Mal nachsehen, reicht es schon bis zu den Kellertreppen: 1,55 Meter. „Es ist unvorstellbar, wo diese Menge an Wasser hergekommen ist“, merkt Siebeck an.

Ein Blick in den Keller am 14. Juli.

Ein Blick in den Keller am 14. Juli. © Kühn

Um 21 Uhr wird in der Siedlung der Strom abgestellt. Nachbarn werden mit Booten von der Feuerwehr aus den Wohnungen evakuiert. Die Kühn-Siebecks bleiben. Zum einen, weil sie erst seit wenigen Wochen eine Katze bei sich haben. Der Transportkorb war im Keller, alleine lassen wollten sie sie nicht. Außerdem wollten sie die Situation beobachten.

„Am nächsten Morgen war das ganze Wasser weg. Damit hat keiner gerechnet“, erinnert sich Andreas Siebeck. Doch alles im Keller war unbrauchbar geworden. Und nicht alles ist ersetzbar: Die Dokumente im feuerfesten Schrank zum Beispiel, darunter alte Schul- und Ausbildungszeugnisse, sind stinkig und unleserlich geworden, ob die Computer-Festplatte zu retten ist, ist fraglich. Und die alten Familienalben sind ebenfalls zerstört. „Aber immerhin haben wir überhaupt noch einen Keller, den wir renovieren können“, sagt Heike Kühn-Siebeck mit Blick auf schlimmer betroffene Regionen.

Gemeinsam mit Freunden schafften die Kühns all den Unrat aus dem Keller. Brauchbar ist davon nichts mehr.

Gemeinsam mit Freunden schafften die Kühns all den Unrat aus dem Keller. Brauchbar ist davon nichts mehr. © Kühn

Mit Hilfe von Freunden und Familienmitgliedern schafften sie den Unrat aus dem Keller. Arbeitskollegen halfen die Farbe von den Wänden zu kratzen, damit die Bautrockner arbeiten können. „Über diese Welle der Hilfsbereitschaft sind wir sehr dankbar“, sagt Kühn-Siebeck mit Tränen in den Augen. Alles in allem hätten sie sehr viel Glück gehabt. Nachdem vor zehn Jahren einmal das Dach ihres Schuppens unter Schneelast zusammen gebrochen war, hatte das Paar, anders als einige Nachbarn, eine Elementarversicherung abgeschlossen. Die wird wohl, aufgrund der vielen Fälle, mit denen sie derzeit konfrontiert ist, eine Weile brauchen, doch die ersetzbaren Dinge werden ersetzt.

„Man hat jetzt auf jeden Fall eine Wertschätzung für die Dinge, die man so hat. Wir werden jetzt weniger ansammeln und mehr loslassen. Dann tut es nicht mehr so weh, wenn die Katastrophe kommt“, resümiert Heike Kühn-Siebeck.