Das Wichtigste in Kürze:
- Zuletzt gab es Besorgnis unter den Mietern von WBG und Bauverein in Lünen wegen unbekannter Personen, die als Betrüger verdächtigt wurden.
- Die unbekannten Personen waren Mitarbeiter der Elektrofirma Wienholtund Horstmann, die wegen einer Änderung im Telekommunikationsgesetz (TKG) Informationsbriefe bezüglich Kabelanschlüssen verteilen sollten.
- Diese Änderung erfordert, dass Mieter nun selbst einen Vertrag mit einem Kabelanschlussanbieter abschließen müssen.
- Zuvor wurde das über den Vermieter abgerechnet.
- Wienholt und Horstmann, die bisher für die Kabelanschlüsse zuständig waren, verteilten circa 5000 Informationsbriefe, da nur 35 bis 40 Prozent der Mieter bis Anfang Juni einen neuen Vertrag abgeschlossen hatten.
„Sah alles andere als seriös aus“
Groß waren die Verwirrung und auch die Sorge vor Betrügern, als am Wochenende des 15. und 16. Juni in Wohnhäusern, die von der WBG und vom Bauverein zu Lünen vermietet werden, unbekannte Personen unterwegs waren. „Vorhin hat es bei uns geklingelt, eine junge Dame mit Kapuze auf dem Kopf hat sich als eine Beauftrage von der WBG ausgegeben, sie müsse für die Firma Wienholt & Horstmann einen Brief zustellen bezüglich des Kabelanschlusses!“, hieß es in einem Facebook-Post.
Für die Zustellung des Briefes bräuchte sie Namen und eine Unterschrift. Auf Nachfrage habe sie sich nicht ausweisen können. „Sie sah auch alles andere als seriös aus und ich hab schnell die Tür wieder zu gemacht“, schreibt sie und fragt abschließend nach ähnlichen Erfahrungen. „Heute auf dem Sonntag??? Das hat mit Wienholt und Horstmann niemals etwas zu tun haben. Außerdem wissen die den Namen der Kunden“, heißt es in einer der vielen Antwort. Ein User postete sogar Folgendes: „Die beiden (kriminelles Duo) wurde am frühen Nachmittag verhaftet. Der Nachbar meiner Oma hat die Polizei informiert, als er das Gespräch im Hausflur mitbekommen hat.“
Doch während sich viele solcher Fälle tatsächlich als unseriöse, betrügerische Haustürgeschäfte herausstellen, gibt es in diesem Fall eine logische, wenn auch nur teilweise seriöse, auf jeden Fall aber nachvollziehbare Erklärung.

Die junge Dame mit Kapuze auf dem Kopf erweist sich auf Nachfrage bei der Firma Wienholt und Horstmann (W & H) tatsächlich als Mitarbeiterin des seit 1945 in Lünen ansässigen Elektrounternehmens. Hintergrund ist die Abschaffung des so genannten Nebenkostenprivilegs: Bereits seit dem 1.12.2021 gilt eine Neuerung des Telekommunikationsgesetzes (TKG).
Die Kosten für einen Kabelanschluss (TV) wurden Mietern bisher über die Nebenkosten berechnet. Den Vertrag mit dem Kabelanschlussanbieter schloss also der Vermieter. Mit einer Übergangsfrist bis zum 1.7.2024 endet diese Regelung nun aber in wenigen Tagen. Dann ist es so, dass die Fernsehempfangsart durch den Mieter frei wählbar ist. Auch wenn er bei Kabel bleibt, muss er selbst einen Vertrag mit dem Anbieter abschließen. An den Kosten ändert sich in der Regeln nichts.
Der beschriebene Sachverhalt hat also folgenden Hintergrund: Die Elektrotechnikfirma W & H ist Betreiber aller Kabelschlüsse in Wohnhäusern, die von WBG und Bauverein betrieben werden. Bisher haben die beiden Wohnungsbaugesellschaften Sammelverträge für ihre Mieter (in Summe ca. 10.000) mit W & H als Elektrofirma, die die Kabelschlüsse auch gelegt hat, geschlossen.
W & H fungierte über viele Jahre und Jahrzehnte also als Betreiber der Kabelanschlüsse. Sie selbst wiederum hat einen Sammelvertrag mit Vodafone, das Telefon und Internet für die WBG- und Bauvereins-Mieter betreibt. Auch Störungen in der Leitung werden von W & H behoben. „Wir wissen ja nun schon seit vielen Jahren von dieser Gesetzesänderung“, sagt Reiner Horstmann, „und machen uns seit vielen Jahren Gedanken.“
Zu wenig Vertragsabschlüsse
Im Februar hatten die Genossenschaften Info-Briefe verschickt: Wer weiterhin seinen Kabelanschluss behalten wolle, müsse selbstständig einen Vertrag mit W & H oder eben einem anderen Anbieter schließen. Bis Anfang Juni habe es aber nur 35 bis 40 Prozent Vertrags-Rückläufe gegeben. Zu wenig für einen so großen Umsatz-Posten der Elektro-Firma. Die Kabelanschlüsse machten bis dato immerhin ein Viertel des Firmen-Umsatzes aus. Mit ihrer Briefe-Aktion hatte die Firma Aufmerksamkeit erregen wollen; noch einmal mehr Vertragspartner gewinnen wollen. „Letztes Anschreiben zur Änderung der TV-Versorgung zum 01.07.2024“, titelten die Briefe. „Jetzt handeln, um weiter Kabel-TV zu empfangen“ - wer nicht handele, dem werde der Anschluss abgeschaltet und bei einer Wiederfreischaltung entstünden Kosten. „Ohne Vertrag können Sie auch Internet und Telefonie von Vodafone ab dem 1.07.2024 nicht mehr nutzen, da sich das benötigte Stück Leitung dazu in unserem Eigentum befindet“, heißt es. Im persönlichen Gespräch räumen Reiner Horstmann und seine Tochter und Mitgeschäftsführererin Nina ein: „Theoretisch wäre es schon auch möglich, ein anderes Kabel zu nutzen.“
Das Thema bereitet den beiden Existenzängste.
15 Mitarbeiter hatten sie also an jenem Wochenende ausgeschickt, um mit der Briefaktion doch noch einige Verträge generieren zu können. Da die Namen der Mieter bisher aber nur den Vermietern bekannt waren, sie dem Datenschutz unterliegen, nutzte die Firma Listen derjenigen, die bereits Verträge abgeschlossen hatten. Anhand derer versuchten die Mitarbeiter zu ermitteln, welche Mieter noch fehlen. „Wegen der fehlenden Namen war es nicht möglich, die Briefe zu verschicken“, erklärt Nina Horstmann. „Wir haben uns also die Namen notiert und die Briefe gezielt eingeworfen. In Summe etwa 5000 Stück. Ein wahnsinniger Aufwand, der uns viel kostet.“
Rechtliche Grauzone
„Es ist nicht selten, dass ein Drittanbieter zwischen Vermieter und Telekommunikationsbetreiber sitzt“, ordnet Felix Flossmann, Leiter der Gruppe Recht bei der Verbraucherzentrale NRW, ein. „Und der hatte eben vorher tatsächlich keine Vertragsverbindung mit dem Verbraucher.“ Hauswurfsendungen sind ihm in diesem Zusammenhang schon begegnet. „Gerichtlich ist diese Art des Vorgehens sehr umstritten, eine Art Grauzone. Aber im diesem Fall ist es ein Ausnahmefall. Es ist ja auch im Sinne der Verbraucher, sie mit diesem Vorgehen zu erreichen.“
Und Justus Radke, Leiter des Kundemanagements bei der WGB sagt: „Bei uns (und auch beim Bauverein) haben sich aufgrund des Schreibens viele Mieter gemeldet. Durch das persönliche Gespräche konnte der Sachverhalt dann geklärt werden. Das Schreiben vom vergangenen Wochenende war leider nicht abgestimmt und aus unserer Sicht sehr unglücklich formuliert. Wir haben daher besprochen, die zukünftigen Schritte noch enger abzustimmen.“ Grundsätzlich sei W & H aber ein guter, langjähriger Vertragspartner.