Überführung statt Schranken an der Brunnenstraße in Lünen? Machbarkeitsstudie für Millionenprojekt

Überführung statt Schranken an der Brunnenstraße?
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Er ist ein Zeitfresser und ein Unsicherheitsfaktor: der Bahnübergang Brunnenstraße in Lünen. Es kommt vor, dass sich dort, 250 Meter entfernt vom Kreisverkehrsplatz Brunnenstraße/Moltkestraße, die rotweiße Schranke 38 Mal am Tag senkt und hebt. In der Spitze bleibt sie dann für zehn Minuten geschlossen, weil sieben Güterzüge passieren: eine Geduldsprobe für alle, die zügig zwischen Brambauer und Lünen unterwegs sein wollen, vorbei an der ehemaligen Steag-Fläche, der bedeutendsten Zukunftsfläche für industrielle Entwicklung in der gesamten Stadt. Mit einem neuen Haltepunkt ist dort aber nicht zu rechnen. Die Deutsche Bahn AG (DB) denkt nach eigenen Angaben derzeit nicht daran, Personenverkehr auf der Strecke zu führen. Entsprechend sei auch kein Haltepunkt angedacht. Die Idee, die Schranke überflüssig zu machen durch den Bau einer Unter- oder Überführung, ist in jedem Fall verlockend. Die Stadt Lünen hat dafür eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben.

Die Deutsche Bahn gibt die Zahl aller Bahnübergänge in Deutschland mit rund 13.500 an. 2008 waren es noch mehr als 20.000. Tendenz: weiter fallend. Auch der Bahnübergang in Lünen könnte zu den Bahnübergängen gehören, die künftig überflüssig werden. Wie sich das umsetzen ließe, hat das Ingenieurbüro Duksa aus Unna ermittelt.

An sich ist die Sache einfach: Wenn ein Bahnübergang wegfallen soll, braucht es entweder eine Überführung oder eine Unterführung. So weit die Theorie. In der Praxis ist das allerdings gar nicht so einfach. Denn die Bauwerke benötigen viel Platz und sind teuer. Dass sich die tief in den roten Zahlen steckende Stadt Lünen dennoch daran gemacht hat, eine Lösung für die Brunnenstraße zu entwickeln, hat mit einer neuen Rechtslage zu tun.

Gesetzesänderung zu Gunsten der Städte

Bis 2020 war es so, dass der Bund, die Bahn und die jeweilige Kommune jeweils ein Drittel der Kosten trugen, wenn es darum ging, Bahnübergänge zu beseitigen. Angesichts einer wachsenden Zahl von Städten und Gemeinden, die wie Lünen in der Haushaltssicherung stecken, stockte der Abbau der Bahnübergänge. Denn die Kommunen schafften es kaum noch, den Eigenanteil aufzubringen. Darauf reagierte der Gesetzgeber. Er beschloss Ende 2019 eine Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes. Seitdem trägt der Bund die Hälfte der Kosten, die Bahn ein Drittel und das Land, in dem die jeweilige Eisenbahnkreuzung liegt, ein Sechstel. Somit wird das bisherige kommunale Drittel zu gleichen Teilen von Bund und Ländern getragen.

Ganz für lau käme die Stadt Lünen aber nicht davon, wenn der Bahnübergang Brunnenstraße tatsächlich verlegt werden würde. Nach Auskunft von Hendrik Lütke Brintrup, dem Fachdienstleiter Straßenbau bei der Stadt Lünen, müsste sich Lünen etwa an der Verlegung des dritten Gleises beteiligen und Straßenanbindungskosten tragen. Zum Hintergrund: Die Brunnenstraße quert drei Gleise: Zwei Gleise gehören der Deutschen Bahn AG und ein Gleis dem Stadthafen Lünen. Die anteiligen Kosten, von denen Lütke Brintrup in einer Fachausschusssitzung Ende 2024 sprach, dürften allerdings kaum ins Gewicht fallen angesichts der Gesamtinvestitionssumme. Je nach Alternative - das Ingenieurbüro hatte jeweils zwei mögliche Unterführungen und zwei Überführungen ermittelt - beläuft sie sich auf 11,6 Millionen Euro bis 24,9 Millionen Euro oder noch deutlich mehr. Im Fall einer Überführung auf neuem Straßenverlauf haben die Gutachter bei den Kosten keinen Schätzwert angegeben, sondern sprechen lediglich von „sehr viel“.

Die Kosten sind aber nicht die einzigen Bewertungskriterien. Umweltverträglichkeit, Neigung, Flächenverbrauch und die Frage, ob ein Pumpwerk nötig sein würde, waren weitere Faktoren.

Die sicherste Variante ist teuer

Unterm Strich steht eine Variante, die am besten abschloss, allerdings mit fast 25 Millionen Euro auch die zweitteuerste ist: die „Unterführung auf einer neuen Achse“: „die sicherste und zukunftsorientierteste Variante“, wie es heißt, allerdings auch eine sehr teure.

Sie erlaube es, dass alle vorhandenen Grundstückszufahrten, ohne große Höhendifferenzen angebunden werden können. Ein weiterer großer Pluspunkt: Die Bahnbrücke und das sogenannte Trogbauwerk - zwei seitliche Stützwände und darüber eine Rampe als Verkehrsweg - können direkt an der richtigen Stelle errichtet werden, ohne dass die viel befahrene Brunnenstraße dafür gesperrt werden müsste. Es gibt aber auch Nachteile, auf die das Ingenieurbüro hinweist: Zum einen würde ein Pumpwerk nötig, zum anderen würde durch den Bau ein Eingriff in Grünflächen und in das angrenzende Naturschutzgebiet nötig werden. Immerhin: „Ein Teil der heutigen Brunnenstraße kann aufgrund der verlagerten neuen Trasse rückgebaut und entsiegelt werden“, halten die Verfasser der Machbarkeitsstudie dem entgegen.

Der Bahn „schmackhaft machen“

Die Machbarkeitsstudie liegt jetzt der Deutschen Bahn vor. Mit einer schnellen Antwort, ob und wann sie die Schranken an der Brunnenstraße abbaut, wartet im Lüner Stadtentwicklungsausschuss niemand. Die Bahn aufzufordern, an der Brunnenstraße tätig zu werden, wie es GFL-Fraktionsvorsitzender Andreas Dahlke vorschlug, sei nicht zielführend, meinte der zuständige Dezernent Arnold Reeker. Das Papier könne aber dazu führen, der Bahn den Bau irgendwann „schmackhaft zu machen“.

Der Bahnübergang Brunnenstraße in Lünen könnte demnächst ersetzt werden durch eine Unterführung. Bis dahin sind aber noch dicke Bretter zu bohren.
Der Bahnübergang Brunnenstraße in Lünen könnte demnächst ersetzt werden durch eine Unterführung. Bis dahin sind aber noch dicke Bretter zu bohren. © Günther Goldstein