Zwischen dem Wald an der Brunnenstraße und dem Mühlenteich hinter der Schlossmühle Lippholthausen liegen nur knapp 200 Meter. Doch für Kröten ist dieser Weg in ihr Laichgewässer tödlich. Schuld ist der Verkehr. Seit Jahren werden die Tiere deswegen von vielen Freiwilligen eingefangen und auf der anderen Straßenseite in ihrem Laichgewässer ausgesetzt. Doch in diesem Frühjahr gibt es eine traurige Premiere. Denn die Krötenzäune, die sonst immer entlang der Straße aufgespannt wurden, bleiben 2023 im Schrank. Genauso wie die im Boden eingelassenen Eimer.
Über 1800 Kröten hat der Lüner Arbeitskreis für Umwelt und Heimat vor zwölf Jahren über die Brunnenstraße geholfen. Ein Bild in einer alten Broschüre des Vereins zeugt von dieser Zeit: Linus Wopker, heutiges Mitglied, und seine Schwester Nele halten zwei der grünbraunen Tiere in der Hand. Doch volle Kröteneimer sind Geschichte. Bereits im vergangenen Jahr war die Population an dem Standort so niedrig wie nie zuvor. Das liegt vor allem an den „tödlichen“ Gegebenheiten vor Ort, wie es Achim Pflaume, Gründungsmitglied des Arbeitskreises, nennt.

Die Probleme liegen bereits einige Jahre zurück. Angefangen habe alles mit der wachsenden Industrie in der unmittelbaren Umgebung der Schlossmühle, erklärt Sabine Klemp vom Arbeitskreis. Laut dem Wirtschaftsförderungszentrum Lünen (WZL) gibt es in Lippholthausen derzeit vier Gewerbegebiete. Durch diese würde der Verkehr an der Brunnenstraße immer mehr und die Kröten immer weniger, fügt Klemp an.
Vereinseigenen Zahlen zufolge wurden 2013 an dem Standort noch 1269 Erdkröten an den Zäunen gezählt. 2018 waren es noch einmal 1337 Tiere, seitdem geht die Population immer weiter zurück. Im vergangenen Jahr landeten nur noch 70 Kröten in den Eimern. „Wenn die Anzahl auf unter 70 schrumpft, sagen Fachleute eigentlich, dass da nix mehr zu retten ist“, erklärt Pflaume.
Schlechte Wasserqualität
Der Verkehr ist aber nicht der einzige Grund für die sinkende Population. Vor ein paar Jahren sei der Mühlenteich immer schmutziger geworden, habe sogar angefangen zu stinken, berichtet Achim Pflaume. Eine vom Arbeitskreis in Auftrag gegebene Untersuchung der SAL ergab 2020, dass der Organik-Anteil (organischer Kohlenstoff, chemischer Sauerstoff) „zeitweise deutlich zu hoch“ war. Das geht aus einem Schreiben des Kreises Unna hervor, das dieser Redaktion vorliegt.
Zudem sei ein potenzieller Fehleinleiter in das Gewässer festgestellt worden.
„Durch Sofortmaßnahmen dieses Einleiters und die Umstellungen im Betrieb des Regenklärbeckens durch den SAL bei Trockenwetter hat sich die Situation am Regenrückhaltebecken und an der Einleitungsstelle in den Brunnengraben mittlerweile bereits sichtlich erholt“, heißt es in dem Schreiben weiter.

Achim Pflaume zeigt sich zwei Jahre später nicht wirklich überzeugt von den beschriebenen Verbesserungen am Mühlenteich. Das Wasser sei weiterhin verdreckt und damit nicht nutzbar als Laich-Ort für die Erdkröten. Bereits im vergangenen Jahre habe man kaum Vermehrungen in dem Gewässer beobachten können, weder Laichschnüre noch Kaulquappen.
2022 entschied sich der Arbeitskreis deswegen, gegen eine wichtige Regel bei der Krötenrettung zu verstoßen. „Wir haben die Tiere zum Teil woanders hingebracht. Das mögen die Kröten eigentlich gar nicht. Aber wenn man sie hier in das Dreckwasser setzt, gehen sie ja eh kaputt“, erklärt Achim Pflaume das Vorgehen.
Durch die derzeitige Wasserqualität unternimmt der Arbeitskreis dieses Jahr keine kurzfristigen Krötenmaßnahmen. „Die Anzahl ist so oder so zusammengebrochen. Wir haben nur noch Restbestände hier, die dementsprechend empfindlich sind“, so Pflaume. Seine Kollegin fügt an: „Die Population hat hier keine Chance.“

Auswirkungen auf das Ökosystem
Vereinsmitglieder fühlen sich in dieser Hinsicht „machtlos“. Vor allem die rasante Veränderung der Krötenanzahl stimmt Linus Wopker nachdenklich. „Ich war ja 2011 persönlich dabei. Dass die Natur sich so drastisch verändert, kommt einem sehr schnell vor.“
Die sinkende Krötenzahl habe auch direkte Auswirkungen auf das Ökosystem, erklärt Sabine Klemp. „Wenn es eine gute Population gibt, ist das ein Zeichen, dass Feuchtgebiete funktionieren. Und die brauchen wir wiederum für den Klimaschutz, für die Versickerung und als Wasserreservoire.“
Wenn sich an der Gewässerqualität nichts ändert, gebe es für die Kröten an der Brunnenstraße keine Zukunft, prognostiziert Achim Pflaume. Und auch wenn der Teich wieder zu einem guten Laichgewässer werden würde, brauche es eine Startpopulation. „Wir können ja schlecht in den Wald gehen und Kröten suchen. Wenn die Tiere einmal weg sind, sind sie weg.“