Ein fürchterlicher Unfall kostete einen Radfahrer (71) im Spätsommer 2023 in Lünen das Leben. Jetzt stand der Autofahrer, der die fatale Kollision verursachte, vor dem Amtsgericht. Der Vorwurf gegen den 50-Jährigen aus Dortmund: fahrlässige Tötung.
Die folgenschwere Kollision, deren Hintergrund offenbar dauerhaft im Dunkeln bleiben wird, ereignete sich am Nachmittag des 29. August 2023 auf der Kurler Straße. Der spätere Angeklagte fuhr mit seinem Peugeot in Richtung Norden, kam plötzlich nach links ab, geriet in den Gegenverkehr, rammte zunächst einen Leitpfosten und traf dann den Radfahrer, der durch die Wucht des Aufpralls durch die Luft geschleudert wurde. Der 71-Jährige wurde so schwer verletzt, dass er am 10. September 2023 verstarb.
Die Atmosphäre in Saal 127 des Amtsgerichts in Lünen spiegelte nun wider, was in Verfahren dieser Art zur brutalen Realität gehört und was auch Richter immer wieder betonen: Es gibt auf allen Seiten nur Verlierer – die Hinterbliebenen, denen keine Sanktion den geliebten Menschen zurückgeben kann und der Angeklagte, der mit seiner Schuld leben muss. Nicht anders war es in diesem Fall.

„Es tut ihm sehr, sehr leid. Das ist das Wichtigste, was er zu sagen hat“, betonte der Verteidiger. Der 50-Jährige bestätigte das, fügte aber direkt hinzu: „Das war einfach Schicksal. Ich wurde von links von der Sonne geblendet.“ Er habe die Orientierung verloren und als er wieder etwas gesehen habe, sei da der Radfahrer gewesen. Er habe einen Schock erlitten. „Ich war wie erstarrt. Die Leute haben geredet, aber ich habe kein Wort verstanden. Mein Kopf ist stehengeblieben.“ Die Richterin hakte nach: Aber er habe telefoniert. Der Angeklagte parierte: Er habe doch seiner Familie sagen müssen, dass ihm etwas Schlimmes passiert sei.
Noch einmal zu den Sekunden vor dem Unfall befragt, erklärte er: „Ich habe nur ein helles Licht vor mir gesehen und dann war der Mann vor mir.“ Er habe nicht überholen wollen, sei auch nicht anderweitig abgelenkt gewesen. Er könne sich das nur so erklären. Warum er das Steuer verrissen habe, wisse er nicht.
Der Nebenklagevertreter, Anwalt der Tochter des Verstorbenen, appellierte an den Angeklagten, den Hinterbliebenen doch noch die Ungewissheit zu nehmen, ihnen zu sagen, warum der Unfall passiert sei. Es gehe nicht um Strafe, sondern um die Chance, mit dem Tod des geliebten Menschen umzugehen. Der Angesprochene reagierte emotional, fast wütend: „Wissen Sie, wie es mir geht? Ich kann manchmal nicht schlafen.“ Die Richterin erinnerte ihn daraufhin, bei allem Verständnis für seine Situation, an die Hinterbliebenen und nicht zuletzt auch an den Verstorbenen. „Der wacht nicht nachts auf. Der wacht leider gar nicht mehr auf.“
Zeugen bestätigen blendende Sonne nicht
Vier Zeugen des Unfalls wurden gehört – alle sichtlich betroffen von dem, was sich an dem Tag vor ihren Augen abspielte. Blendende Sonne bestätigte keiner von ihnen. Eine Zeugin versicherte vielmehr, dass es in dem Moment bedeckt gewesen sei und kurz zuvor geregnet habe. Das wisse sie noch so genau, weil sie an sich ihr Auto habe waschen wollen und dann gedacht habe, dass das aber keinen Sinn mache. Ein anderer beschrieb den Angeklagten als sehr ruhig. „Ich glaube, er hatte selbst noch gar nicht realisiert, was er da gerade angerichtet hatte. Man hat keine Emotion in irgendeiner Form erkennen können.“
Die Vertreterin der Anklage sprach von einem Fall mit tragisch-unglücklichem Ausgang und wertete die Version des 50-Jährigen als Schutzbehauptung. Der habe das erforderliche Maß an Sorgfalt nicht eingehalten. Die Tochter des Getöteten äußerte ihre Gedanken und Gefühle. Sie beschrieb ihren Vater als warmherzigen, loyalen und liebenswürdigen Menschen. „Mein Vater hatte ein Recht zu leben.“ Der Angeklagte habe seinen Tod zu verantworten. Keine Bestrafung könne ein Ausgleich sein. „Eine Wiedergutmachung ist leider nicht möglich.“

Keine Klarheit für Hinterbliebene
Ihr Anwalt wurden in seinem Plädoyer sehr deutlich: Der Angeklagte habe zweimal versagt: am Tag des Unfalls und nun im Gerichtssaal, weil er die Karten nicht auf den Tisch gelegt habe. Aber genau das wäre so wichtig für die Angehörigen gewesen. „Wir werden nie rauskriegen, was passiert ist.“ Er war überzeugt, dass der 50-Jährige nicht geblendet wurde. Auch warf er dem vor, dass sich am Unfallort alle um das Opfer gekümmert hätten – nur er nicht. Und: „Nicht das Schicksal hat ihn überfahren. Das waren Sie.“
Der Verteidiger versicherte in seinem Schlussvortrag, dass sein Mandant einsehe, dass er sich falsch verhalten habe und dafür bestraft werden müsse. Und falls die Version mit dem Blenden eine Schutzbehauptung sei, dann habe der Angeklagte die vor sich selbst gesucht, um damit leben zu können. Das Verhalten des 50-Jährigen liege doch nur an Scham und Schuld.
Die Richterin sprach von einer tragischen Tat und einer schrecklichen Sache, für die der Angeklagte die Verantwortung trage. An ein Blenden wollte sie nicht glauben, aber daran, dass es auch für ihn schwierig ist, mit dem Geschehen umzugehen. Alle würden Fahrfehler machen, aber der des 50-Jährigen habe zu ganz schweren Folgen geführt. Nur, keine Strafe der Welt könne dazu führen, dass das Opfer wieder leben könne. Sie verurteilte den Mann, der zuvor nie negativ aufgefallen war, zu sechs Monaten Haft auf Bewährung. Hinzu kamen ein dreimonatiges Fahrverbot und 500 Euro Geldbuße. Am Ende wandte sich die Richterin an beide Seiten: „Ich hoffe, dass Sie alle lernen, mit dieser schrecklichen Situation zu leben.“