Stolpersteine in Lünen verlegt Die schockierenden Schicksale von Wilhelm Kaminski und Robert Köhler

Zwei Stolpersteine verlegt: Erinnerung an Wilhelm Kaminski und Robert Köhler
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Die Wirthstraße in Lünen-Horstmar ist eine ruhige Wohngegend: Doppelhäuser, gepflegte Vorgärten und perfekt getrimmte Hecken. Vor einem Holz-Tor vor der Hausnummer 15b glitzert ein goldener Stein auf dem Gehweg. Es ist ein Stolperstein. Einer von zweien, die am Dienstag (4. Juni) in Lünen vom Aktionskreis Lüner Stolpersteine verlegt wurden. Er erinnert an einen Mann, der sich gegen die Nazis gestellt hat, der aktiv in der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) war und der sein politisches Wirken mit dem Tod bezahlte. Der Stolperstein erinnert an Wilhelm Kaminski.

Er wurde 1904 in Dortmund geboren und lebte mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter an der Wirthstraße in Lünen. Neben seinem Beruf als Bergmann war er Parteifunktionär bei der KPD. Wegen dieses politischen Engagements wurde er bereits 1930 arbeitslos. Im April 1933 – nur wenige Monate nach der Machtergreifung der Nazis wurde Kaminski wegen „kommunistischer Umtriebe“ in seiner Wohnung verhaftet und im Gerichtsgefängnis Lübecker Hof in Dortmund eingesperrt.

Erst einige Wochen nach der Verhaftung durfte Rosa ihren Mann im Gefängnis besuchen. Doch der war kaum wiederzuerkennen. Schwere Misshandlungen waren sichtbar: Sein Gesicht war blutunterlaufen, voller Striemen und geschwollen. Was genau mit ihm passiert war, erzählte man der Frau nicht. Fünf Monate Haft hatte Kaminski bekommen, die er im Sommer 1933 absaß. Doch zu seiner Entlassung im August sollte es nicht kommen.

Am 25. Juli besuchte Rosa ihren Mann erneut, sah ihn in Begleitung eines Wärters noch über den Gefängnishof gehen, als er sich umdrehte und sie anlächelte. Nur gut zehn Minuten nach dieser Begegnung erfuhr sie, dass sich ihr Mann aufgehängt habe. Ein angeblicher Selbstmord sollte den Mord vertuschen. Aus der Beisetzung wurde ein Protest der Lünerinnen und Lüner. Zeugen berichteten, dass „hinter jedem Baum ein Gestapo-Mann“ gestanden habe.

Vor dem Haus an der Wirthstraße 15b liegt der Stolperstein für Wilhelm Kaminski. Dort lebte er mit seiner Familie und wurde 1933 verhaftet.
Vor dem Haus an der Wirthstraße 15b liegt der Stolperstein für Wilhelm Kaminski. Dort lebte er mit seiner Familie und wurde 1933 verhaftet. © Sophie Schober

Familiengeschichte aufarbeiten

Unter den Menschen, die am Dienstag bei der Verlegung des Stolpersteins dabei waren, war auch Helmut Droldner. Er ist der Enkel von Wilhelm Kaminski. Für ihn ist das Erinnern in Zeiten des Rechtsrucks besonders wichtig, an die Menschen zu erinnern, die sich schon in der Vergangenheit gegen die Nazis gestellt haben. Und Helmut Droldner ist stolz, dass er heute an seinen Opa erinnern kann. Denn seine Leidensgeschichte war nicht immer so präsent, wie sie heute in seiner Familie ist.

„Als meine Oma noch lebte, durfte darüber nicht geredet werden“, sagt er. Es sei ein Tabu-Thema gewesen, sie habe nach dem Krieg mit der Vergangenheit und dem Erlebten abschließen wollen. Wie auch im Rest der Gesellschaft war das Aufarbeiten der Nazi-Zeit in seiner Familie keine Priorität. Erst nach dem Tod seiner Großmutter wurde Wilhelm Kaminski wieder präsenter.

„Meine Mutter hat viele über ihn gesprochen, vor allem zum Ende ihres Lebens. Sie war schwer dement und ihr Vater war zuletzt jeden Tag Thema bei ihr“, sagt Helmut Droldner. Dann habe auch er sich mit der Lebensgeschichte seines Opas beschäftigt und unter anderem Briefe von ihm auf dem Dachboden gefunden. Diese Auseinandersetzung habe ihm noch klarer gemacht, dass man neugierig bleiben muss, Dinge hinterfragen und nicht einfach hinnehmen soll. Und am wichtigsten, findet er, und das gebe er auch immer wieder jungen Menschen mit auf den Weg: Nicht Uniformieren.

Robert Köhler starb in Dachau

Neben Wilhelm Kaminski wurde auch Robert Köhler gedacht und ein Stolperstein an der Jägerstraße 25 verlegt. Dort lebte er gemeinsam mit seiner Frau Anna und den beiden Kindern. Geboren wurde er 1884 in Moskau und war Arbeiter auf dem Lippewerk. Zwar gehörte er keiner Partei an, war aber zeit seines Lebens für seine antifaschistische Einstellung bekannt. Sein Engagement bei der Roten Hilfe Deutschlands – einer Organisation, die der KPD nahestand, brachte ihn ins Kreuzfeuer der Nazis.

Am 21. September 1939 wurde er wegen „Werkssabotage“ verhaftet und in das Polizeigefängnis Lünen verschleppt. Von dort aus kam er zuerst in die Dortmunder Steinwache und wurde später zuerst ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert und dann ins Lager nach Dachau. Dort kam er am 26. Februar 1941 ums Leben. Offiziell habe er ein „Versagen von Herz und Kreislauf“ erlitten.

57 Stolpersteine in Lünen

Mit den beiden Stolpersteinen an der Wirthstraße und der Jägerstraße gibt es insgesamt 678 dieser Erinnerungsmarker in der Stadt. Doch das sollen längst nicht die letzten sein, wie Udo Kath vom Aktionskreis sagt. Überall, wo Menschen Opfer des faschistischen Terrors der Nazis geworden sind, sollen Stolpersteine an die Schicksale der Leute erinnern. Dabei handle es sich aber nicht nur um jüdische Menschen oder Kommunisten. Es soll an alle Menschen erinnert werden, egal was der Grund der Verfolgung war.

Dabei ist Kath immer auch auf die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger angewiesen. So sei jemand aus Thüringen bei der Recherche zur eigenen Familiengeschichte gestoßen, der nun Kontakt mit dem Arbeitskreis aufgenommen hat. „In diesem Fall geht es um eine Zwangssterilisation“, so Udo Kath.

Zum Thema

Stolpersteine

  • Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das im Jahr 1992 begann.
  • Mit im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln, sogenannten Stolpersteinen, soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus (NS-Zeit) verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.
  • Die quadratischen Tafeln aus Messing mit abgerundeten Ecken und Kanten sind mit manuell mittels Hammer und Schlagbuchstaben eingefügten Lettern beschriftet.
  • Sie werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern von NS-Opfern niveaugleich in das Pflaster bzw. den Belag des jeweiligen Gehwegs eingelassen.