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Steag-Kraftwerk in Lünen: Bei den Abrissarbeiten wächst das Tempo
Mit vielen Fotos und Video
Das Steag-Kraftwerk ist ein Industrieriese, der seit 1938 Lünen prägt. Jetzt geht es ihm an den Kragen. Das Tempo der Abrissarbeiten hat angezogen, obwohl es noch keine Sprengung gab.
Ende 2018 hatte die Steag GmbH den Kraftwerksbetrieb an der Moltkestraße in Lünen eingestellt. Ein Jahr später erfolgte der Verkauf des 37,2 Hektar großen Areals inklusive sämtlicher Gebäude und Anlagen an die Hagedorn-Unternehmensgruppe. Ihre Aufgabe: eine neue gewerbliche Nutzung des Geländes für die Nach-Kraftwerks-Ära ermöglichen. Dafür sind Abriss-Arbeiten der Superlative nötig, die inzwischen in vollem Gange sind.
Ingo Schäfer ist der Projektleiter für Hagedorn in Lünen. „Ich kann mir vorstellen, dass es besonders den alten Kraftwerkern in der Seele weh tut, wenn sie sehen, was wir hier machen. Aber wir haben einen klaren Auftrag und da hat Nostalgie leiden keinen Platz“, sagt er. Stattdessen geht er mit Professionalität an die Herausforderung - und mit einem großen Team.
100 Mitarbeiter sind mit dem Abriss beschäftigt
Knapp 100 Mitarbeiter haben sich mit viel schwerem Gerät ans Werk gemacht, um die Bauwerke nieder zu reißen. Im Fokus liegt zurzeit das ehemalige Maschinenhaus, in dem die Turbinen und Generatoren untergebracht sind. „Wir haben das Gebäude in drei Sektoren zerschnitten, die wir nacheinander abarbeiten werden“, sagt Schäfer. „Dabei geht es nicht um die Rettung von Bauteilen, sondern um rationales Vorgehen.“
Das heißt konkret: Ein schwerer Bagger beißt sich mit seinen tonnenschweren Werkzeugen durch den Beton, bis am Ende die dort stehende Maschine - in diesem Fall die Bahnstromanlage - mit einem lauten Knall herunterfällt. Am Boden wird die Maschine dann in ihre Einzelteile zerlegt und entsorgt.
Um zu sehen, was bereits alles geschehen ist, bittet Antonio Lanzar-Tore, einer der beiden Aufsicht führenden Poliere, zu einer Rundfahrt über das Gelände. Das Fahrzeug gleicht dem Papamobil, nur dass es nicht über den Petersplatz fährt, sondern über das Gelände einer Industrie-Kathedrale.
Waschmaschinen für Anzüge und Masken mit Schraubfiltern
Bevor es losgeht, zeigt Lanzar-Tore den Waschsalon: In großen Industrie-Waschmaschinen drehen sich die Arbeitsanzüge der Mitarbeiter, die mit Schadstoffen in Berührung kommen. Trockner gibt es auch. Für den Einsatz Einmalanzüge zu nutzen, wäre zu aufwendig. Zu den Schutzanzügen tragen die Arbeiter Masken mit Schraubfiltern.
Vier schwere Bagger stehen draußen auf dem Gelände. Alle haben um oder über 100 Tonnen Eigengewicht. Für einen gibt es einen sehr langen Ausleger. Dadurch gelingt es, dass der Bagger seine Beißzange bis in 32 Meter Höhe bringen kann.
Die Abbrucharbeiten laufen zurzeit hauptsächlich an den kleinen Nebengebäuden und Anlagenteilen. Das Ziel: wirklich große Brocken freilegen, die dann später gesprengt werden können. „Wir haben feste Sprengtermine, auf die wir hinarbeiten müssen“, hatte Schäfer gesagt.
Abbruchmaterial bleibt erst einmal vor Ort
Das Abbruchmaterial bleibt zunächst größtenteils noch auf dem Gelände. Schrott wird zerlegt und sortiert abgelegt. Bauschutt wird später geschreddert und soll dann zum Verfüllen wieder eingesetzt werden, wie es heißt. Bei der Rundfahrt begegnet Lanzar-Tore einer Gruppe junger Männer: die aktuellen Azubis, die ein duales Studium absolvieren. „Sie bekommen hier die verschiedenen Arbeitsmethoden gezeigt und erläutert.“
Das Papa-Mobil macht auf der anderen Kraftwerksseite Halt: da, wo die ehemaligen Kesselhäuser stehen. „Hier gelten ganz besondere Arbeitsbedingungen“, sagt der Polier.
Handarbeit beim Abbau des Dämm-Materials
„Die Dampferzeuger sind mit dicken Paketen Dämm-Material umhüllt, das wir händisch abbauen und in Säcken verpacken müssen“, ergänzt er. Abbruch wird hier zur Handarbeit. Die Beseitigung dieses Materials sei die Voraussetzung für die Sprengung. Schließlich sei zu verhindern, dass Mineralstäube in die Luft geblasen würden. Damit auch während der jetzt laufenden Arbeiten nichts nach draußen gelangt, ist das Gebäude abgedichtet und wird durch ein riesiges Gebläse belüftet.
Beaufsichtigt und begleitet werden alle Arbeiten am Kraftwerk von der Bezirksregierung, einem Ingenieurbüro und Sicherheitsbeauftragten.
Diese Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten, ist Alltag für das Hagedorn-Team. In diesem Jahr kommt noch etwas anderes dazu: die weltweite Corona-Pandemie und ihre Folgen. „Natürlich haben wir neben allen selbstverständlichen Sicherheitsvorschriften auch noch die Vorkehrungen in Sachen Corona getroffen“, hatte Projektleiter Ingo Schäfer vor Beginn der Rundfahrt gesagt. „Unsere Arbeitstrupps sind in kleine Gruppen aufgeteilt, um die Hygienemaßnahmen umsetzen zu können.“
Letzte Station unserer Rundfahrt ist der große Aufenthaltsraum am Rande der Fläche. Nach jedem Frühstück reinigen und desinfizieren zwei Mitarbeiter den kompletten Raum.
Warnung an Metalldiebe und Lost-Places-Abenteurer
Antonio Lanzar-Tore parkt sein kleines Gefährt wieder ein. Er hat noch eine Botschaft an alle, bei denen eine so große Abbruch-Baustelle vielleicht Begehrlichkeiten wecken könnte: „Das Gelände wird in der Nacht durch Hundeführer gesichert. Da haben Metalldiebe keine Chance.“ Das seien nicht die einzigen, die mit Begehrlichkeiten hinter den Bauzaun schauten. Es gebe auch noch Leute, die sich gerne an sogenannten „Lost Places“ fotografieren wollen. „Das ist hier im Dunkeln lebensgefährlich!“ Und auch wenn eine Ära zu Ende gehe, verloren sei der Ort keineswegs. Ihm stehe eine große Zukunft als Lünens neuer Gewerbestandort bevor.
Die Welt besteht aus vielen spannenden Bildern, man muss sie einfach nur festhalten.