Adolf Spindler ist mit 62 Jahren der Senior im Circus Casselli und liebt das Zirkusleben mit den Menschen und Tieren: "Im Wohnwagen kam ich zur Welt."

Adolf Spindler ist mit 62 Jahren der Senior im Circus Casselli und liebt das Zirkusleben mit den Menschen und Tieren: "Im Wohnwagen kam ich zur Welt." © Daniel Magalski

Seiltanz macht im Circus Casselli in Lünen mittwochs nur die Wäsche

rnBesuch beim Zirkus

Zuschauer kennen meist nur die Artisten, die Clowns, die Show im bunten Zirkuszelt. Zirkus hat aber auch eine andere Seite hinter den Kulissen - wie beim Circus Casselli in Brambauer.

Brambauer

, 13.05.2022, 08:30 Uhr

Mittwoch ist frei für die Zirkusleute, dann ist in Lünen keine Vorstellung. Den Tanz auf dem Seil macht deshalb am Mittwoch (11. Mai) nur die Wäsche. Handtücher und T-Shirts wehen auf der Leine zwischen den Wohnwagen im Wind. Der Geruch von Nudeln mit Sauce wabert aus einem der fahrbaren Häuser über den Platz. Mittagszeit im Circus Casselli.

Eine Wiese an der Zechenstraße in Brambauer, die ein Landwirt zu Verfügung stellte, ist in Lünen ihr Zuhause auf Zeit. „Landwirte sind immer sehr zuvorkommend, wenn wir die nicht hätten, könnten wir viele Städte nicht bereisen“, lobt Adolf Spindler vom Circus Casselli. In Brambauer hatte der Bauer nicht nur Platz für den Zirkus, sondern auch die Tiere. Im Sonnenschein kauen die beiden Kamele auf der Weide direkt neben den Wohnwagen frisches Gras, nebenan stehen die Ponys und die Andalusier-Pferde.

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Circus ist bei den Cassellis Familiensache

Zirkus ist Familiensache bei den Cassellis - in der Manege und hinter den Kulissen. In Lünen machte das Familienunternehmen zwei Wochen Station.
13.05.2022

Adolf Spindler ist mit 62 Jahren der „Senior“ im Zirkus-Team Hope. Emilia Renz mit eineinhalb Jahren die Jüngste. 22 Menschen reisen in dieser Saison mit dem Circus Casselli. Der Name Renz ist für Zirkusfans ebenfalls ein bekannter und das hat einen Grund. „Zirkusfamilien sind groß, da fährt der mal dort mit und der andere mal dort“, erklärt Spindler. „Die Zuschauer sehen so immer andere Gesichter.“

Online-Unterricht schon vor Corona

Die Kinder sind am Mittag noch in der Schule, die steht kaum zehn Meter neben ihrem Zuhause. Zwei Wohnmobile der Schule für Circuskinder in Nordrhein-Westfalen der Evangelischen Kirche im Rheinland rollen zwei Mal in der Woche an: Im Inneren erinnert vieles an einen Klassenraum. Lehrer Wolfgang Lauff unterrichtet hier Jack und John Hicks, im Wagen nebenan haben weitere Zirkuskinder Unterricht. Den Rest der Woche lernt der Zirkus-Nachwuchs am Computer. Zirkuskinder kannten Online-Unterricht schon weit vor der Pandemie.

Jack und John Hicks müssen nicht zur Schule gehen, denn die Schule kommt zwei Mal in der Woche  zu ihnen: Im Wohnmobil unterrichtet sie ein Lehrer.

Jack und John Hicks müssen nicht zur Schule gehen, denn die Schule kommt zwei Mal in der Woche zu ihnen: Im Wohnmobil unterrichtet sie ein Lehrer. © Daniel Magalski

Adolf Spindler ist froh, dass sie wieder reisen und auftreten dürfen, die Corona-Pause war eine harte Zeit. „Im Zirkus sind wir es gewohnt, unsere Freiheit zu haben und unsere Arbeit zu machen, aber über Monate ein und dieselbe Stelle zu sehen, das kennen wir so nicht“, erklärt das Zirkus-Urgestein.

Im Wohnwagen wurde Adolf Spindler geboren, das ist seine Welt. Chef ist er heute zwar nicht mehr, das war er früher in seinem eigenen Zirkus. Der Rücken macht aber nicht mehr mit, dazu kamen im Laufe der Jahre zwei Herzinfarkte.

Kraftstoff ist ein Kostenfaktor

Spindler unterstützt nun im Circus Casselli. Tochter Angela und ihre Mann Giovanni Alois Kaselowsky leiten das Familienunternehmen. Die Eheleute sind heute auf Tour, wie so oft: Termine bei Behörden stehen dann an oder die Suche nach neuen Plätzen. Wer Zirkus macht, ist irgendwie immer auf Achse.

Angela Kaselowsky steht nachmittags als Seiltänzerin in der Manege im Circus Casselli - und kümmert sich außerhalb des Zelts um den Haushalt. Das Zirkusleben hat auch weniger schillernde Seiten.

Angela Kaselowsky steht nachmittags als Seiltänzerin in der Manege im Circus Casselli - und kümmert sich außerhalb des Zelts um den Haushalt. Das Zirkusleben hat auch weniger schillernde Seiten. © Daniel Magalski

In Zeiten, in denen die Preise für Kraftstoff in die Höhe schießen, ist jede Fahrt auch ein Kostenfaktor. Diese Kosten könne man aber nicht einfach unbegrenzt auf die Preise für den Eintritt umlegen, ist Adolf Spindlers Sicht.

„Die Leute können das auch nicht alles zahlen, das wissen wir selbst, vor allem nicht die Familien mit Kindern.“ Der Senior hat dabei die Gelassenheit des alten Hasens. „Zirkus macht man sowieso nicht, um Millionär zu werden und dann gibt es bei mir halt mal eine Scheibe Brot und ein Stück Speck.“ Seine Eltern machten das schon so und erst recht die Großeltern im Krieg. Das Publikum zahlte damals auch ab und zu noch mit Lebensmitteln.

Traumwelt für zwei Wochen

Hilfe, so berichtet Adolf Spindler, bekommen sie auch heute noch: Eine Frau brachte einen Wocheneinkauf als Spende vorbei, eine andere Möhren und Hafer für die Tiere. „Das Interesse an unserer Arbeit freut uns“, sagt Spindler „und wir freuen uns, kommen die Menschen nach der Vorstellung mit einem Lachen aus dem Zelt.“

Spindler ärgert sich, wenn er vor der Wahl Plakate überall an den Laternen und Zäunen sieht: „Wir Zirkusleute haben es da viel schwerer: Wir müssen in jeder Stadt aufs Neue die Erlaubnis für unsere Plakate einholen und hören nicht selten ein Nein, dabei ist Werbung im Zirkus doch die halbe Miete.“

Wenn Reparaturen anstehen, dann ist das Markus Renz Job. Der Roller hat dieses Mal einen Platten.

Wenn Reparaturen anstehen, dann ist das Markus Renz Job. Der Roller hat dieses Mal einen Platten. © Daniel Magalski

Sonntag sind die zwei Wochen in Lünen schon wieder vorbei, dann baut der Zirkus ab und zieht mit über zwanzig Wagen weiter nach Selm. Innerhalb von fünf Stunden entsteht dann dort für die nächsten zwei Wochen die Traumwelt Circus Casselli für das Publikum - mit dem fast total normalen Leben hinter den Kulissen.

Vorstellungen

In Lünen macht der Circus Casselli noch bis Sonntag, 15. Mai, an der Zechenstraße Station. Vorstellungen sind am Freitag, 13. Mai, und Samstag, 14. Mai, jeweils um 15.30 Uhr, am Sonntag schon um 11 Uhr.