Ich habe jemanden kennengelernt. Einen Engländer. Er arbeitet in einem ganz anderen Bereich als ich, ist Vater eines Sohnes, der hier gerade dem Grundschulalter entwachsen wäre. Sein Wissensstand des deutschen Schulsystems entspricht in etwa meinem Wissensstand seiner Arbeit.
Wir unterhalten uns viel - in einer für mich fremden Sprache. Seither ist meine tiefe Achtung gegenüber den Eltern meiner Schule, die die deutsche Sprache nicht gut beherrschen und mir trotzdem einen komplizierten Sachverhalt in einer für sie fremden Sprache erklären wollen, sehr gestiegen.
Da bleibt es nicht aus, dass er mir manchmal von schwierigen Bedingungen erzählt. Letztens war es das Unterwasserschweißen, um Undichtigkeiten in Rohren zu verhindern. Mich interessierte das, deshalb habe ich nachgefragt. Die Ausführung war lang. Und kompliziert. Ich habe mich bemüht alles zu verstehen. Ehrlich. Aber nach einiger Zeit schien mein Gehirn auf „Standby“ zu schalten. So stelle ich es mir von innen vor, was von außen ein „glasiger Blick“ genannt wird. Und während ich zuhörte, dachte ich darüber nach, dass ich es so genau doch auch gar nicht zu wissen brauche. Eigentlich entnahm ich den Ausführungen doch hauptsächlich, dass da einer zu wissen scheint, was er tut. Meine erste Unruhe bei der Vorstellung von dem, was schief gelaufen zu sein scheint, machte dem Gefühl von Vertrauen Platz: Du wirst das schon machen. Offensichtlich weißt du, wie es geht.
Und es bleibt auch nicht aus, dass ich manchmal meinem Ärger über ungünstige Bedingungen unseres Schulbetriebes freien Lauf lasse. Er fragt dann nach, möchte es genauer erklärt bekommen. Das lässt sich machen, denke ich (und auch noch: nichts leichter als das).
„Ich kann den glasigen Blick hören“
Ich lege los: Das Ziel ist es den Kindern möglichst individuell zu begegnen. Einigen fällt das Lernen leichter, anderen schwerer. Eine erste Zwischenfrage: „Was bedeutet ‚im Einzelfall‘?“ Naja, … das kann man jetzt so einfach nicht sagen. Da muss man genauer hinsehen. Es kann sein … Nach einer etwa halbstündigen Erklärungszeit kann ich den glasigen Blick durch das Telefon quasi hören.
Zum ersten Mal denke ich: Vielleicht ist es ja auch gar nicht nötig, dass ich alles aus anderen Berufszweigen verstehe. Beispielsweise, wie die Buchhaltung genau funktioniert. Oder beim Produktionsablauf bei der Herstellung von Medikamenten. Da reicht es mir zu wissen: das sind Fachleute. Wichtig ist es doch eigentlich nur, dass sie wissen, was sie tun. Dann kann ich mich beruhigt mit den Dingen meines Lebens beschäftigen, die mir wichtig sind und die ich verstehe.
Sollten wir das einfach auf die Schule übertragen? Wie wäre es darauf zu vertrauen, dass die Mitarbeiter/innen der Schule das, was sie tun, schon richtig machen. In fast jedem Einzelfall. Und das wäre auch dann noch so, wenn ich als Elternteil nicht ganz genau verstehe, was da gerade hinter einer Maßnahme steckt, warum genau in dieser Reihenfolge vorgegangen wird oder warum etwas anders gemacht wird als ich es schon einmal gehört habe.
Mir selber kommt die Idee gerade richtig gut vor. Allerdings würde ich als Elternteil trotzdem nicht aufhören mir Gedanken darüber zu machen, wie ich mein Kind am besten fördern kann. Und was wohl das Beste für die Entwicklung meines Kindes wäre.
jedem sein Spezialgebiet
Ich würde einen Teil der Verantwortung des Gelingens guter Bildung bei mir sehen. Ich würde nicht alles aus der Hand geben. Ebenso wie ich von einem Buchhalter nicht erwarte, dass er meine Steuererklärung direkt mit erledigt, bloß weil er sich doch gut mit Formularen auskennt und ebenso wie ich nicht von den Mitarbeitern der Produktion von Medikamenten erwarten würde, dass sie mir die für mich passende Medizin direkt vorbeibringen, würde ich auch nicht erwarten, dass „die Schule“ mein Kind umfassend nicht nur bildet, sondern auch erzieht, begleitet bei allen persönlichen Schwierigkeiten auf seinem Lebensweg und mein Kind als einen persönlichen Schützling in allen Lagen aufnimmt.
Und: Das ist gleichzeitig ein Auftrag an uns Lehrer. Wenn ich möchte, dass andere mir vertrauen, dann muss ich mich vertrauenswürdig (gegenüber allen) verhalten. Wenn ich als kompetent wahrgenommen werden möchte, dann muss ich mich bilden, weiterbilden und interessieren für die Belange meines Berufes und die speziellen Problemlagen des Einzelfalles. Ich muss mich wohlwollend verhalten, auch wenn ich schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht habe. Auch, wenn mir das Verhalten des anderen gerade unangemessen erscheint. Und auch ich als Lehrer muss mir darüber klar sein, dass ich nicht das Recht habe den gesamten Lebensbereich anderer direkt mit zu organisieren. Manches von dem, was ich sehe, geht mich gar nichts an und ich kann es nur bedingt verstehen, weil ich nur einen kleinen Teil sehe.