So sieht es auf einer morgendlichen Busfahrt in Brambauer aus. © Nora Varga

Corona

Schulbusfahrt während Corona: Es ist eng wie in einer Sardinen-Büchse

In Schulbussen ist es traditionell etwas enger, während Corona sollten eigentlich mehr unterwegs sein. Unsere Reporterin hat getestet, wie voll es in den Schulbussen morgens ist.

Brambauer

, 21.11.2020 / Lesedauer: 5 min

Mir ist kalt. Es ist sehr früh und ziemlich kalt. Ich stehe im morgendlichen Dämmerlicht in Brambauer an der Bushaltestelle „Brambauer Verkehrshof“ und warte auf den Schulbus, alles fühlt sich an, wie in meiner eigenen Schulzeit. Nur war ich damals zu eitel für die festen Winterschuhe, die ich heute trage. In meinen Schulzeit-Turnschuhen hätte ich bei diesen frühwinterlichen Temperaturen Eis-Füße gehabt.

Mit mir an der Haltestelle stehen vielleicht 20 Jugendliche, einige rauchen, stehen in Gruppen und unterhalten sich gedämpft. Man merkt, dass es kurz nach sieben in der Frühe ist. So richtig wach bin ich selbst nicht. Zwei Mädchen mit den erwähnten coolen Turnschuhen wickeln sich in ihre dicken Schals und zeigen sich Tanzvideos auf ihren Handys. Viele schauen einfach müde auf den Asphalt.

Aus der U41 kommen immer mehr Kinder und Jugendliche zur Haltestelle. Wenn auch viele Maske tragen, Abstand halten die Gruppen zu- und untereinander nicht. Wenn man den Abstand von 1,5 Metern einhalten wollte, dann hätten sich einige schon fast auf die andere Straßenseite stellen müssen. Um kurz vor halb acht fährt die C1 Richtung Hauptbahnhof Lünen vor. Der Bus ist schon ziemlich voll als er eintrifft, aber als alle im Bus sind, fühlt es sich an wie in einer muffigen Sardinenbüchse. Ich komme noch nicht einmal bis in die Mitte des Gelenkbusses, schon im Gang muss ich stehenbleiben.

Der geschätzt 15-Jährige neben mir hat sich heute für eine extra Portion Deo entschieden. Ich muss so nah an ihm stehen, dass der Duft mir direkt in die Nase sticht. Der komplette Bus ist voll, selbst im Eingangsbereich des Busfahrers stehen die Schüler dicht gedrängt. Als der Bus losfährt, kann man sich kaum irgendwo festhalten, hinfallen kann man allerdings auch nicht. Ich würde nur wie ein Domino-Stein gegen den Deo-Jungen stoßen. Schon an der nächsten Station stehen wieder ungefähr zehn Kinder. Alle werden noch erbarmungsloser in den Gang zusammengepresst. Jetzt stehe ich so nah an dem Jungen, dass ich die Musik, deutsche Rapmusik, aus seinen Kopfhörern glasklar hören kann.

An der nächsten Haltestelle steht eine Mutter mit ihrem Sohn und wartet. Er hat wie ein vorbildliches Bus-Kind ein Umhänge-Portmonee mit dem Ticket hinter dem Plastiksichtfenster um den Hals hängen. Der Sauberkeit seiner neuen Tasche nach, ist er wahrscheinlich im Sommer eingeschult worden. Als seine Mutter den Bus sieht, schüttelt sie den Kopf sagt etwas zu dem Jungen und die beiden gehen. Wenn er Glück hat, wird er jetzt mit dem Auto gebracht.

Aufgekommen ist das Problem der vollen Busse durch eben solche Eltern, die sich bei der SPD in Brambauer beschwert haben, die Busse seien zu voll. Als dies in der ersten Lüner Ratssitzung zur Sprache kam, wurde auf die Erhöhung des Bus-Kontingents verwiesen.

Die Verkehrsgesellschaft Kreis Unna (VKU) weiß um das Problem, aber die Lage im Bus scheint die Lage bei der VKU ganz gut widerzuspiegeln. Auf ihrer Internetseite heißt es: „Alles, was wir momentan an Bussen und Fahrpersonal zur Verfügung haben, ist im Einsatz! Mehr Kapazitäten gibt es derzeit leider nicht!“ Die Pressestelle der Stadt Lünen erklärt zu den Bussen aus Brambauer: „Die Stadt hat im Nachgang zum Ausschuss für Bildung und Sport (23. September) Ende September, bei der der VKU nachgefragt, wie es um die Linie aus Brambauer steht. Nach Auskunft der VKU gegenüber der Stadt ist die Linie verstärkt worden. Zudem seien die Fahrerinnen und Fahrer angehalten worden, die Fahrgastzahlen zu ermitteln. Das Ergebnis dieser Erhebung war, wie uns die VKU mitteilte, dass die Gesamtkapazitäten ausreichten und es auch keine weiteren Beschwerden gegeben habe.“

Das „Das-ist-nicht-richtig-Gefühl“

In der Corona-Zeit habe ich eine neue Art von Unwohlsein entdeckt. Wenn Menschen in Filmen aus Vor-Corona-Zeiten in Massen zusammenstehen oder in lange vorher aufgezeichneten Quizshows die Kandidaten einander in den Armen liegen und sich die Hände schütteln. Immer dann habe ich dieses Das-ist-nicht-richtig-Gefühl. Genau dieses Gefühl habe ich auch in diesem Bus. Es ist Monate her, dass ich fremden Menschen so nah war wie in diesem Bus, dabei fahre ich regelmäßig Bahn.

An der nächsten Haltestelle müssen zum ersten Mal Kinder stehen bleiben. Auch wenn immer einige aussteigen, passen einfach nicht mehr Leute in den Bus. Mittlerweile sind wir seit gut 15 Minuten unterwegs. In dem Vierer-Rondell neben meinem Stehplatz vergleichen zwei Jungen ihre Hausaufgaben. Tatsächlich tragen im Bus alle Masken und zwar richtig. Keiner lässt seine Nase raushängen oder verwendet eines dieser kleinen, zweifelhaften Plastik-Visiere, wenigstens etwas.

Eigentlich war es für dieses Experiment mein Plan vom Betriebshof bis zu einer stark frequentierten Bushaltestelle zu fahren, auszusteigen und mir den Betrieb ein wenig anzusehen. Der Plan fällt grandios ins Wasser, weil ich den Bus nicht einmal verlassen kann, so voll ist es. Es müssten ungefähr 20 Leute aussteigen, damit ich zur Bustür gelangen könnte. Ich verwerfe also meinen Plan und bleibe in der C1 Richtung Hauptbahnhof.

Uwe Greif ist bei der VKU Leiter des Fahrbetriebes in Lünen. Er habe in der letzten Zeit keine Beschwerden über die Linien C1 oder 109 erhalten. Die Linien haben denselben Weg. Uwe Greif: „Auf der Linie 109 werden momentan drei Zusatzautos eingesetzt.“ Mit unserer Testfahrt konfrontiert erzählt Greif, dass die Kapazitäten zwar da seien, aber nicht optimal genutzt würden: „Der letzte Wagen der 109 fährt fast immer leer hinterher.“ Gesetzlich wäre es möglich, dass 120 Leute in einem Gelenkbus fahren. Die VKU hat sich das Ziel gesetzt, diese Regelung nicht auszunutzen. Uwe Greif vermutet, dass viele nicht wissen, dass es noch weitere Fahrzeuge gibt.

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Meine heimliche Hoffnung nach 20 Minuten Busfahrt ist, dass alle anderen die Corona-App installiert haben. Lange genug nah aneinander stehen wir auf jeden Fall und ein Handy haben auch fast alle in der Hand. An der Steag-Kraftwerk-Station versucht ein Mann auszusteigen. Alle schieben und quetschen, ein Junge hat meinen Rucksack halb im Gesicht. Es tut mir ziemlich leid, aber ich weiß nicht wohin sonst.

Mein Versuch zu zählen wie viele Leute in dem Bus stehen scheitert daran, dass ich zu klein bin um über die zig Köpfe zu schauen und der hintere Teil des Gelenkbusses wird von einer Mauer von Rucksäcken und Menschen versperrt. Ich kann es nicht mir Sicherheit sagen, aber es könnten um die 100 Leute gewesen sein. Die Luft wird von Minute zu Minute stickiger und erinnert an Geruch einer Turnhallen-Umkleide. Zu Schulzeiten hätte ich gesagt: „So ist Busfahren eben.“ Schulbusse sind einfach chronisch voll. Mit Corona bekommt die dünne Luft einen ganz anderen Beigeschmack.

Nach mehr als einer halben Stunde in einer rollenden Kiste mit etlichen Fremden bin ich unendlich erleichtert, an der Persiluhr auszusteigen. Zwar sind fast alle Jugendlichen schon zwei Stationen früher ausgestiegen, aber endlich draußen an der frischen Luft zu sein tut gut, auch wenn die Luft durch die Maske kommt. Ich gehe die paar Schritte bis in die Redaktion und freue mich, dass nach dieser Sardinen-Büchsen-Busfahrt keine Doppelstunde Mathe, sondern ein frischer Kaffee auf mich wartet.

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