
© Günther Goldstein
Riesenüberraschung: Lüner Victoria-Brache wird doch nicht Gewerbefläche
Stadtentwicklung
Was aus Lünens letzter Zechen-Brache werden soll, ist seit Jahrzehnten ein Thema. Gewerbliche Nutzung war dabei immer eine Option. Damit ist jetzt Schluss - mit Rücksicht auf vier Bewohner.
Was der Fachbereichsleiter der Abteilung Stadtplanung, da am Dienstagabend im Ratssaal (30.11.) mitteilte, war eine Riesenüberraschung: für manche eine beglückende, für andere ein Schock. Thomas Berger selbst sprach die Sache eher beiläufig an.
„Wir haben den Entwurf um vier Hektar reduziert“, sagte er mit Blick auf den Zukunftsgarten. Das Millionen-Projekt innerhalb der Internationalen Gartenausstellung (IGA) 2027 will das einstige Zechengelände Victoria I/II in einen Touristenmagneten verwandeln - die einmalige Chance für die Stadt, die insgesamt mehr als 40 Hektar große Brache zu sanieren und einer neuen Nutzung zuzuführen: als Freizeit- und Erholungsfläche, aber auch als Standort der Forensik, als Wohnfläche und auch als Gewerbefläche. Letzteres ist seit Dienstag Geschichte.
Vier Brutpaare auf vier Hektar Fläche
Die in Absprache mit dem Landschaftsarchitekturbüro Greenbox aus Köln aus dem Entwurf gestrichenen vier Hektar liegen im Nordosten der Brache - genau da, wo die Stadt eigentlich Gewerbe ansiedeln wollte: ein Standort, der „der nachhaltigen Stadtentwicklung Rechnung trägt“, wie es noch 2018 im Gewerbeentwicklungskonzept der Stadt Lünen hieß. Jetzt wird die Fläche noch mehr Nachhaltigkeit Rechnung tragen.
„Dort sind artenschutzrechtliche Maßnahmen nötig“, formulierte es Thomas Berger in bestem Verwaltungsdeutsch. Erst auf Nachfrage wurde die Sache anschaulich: Auf der ehemaligen Industriefläche, die zuletzt der Natur überlassen war, haben seltene Vogelarten ihr Brutrevier gefunden. Genau gesagt: vier Vogelpaare - zwei Paare Heidelerchen und zwei Paare Baumpieper.
Baumpieper und Lerche leben auf der Brache
Den melancholischen Gesang der Lerche zu hören, ist inzwischen genauso eine Seltenheit wie Augenzeuge der seltsam ungelenk wirkenden Landemanöver der Baumpieper zu werden. Beide Arten sind in ihrem Bestand bedroht. Eine Option sei es gewesen, die Vögel umzusiedeln, sagte Berger. Der Flächenverbrauch an anderer Stelle sei aber ebenso groß gewesen, die Erfolgschance der Ansiedlung dafür aber deutlich kleiner. Auch wenn der Mitarbeiter der Stadtverwaltung „vier Hektar für vier Brutpaare ganz schön üppig“ findet, kann er der Sache etwas Gutes abgewinnen. Und das hat weniger mit einem Herz für Tiere zu tun.
„Kostenmäßig kommt uns das entgegen“, sagte Berger, ohne dabei Zahlen zu nennen. Dass es sich bei der IGA aber um ein „Mega-Projekt“ handelt und längst noch nicht alle erhofften Förderzusagen da sind, deutet er aber an: „Der Bau der Forensik steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Sanierung der Fläche“, sagte er etwa. Es wäre schon, wenn das Land NRW als Bauherr für die bis 2027 fertigzustellende Klinik das genauso sähe und die Stadt finanziell unterstütze. Sicher ist das aber noch nicht. Da vier Hektar Fläche weniger sanieren zu müssen, macht aber einen willkommenen Unterschied. Wirklich traurig zeigt sich der Stadtplaner nicht über das Aus für die Gewerbefläche.
Stadtverwaltung freut sich über Kostenersparnis
„Wenn man Leute fragt, die die Gegend kennen, sagen alle: Gewerbe an dem Standort? Lasst es besser!“ Sämtliche alten Fundamente müssten aus dem Boden geholt werden. Das würde „extrem teuer“. Außerdem wäre es kaum bis zur IGA 2027 fertigzustellen. Der Verzicht auf die Gewerbefläche auf der Victoria-Brache bedeutet aber, „dass wir parallel woanders Gewerbe ausweisen müssen“. Vorschläge gab es dazu aber noch nicht.
Der Wegfall der Gewerbefläche tangiert nicht die übrigen Planungen für das Gebiet. Die Ruhrkohle AG hält nach Auskunft der Stadtverwaltung an ihrem Vorhaben fest, am Rand Wohnbaufläche auszuweisen. „Wieviel genau, lässt sie gerade ermitteln.“ Der Waldsaum zwischen der künftigen Bebauung und der restlichen Fläche wird allerdings keinen Bestand haben, sagte Thomas Berger. „Die Pappeln dort sind bruchgefährdet.“ Neue Bäume würden gepflanzt.
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
