Wo Menschen sind, sind auch Ratten. Das klingt abgedroschen, ist aber Realität. Ratten sind Allesfresser, und der Mensch serviert ihnen tagtäglich ein reichhaltiges Büfett, vor allem durch Müll und Komposthaufen. Im Mittelalter galten sie als Überträger der Pest. „An der Pest waren nicht die Ratten schuld, sondern die Flöhe“, weiß Andreas Herdes, Geschäftsführer der HARC Schädlingsbekämpfung in Dortmund. Das Unternehmen ist seit Anfang 2021 im Auftrag der Stadt Lünen für die Rattenbekämpfung zuständig, konnte bei der Ausschreibung punkten. Die Tiere können aber trotzdem durch ihre Exkremente und natürlich Parasiten im Pelz - übrigens ebenso wie Mäuse und Tauben - Krankheiten übertragen. Rund 121 Infektionskrankheiten können die Nager übertragen, darunter Ruhr, Cholera und Typhus. Das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit weist zudem auf seiner Website auf die bedenkliche Rolle hin, die Ratten als Zwischenwirte und Überträger von antibiotikaresistenten Keimen spielen.

Tägliches Handwerkszeug
Mein Tag mit dem Rattenbekämpfer beginnt in Dortmund-Marten bei der Firma HARC. Der Mitarbeiter, den ich begleite, möchte anonym bleiben. Er stehe nicht gerne in der Öffentlichkeit, begründet er. Zunächst überprüft er, was er heute alles mitnehmen muss: Handschuhe, Köder, Köderboxen, einen Handfeger und immer was zum Schreiben. Denn die Kunden müssen quittieren, dass er da war. Die Firma ist jeden Montag in Lünen unterwegs.
Die ersten Kunden warten in Brambauer. Vor mehreren Wochen hat der Hauseigentümer in einer ruhigen Siedlung in seinem Garten die erste Ratte entdeckt, weshalb eine Köderbox aufgestellt wurde. Sie steht in dem Bereich des großen, waldnahen Grundstücks, in dem der Nager zuerst gesichtet wurde, in diesem Fall nahe an einem Hühnerstall. „Die Tiere haben feste Laufwege, wenn sie eine Futterquelle ausgemacht haben“, erzählt der Fachmann. Warum verwendet er eine abschließbare Box? Das Granulat, das als Köder dient, ist giftig und darf deshalb nicht einfach so gestreut werden. Der Geruch der leuchtend magentafarbenen Körnchen erinnert an Vanille oder weiße Schokolade. Da fahren Ratten voll drauf ab. Aber unter Umständen eben auch andere Tiere. Damit die nicht an das Gift ran kommen, wird der Köder in eine abschließbare Box gelegt. Lockstoffe sorgen dafür, dass die Nager den Weg finden. Das Hühnerfutter könnte der Grund für die Rattensichtung sein.

Farbliche Kennzeichnung
Hersteller verwenden für das Granulat Farben, die nicht in natürlichen Lebensmitteln vorkommen. „Das darf nicht nach Lebensmittel aussehen, um eine Verwechslung zu verhindern“, erklärt der Schädlingsbekämpfer. Auch sogenannte Festköder - Köder, die zu einem festen Klotz gepresst und mit einer wächsernen Schicht überzogen sind, damit sie ihre Form behalten -, die beispielsweise an unzugänglichen Stellen oder in wasserdichten Boxen in der Kanalisation platziert werden, dürfen nicht an Lebensmittel erinnern.
Die Box, zu der nur die Mitarbeiter der Firma HARC einen Schlüssel haben, ist leer gefuttert. Also kommt ein neuer Beutel mit Granulat rein. Der Eigentümer soll sich in vier bis sechs Wochen noch mal bei der Stadt melden. Der Schädlingsbekämpfer steigt in den unauffälligen SUV der Firma und steuert den nächsten Kunden im Stadtteil an. Damit ich flexibel bin, fahre ich ihm mit dem eigenen Auto hinterher.

Offene Rohre
An einem Mehrfamilienhaus in Lippholthausen dauert es einen Moment, bis geöffnet wird. Die nutze ich, um mich zu erkundigen, wie ich Ratten an meinem Grundstück verhindern kann. „Müll vermeiden und Zugänge zur Kanalisation schließen“, rät der Fachmann. Das hat der Bewohner hier nicht bedacht. Er baut gerade um, der Keller ist ziemlich voll gestellt. An einer Stelle ist ein Abwasserrohr nur notdürftig abgedeckt. Er habe nicht nur Ratten auf der Terrasse gesehen, mindestens eine sei auch in den Keller gelangt. Er bittet den Schädlingsbekämpfer, auch drinnen Köder auszulegen. „Das darf ich nicht, wir sind nur für den Außenbereich zuständig“, erläutert er.
Der Kunde fragt, was er selbst machen kann: Gift oder Schlagfalle? Prinzipiell dürfe er gar nichts machen, sondern müsse die Bekämpfung dem Fachmann überlassen. Würde der Kunde die Firma selbstständig beauftragen, müsse er den Einsatz selbst bezahlen. „Da können mehrere Hundert Euro zusammenkommen“, erzählt der Fachmann. Er arbeite im Auftrag der Stadt Lünen, die schließlich die Rechnung begleiche. Jährlich fallen hierfür laut Aussage eines Stadtsprechers rund 16.000 Euro an.
Das Wichtigste bei diesem Kunden in Lippholthausen sei jetzt, das offene Rohr zu schließen. „Da geht es in den Kanal, da sind auf alle Fälle Ratten.“ Vor dem entsprechenden Kellerfenster platziert er eine Köderbox. Auf der Box klebt ein Warnhinweis auf das Gift, welcher Wirkstoff verwendet wird, und welches Antidote (Gegengift) nach einer Vergiftung hilft.

Defekte Rohre reparieren
Unterwegs erklärt der Schädlingsbekämpfer die Wirkung des Rattengifts. „Das Gift arbeitet mit einem sogenannten Anti-Koagulationshemmer, also einem Mittel, das die Blutgerinnung verhindert. Wenn die Ratte davon gefressen hat, dauert es etwa zwei Tage bis die Wirkung einsetzt. Sie bekommt innere Blutungen, auch äußerliche Wunden heilen nicht mehr zu. Sie wird lethargisch, läuft beispielsweise vor Menschen nicht mehr davon und verendet schließlich.“ Wer Pech habe, der bekomme das mit, vor allem olfaktorisch.
So wie die Kundin in Altlünen. Ihr Ehemann sei bereits selbst aktiv geworden, indem er ein frei verkäufliches Rattengift ausgelegt habe. Die Dame ist „ziemlich sicher, dass einmal etwas bei den Mülltonnen verendet ist, weil es ordentlich gestunken hat“. Nachschauen wollte sie nicht. Aber an anderer Stelle treten weiterhin Ratten auf. Die Ursache hat das geübte Auge des Fachmanns schnell ausgemacht: Am Fallrohr der Regenrinne scheint ein Defekt vorzuliegen. „Die sind da, wo sie in die Erde gehen, meistens aus Ton, da kann mit der Zeit was abplatzen. Da rutscht das Erdreich nach und bietet Ratten einen Weg. Das müssen Sie reparieren lassen.“ Hier kommt ein Festköder zum Einsatz. Den bindet er an eine Schnur, hängt ihn in das Loch und fixiert ihn mit einem Stein. Hinter den Mülltonnen stellt er eine Köderbox auf. Dann heißt es abwarten.

Kein Vogelfutter auslegen
Laut dem Fachmann sei es nahezu unmöglich, Ratten Herr zu werden, aber es gebe ein paar einfache Regeln zu befolgen, um die Vierbeiner nicht einzuladen:
- Müll sorgfältig in die Tonne geben und den Deckel geschlossen halten
- kein Vogelfutter auslegen
- Essensreste gehören nicht auf den Kompost
- Unrat in Ecken vermeiden
- Zugänge zum Kanalsystem verschließen.
Warum kein Vogelfutter auslegen? „Solange wir keine geschlossene Schneedecke haben, finden Vögel immer was zu fressen. Den Rest des Jahres freuen sich vor allem die Ratten“, erklärt der Schädlingsbekämpfer. Da ist es, das viel diskutierte Thema. Selbst beim Nabu streiten Fachleute darüber, ob eine ganzjährige Fütterung sinnvoll ist, oder eben nur im Winter. Der Schädlingsbekämpfer bleibt dabei: Im Sommer komme Vogelfutter hauptsächlich Ratten zugute.

Monitoring
In Wethmar muss der Schädlingsbekämpfe unter vollem Körpereinsatz mitten rein in die Botanik. In drei nebeneinanderliegenden Gärten haben die Bewohner der Reihenhäuser eine oder mehrere Ratten bemerkt. Drei Köderboxen müssen neu aufgestellt werden. Wir erinnern uns an die festen Laufwege, also ab unter die Hecke und da eine Box platzieren. Eine weitere muss er mithilfe eines Besenstiels ganz nah am Zaun des Nachbarn platzieren. Der Nachbar ist nämlich im Urlaub, steht aber für heute in der Auftragsliste.
Haben die Sichtungen von Ratten zugenommen? Das möchte Andreas Herdes nicht bejahen. Fakt sei allerdings, dass das Verhalten der Menschen ganz klar damit zu tun habe. Ein Beispiel: „Wenn jemand viel Fisch zubereitet, und das Bratfett über den Abfluss entsorgt, was verboten ist, haben Ratten eine meterlange Spur, an die sich sich halten können. Irgendwann kommen sie dann aus dem Kanal. Folglich steigen die Sichtungen.“
Rattensichtungen melden
Sämtliche Köderboxen, die der Schädlingsbekämpfer an diesem Tag kontrolliert, sind restlos leer. Er legt neue Köder ein, macht die Box ein bisschen sauber und stellt sie wieder an ihren Platz. Bei mehreren Adressen platziert er neue Boxen. Pro Schicht schafft er etwa 25 dieser Behältnisse.
Wer Ratten bemerkt, sollte umgehend die Stadtverwaltung benachrichtigen. Die beauftragt dann ein sogenanntes Monitoring, um Rattenbefall festzustellen. Fällt dies positiv aus, wird die HARC Schädlingsbekämpfung aus Dortmund mit der Beköderung beauftragt. Zuständig ist das Ordnungsamt der Stadt Lünen, erreichbar per E-Mail an ordnungsamt@luenen.de oder Telefon 02306 1040.
Nach einem weiteren Halt in Nordlünen trennen sich unsere Wege. Der Schädlingsbekämpfer gönnt sich eine kleine Mittagspause, ich fahre in die Redaktion. Erst, wenn er längst Feierabend gemacht hat, werden die Nager aktiv. In der Dämmerung. Sonnenuntergang ist an diesem Tag um 19.54 Uhr.
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