Pflegeplätze im Kreis Unna „Bis 2030 haben wir eine Chance, danach explodiert der Laden“

Sozialplaner: „Bis 2030 haben wir eine Chance, danach explodiert´s“
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Oft ist die Zukunft schon da, ehe wir ihr gewachsen sind. Mit seiner Prognose, wie viele pflegebedürftige Menschen in den nächsten Jahren in seinen Grenzen leben werden, will der Kreis Unna es nicht so weit kommen lassen, was der Schriftsteller John Steinbeck einmal ganz generell befürchtete.

Hans Zakel, Sozialplaner beim Kreis Unna, hat am Montag (10. Juli) im Gespräch mit dieser Redaktion Antworten auf die wichtigsten Fragen zur künftigen Versorgung mit ambulanten und stationären Pflegeplätzen und zur häuslichen Pflege gegeben. Anlass ist eine aktuelle Pflegemodellrechnung für NRW.

Wie stark steigt die Zahl der Pflegebedürftigen?

Nach einer Modellrechnung des Statistischen Landesamtes wird es bis 2050 im Kreisgebiet 29,8 Prozent mehr Menschen geben, die in irgendeiner Weise pflegebedürftig sind. Der Kreis Unna liegt damit knapp unter dem NRW-Mittelwert von 30,4 Prozent.

Die Prognose sagt dabei einen Anstieg von 42,2 Prozent bei der ambulanten Pflege, von 48,9 Prozent bei der stationären Pflege sowie von 22 Prozent beim Bezug von Pflegegeld, also der häuslichen Pflege, voraus.

Im aktuellen Pflegebedarfsplan 2022 für den Kreis Unna, den Hans Zakel erstellt hat, wird bis 2050 ebenfalls von einer Gesamtsteigerung von rund 29 Prozent ausgegangen; bis 2025 bzw. 2030 fallen die Zuwachsraten mit 5,1 bzw. 5,4 Prozent noch moderat aus. „Wir haben jetzt noch eine kleine Chance bis 2030, danach explodiert der Laden“, drückt es Hans Zakel bewusst plakativ aus.

Sozialplaner Hans Zakel befasst sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Pflege und stellt zudem jährlich den Pflegebedarfsplan für den Kreis Unna auf.
Sozialplaner Hans Zakel befasst sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Pflege und stellt zudem jährlich den Pflegebedarfsplan für den Kreis Unna auf. © Archiv/Kreis Unna

Reicht das Angebot an stationären Pflegeplätzen künftig?

In seinem Plan hat Hans Zakel ein nominelles Defizit von 152 Heimplätzen in sieben der zehn kreisangehörigen Kommunen festgestellt: Bergkamen (1), Bönen (18), Holzwickede (13), Kamen (15), Lünen (33), Selm (8), Unna (64). Und das zusätzlich zu den 200 Plätzen, die sich bereits in der Bauphase befinden bzw. geplant werden.

Der Kreis Unna schreibt den Bedarf regelmäßig aus. Ernsthaft interessierte Investoren würden aber immer weniger, so Zakel. Neben dem Fachkräftemangel, der Inflation, die zum Beispiel das Essen verteuert, komme vor allem fehlendes Bauland für Erweiterungen oder Neubauten hinzu. „Es wird schwieriger Gewinne zu generieren“, resümiert Zakel, der seit mehr als 30 Jahren in der Sozialverwaltung beschäftigt ist.

Sozialdezernent Torsten Göpfert hatte daher bereits vorgeschlagen, mit den Zuständigen in den Kommunen ein Prozedere zur Identifizierung geeigneter Grundstücke zu entwickeln.

  • Zentraler Beratungsstandort: Severinshaus Kamen, Nordenmauer 18,Tel. (0800) 27 200 200 (kostenfrei); Infotelefon Demenz: (0 23 07) 28 99 06 2.
  • In allen kreisangehörigen Kommunen werden zudem regelmäßig Sprechstunden angeboten. Die Zeiten und Adressen sind auf der Homepage des Kreises Unna veröffentlicht.
  • Der Pflegebedarfsplan 2022 des Kreises Unna, ebenfalls unter www.kreis-unna.de zu finden, bietet in seinem Anhang eine vollständige Auflistung sämtlicher stationär und ambulanter Pflegeangebote im Kreisgebiet.

Haben denn Heimplätze überhaupt Priorität?

Hans Zakel betont, dass man diese Frage nur vor dem Hintergrund einer Devise beantworten kann, die der Kreis Unna seit mehr als 30 Jahren verfolge: „Ambulant vor stationär, wenn es machbar ist – es zu erzwingen wäre unfair.“

Dieser Leitgedanke entspreche auch dem, was die Menschen wollen: Bis zu 95 Prozent geben in Umfragen als Wunsch Pflege in den eigenen vier Wänden an. „Die restlichen fünf Prozent wollen ihren Kindern nicht zur Last fallen“, so Zakel. Daher werde auch künftig das Schwergewicht auf ambulanten Pflegediensten oder Angehörigen als Pflegenden liegen. Dies bedeute zugleich: „So viele Pflegeheime wie nötig“, so Zakel. „Aber ohne Pflegeheime wäre es auch gruselig“, räumt er ein.

Das Konzept des Kreises, ambulante und häusliche Pflege zu stärken, zahle sich heute aus. Das niedrige Angebot an Heimplätzen „können wir uns nur deshalb leisten, weil wir im vorpflegerischen Bereich so viele Hilfen haben.“

Als Ombudsmann für Pflege im Kreis Unna ist der Fröndenberger Norbert Zimmering bei Beschwerden eine Art Mediator zwischen Angehörigen, Heimbewohnern und den Pflegekräften in Pflegeeinrichtungen.
Als Ombudsmann für Pflege im Kreis Unna ist der Fröndenberger Norbert Zimmering bei Beschwerden eine Art Mediator zwischen Angehörigen, Heimbewohnern und den Pflegekräften in Pflegeeinrichtungen. © Archiv/Marcus Land

Wie hilft der Kreis Unna Pflegebedürftigen und Angehörigen?

Wenn so viele Menschen sagen, dass sie zuhause alt werden, vielleicht sogar sterben wollen, „dann muss ich genau diesen Bereich stärken“, findet Hans Zakel. Bereits seit 1997 helfe die Pflege- und Wohnberatung durch „den wuchernden Dschungel an Pflegeangeboten“, die daheim aufsuchende Beratung gebe es seit 2002.

„Tausenden Menschen ist es dadurch möglich geworden, lange Zuhause zu leben“, zeigt sich Zakel überzeugt. Der Kreis setze hierfür, zwar erst spät, zusätzliches Personal ein; zudem unterstützen die Wohlfahrtsverbände. Auch ein eigener Ombudsmann bei Konflikten ist ehrenamtlich tätig. Daneben gibt es den Wettbewerb „Pluspunkt Familie“, der in diesem Jahr Beruf und Pflege in den Vordergrund rückt.

Pflegekräfte aus dem gesamten Kreis Unna demonstrieren am Freitag, 12. Mai, für bessere Arbeitsbedingungen vor dem Kreishaus.
Pflegekräfte aus dem gesamten Kreis Unna demonstrieren am Freitag, 12. Mai, für bessere Arbeitsbedingungen vor dem Kreishaus. © Archiv/Matthias Langrock

Wo sieht der Kreis Unna den wichtigsten Verbesserungsbedarf?

Service-Wohnungen für Menschen 65plus oder Pflege-Wohngemeinschaften für Senioren 80plus werden zwar grundsätzlich vom Kreis befürwortet. „Sie sind ein gutes Mittel zu verhindern, dass man in Pflegebedürftigkeit hineinrutscht“, so Hans Zakel. Die Kosten bei Pflege-WGs gingen aber deutlich nach oben, und dabei sei die Spanne bei den einzelnen Anbietern „riesengroß“. Hier werde derzeit geprüft, ob es verbindliche Leitlinien geben könne, um sagen zu können: „Das ist noch in Ordnung.“

Klar sei aber auch, dass der Überforderung von Angehörigen bei der häuslichen Pflege entgegengewirkt werden müsse. Daher müsse es unbedingt wieder mehr Kurzzeitpflegeplätze geben. „Es gibt akut einen Riesenmangel“, so Hans Zakel. „Sie sind aber Gold wert für pflegende Angehörige.“

Der Bedarf an 291 Tagespflegeplätzen verteilt auf alle Kommunen wird ebenfalls vom Kreis Unna ausgeschrieben.

Weil sich die Pflegekassen bei der Kostenübernahme aber mittlerweile sperrten, wenn von derselben Familie ambulante Pflegedienste in Anspruch genommenen werden, seien etliche Tagespflegeplätze im Kreis Unna abgebaut worden.

Mittel- oder langfristig eine Auszeit oder einen Urlaub zu planen sei für Angehörige seither sehr schwierig. Denn einen eigentlich vollstationären Platz überließen die Pflegeheime für nur ein oder zwei Wochen eher ungern.

Was könnte passieren, wenn zu wenig Private investieren?

Aktuell gebe es zwar noch keine langen Wartelisten für einen Platz im Pflegeheim. „Aber auf dem Weg dorthin sind wir“, warnt Hans Zakel. Wenn tatsächlich nur stationäre Pflege möglich sei, das Angebot aber mit der Nachfrage nicht Schritt halte, könnten eines Tages die Kommunen in der Pflicht sein. In den bestehenden Pflegeheimen wird schon lange über Stress und Überforderung geklagt.

Kommunale Pflegeheime hat es vor Einführung der Pflegeversicherung viel häufiger gegeben. „Es wäre ein Horrorszenario, wenn wir wieder in diese Richtung gehen müssten“, so der erfahrene Sozialplaner – zumal die Kommunen vor denselben Problemen wie private Investoren stünden: steigende Preise und Fachkräftemangel.