Junge Mediziner sind begehrt, nicht nur als Nachfolger in Hausarztpraxen. Sie haben allerdings viele berufliche Möglichkeiten. Es locken Wirtschaft, Forschung oder Kliniken. Die Option des Hausarztes ist bei Nachwuchsärzten nicht unbedingt die erste Wahl.
Das haben Beispiele jüngst in Lünen gezeigt. Die Praxen Dr. Meiß und Dres. Mariß mussten dauerhaft schließen, weil sich keinen Nachfolger fand. Nach dem Rückzug der Praxisinhaber in den Ruhestand haben die umliegenden Hausärzte deren Patientinnen und Patienten aufgenommen. Doch dieses Modell kann kein dauerhaftes sein: Die Kapazitäten der Lüner Hausärzte sind begrenzt. In den kommenden Jahren wird sich die Situation verschärfen, denn schon heute sind 35 Prozent der Lüner Hausärzte über 60 Jahre. Es gibt zwar keine vorgeschriebene Altersgrenze für Mediziner, doch die Nachfolgesuche steht in den nächsten Jahren an.
Dass die problematisch sein soll, sieht Dr. Ulrich Hüning aber eher nicht. Zumal er ganz andere Erfahrungen gemacht hat. Der Lüner Allgemeinmediziner engagiert sich seit 14 Jahren in der Nachwuchsarbeit. Seine Praxis ist akademische Lehrpraxis der Uni Münster. Zu ihm kommen Studenten im neunten Semester, inzwischen waren es über 30. Ob Blut abnehmen, EKG anlegen oder Urin bestimmen - bei Ulrich Hüning lernen sie den Alltag des Hausarztes kennen.
„Das sind sehr tüchtige und engagagiert Leute“, schildert Hüning. Viele könne er für die hausärztliche Medizin begeistern. Ob sie später in eine Praxis gehen, ist allerdings eine andere Frage. Begeisterung für seinen Beruf strahlt der Lüner Mediziner aus. Sich mit den Nöten der Patienten zu befassen, heißt für ihn: „Immer wachsam sein, auch für das Unvorhergesehene“. Das mache den Beruf so spannend.
Gleich drei Interessenten
Eine Niederlassung habe durchaus Vorteile, sagt Hüning. Die Arbeitszeiten seien besser geregelt als in einer Klinik, es stünden lediglich fünf Notdienste pro Jahr an, man könne sich auch vertreten lassen. Ärzte mit eigener Praxis hätten zwar die Verantwortung der Wirtschaftlichkeit, dafür seien sie als Selbständige aber auch flexibler. „Wenn man engagiert ist, muss man sich keine Sorgen machen“, sagt Hüning.
Neben der Befugnis für eine akademische Lehrpraxis, darf Ulrich Hüning auch junge Assistenzärztinnen und -ärzte weiterbilden. Kürzlich hat er sich auf die Suche nach Interessenten gemacht und war überrascht: Gleich drei Weiterbildungsassistenten hätten sich gemeldet. Das sind junge Ärzte, die sich nach ihrem Medizinstudium für eine Niederlassung interessieren und in den zwei Jahren der Weiterbildung ihre Facharztausbildung zum Allgemeinmediziner absolvieren. Am Ende sei zwar niemand in der Praxis gelandet, das Interesse sei aber da, sagt Hüning.
Image hat sich gewandelt

Das unterstreicht auch Anke Richter-Scheer, Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe. „Das Image der Hausarztmedizin hat sich hier gewandelt. Und das ist auch gut so“, erklärt sie. Den Landarzt, der 24/7 verfügbar war, gebe es schon lange nicht mehr. „Wir müssen junge Leute für diesen schönen Beruf begeistern.“
Dass die Nachwuchs-Problematik Lünen erreicht hat, bestätigt allerdings die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). „Wir stehen hierzu in Kontakt mit der lokalen Ärzteschaft, um gemeinsam Lösungswege zu finden“, heißt es aus der KVWL-Pressestelle. Wie viele Hausärzte sich niederlassen können, regelt die Bedarfsplanung des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Die bezieht sich auf den sogenannten Mittelbereich. Dazu gehören die Städte Lünen und Selm mit 111.704 Einwohnern. Für sie sind 60,75 Ärztinnen und Ärzte bezogen auf Vollzeitstellen zuständig. Damit liegt der Versorgungsgrad bei 95,3 Prozent. Um den Bedarf zu 100 Prozent decken zu können, müssten 63,7 Hausärzte in Lünen und Selm tätig sein. Nach den im Mai 2023 vorgelegten Zahlen können sich noch 9,5 Vollzeitärzte niederlassen.
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