Vierbeiner merken von den vielerlei Problemen in den Tierarztpraxen bislang wenig, doch Herrchen oder Frauchen könnten bald tiefer in die Tasche greifen.

Vierbeiner merken von den vielerlei Problemen in den Tierarztpraxen bislang wenig, doch Herrchen oder Frauchen könnten bald tiefer in die Tasche greifen. © picture alliance/dpa

Lüner Tierarzt schlägt wegen geplanter Notdienstpflicht Alarm

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Wer seinem Tier schnellstmöglich helfen möchte, muss immer öfter immer weiter fahren. Auch die Behandlung bedeutet für viele Tierbesitzer eine finanzielle Bürde. Tierärzte sind besorgt.

von Marie-Christin Korth

Lünen

, 12.06.2022, 11:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Oliver Haenel ist Tierarzt der Tierarztpraxis Altlünen und hat viele Jahre in einer Tierklinik gearbeitet. In dem Alltag wird der Tiermediziner stetig mit, unter Tierärzten und Pflegekräften altbekannten, Problemen konfrontiert. Die Diskussion um eine zukünftige Notdienstpflicht für Tierärzte in Nordrhein-Westfalen bereitet vielen in der Berufsgruppe Bauchschmerzen. Insbesondere kleine und mittelgroße Praxen wissen bereits jetzt nicht, wie sie der Pflicht entgegentreten sollen. Davon merken viele Tierbesitzer (noch) nichts.

Es gibt zu wenig männliche Tierärzte

Für Oliver Haenel ist es eindeutig: „Wir haben ein strukturelles Problem.“ Er führt an, dass es einen hohen Anteil an Frauen in der Tiermedizin gibt. Von insgesamt 2072 niedergelassenen Tierärztinnen und Tierärzten in Nordrhein-Westfalen, sind laut der Tierärztestatistik zum 31.12.2021 der Bundestierärztekammer, 1166 weiblich und 906 männlich. Das würde man auch in der Verfügbarkeit der Fachkräfte merken, die oftmals in Teilzeit arbeiten würden oder in Mutterschaft seien. Auch unter den tiermedizinischen Fachangestellten würde man einen Fachkräftemangel verzeichnen. Diese seien auch oft quantitativ, wie qualitativ nicht das, was die Praxen bräuchten.

Der Mindestlohn war der Schlüsselmoment

Als vor fünf Jahren der Mindestlohn eingeführt wurde, gab es die ersten Klagen - auch von Tierärzten. Der Mindestlohn war in vielen Praxen noch Zukunftsmusik. Zudem wurde das Arbeitsschutzgesetz häufig missachtet. Nur so konnte der Notdienst möglich gemacht werden. Oliver Haenel war zu Beginn seiner Karriere oft mehr als acht Stunden und fünf Tage die Woche tätig.

„Mit dem Mindestlohn hat man da Diskrepanzen festgestellt“, so Haenel. Mit der Zeit sei die Bereitschaft gesunken, für wenig Geld viel zu arbeiten. Wird ein Notdienst angeboten, so können Tierärzte nun den bis zu vierfachen Satz verlangen. Das stellt auch für Tierbesitzer eine finanzielle Belastung da. Das Personal würde mit den höheren Vergütungen bisher noch nicht erreicht werden.

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Weite Wege, hohe Preise

Mittlerweile müssen viele Tierbesitzer weit fahren um, eine Tierklinik zu erreichen, das erkennt auch Oliver Haenel an. Die Kliniken hätten ihre Preise jedoch maximal erhöht. Das resultiert darin, „dass ich da keine Leute mehr hinschicken kann, weil sie sich das nicht leisten können“, erklärt Haenel. Obwohl diese Problematik sich seit Jahren entwickelt und immer weiter zuspitzt, merken die wenigsten Tierbesitzerinnen und Tierbesitzer davon.

Zwang löst keine Probleme

Oftmals fallen die immer längeren Wege zu den Praxen und Kliniken auf, so wie die höheren Preise. Auf Akzeptanz stößt der Tierarzt jedoch wenig. „Es ist ein Problem was noch nicht bei den Leuten angekommen ist“, berichtet der Lüner Tierarzt. Das könnte sich jedoch mit der Einführung einer Notdienstpflicht ändern: „Spätestens dann werden die Leute das merken.“ Die Preise müssten angehoben werden. An der Personalnot würde das allerdings nichts ändern.

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Eine sehr komplexe Problematik

Dramatisch sieht auch Dr. med. vet. Dirk Neuhaus, Tierarzt der gleichnamigen Praxis in Unna, die Situation des medizinischen Tiernotdienstes. Der Tierarzt ist seit 30 Jahren in der Tiermedizin tätig, Vorsitzender der Kreisstelle Unna-Hamm der Tierärztekammer Westfalen-Lippe und seit über zwanzig Jahren in der Berufspolitik engagiert.

Mangelndes Personal, die strikte Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes und finanzielle Probleme sind nur ein paar der zahlreichen Puzzlestücke, die im Ganzen eine sehr komplexe und einander bedingende Problematik bilden. Wann alles begann, ist nicht bekannt. Doch laut Dr. Dirk Neuhaus vollzieht sich diese Entwicklung seit mehreren Jahrzehnten.

Dr. med. vet. Dirk Neuhaus blickt auf eine eindrucksvolle Karriere zurück und hat in dieser Zeit auch die Komplexität der Probleme innerhalb seines Berufes kennengelernt.

Dr. med. vet. Dirk Neuhaus blickt auf eine eindrucksvolle Karriere zurück und hat in dieser Zeit auch die Komplexität der Probleme innerhalb seines Berufes kennengelernt. © privat


„Zehn Jahre lang von der Politik völlig ignoriert“

Bereits im Jahr 2012 legte die Bundestierärztekammer eine Neufassung der Gebührenordnung (GOT) für Tierärzte vor. Die GOT legt die Höhe der Vergütungen fest, die Tierärzte für ihre Leistungen entgegennehmen dürfen. „Dieser Vorschlag, der den Praxen ein solides finanzielle Fundament gegeben hätte, wurde zehn Jahre lang von der Politik völlig ignoriert. Erst vor wenigen Tagen hat das Bundeskabinett eine Neufassung der GOT beschlossen“, erklärt Neuhaus. Der Bundesrat hat dieser Neufassung jedoch noch nicht zugestimmt. „Die beschlossenen Gebührensätze gleichen aber die allgemeine Preisentwicklung der letzten Jahre bei weitem nicht aus“, betont Dr. Neuhaus.


Eine Notdienstpflicht ist in Planung - aber nicht beschlossen

Viele Tierärzte befürchten zudem, dass eine 24-stündige Notdienstpflicht eingeführt wird. Der Weg dahin ist nicht ganz leicht, aber möglich. Die Notdienstpflicht für Tierärzte müsste zuerst in dem Heilberufsgesetz Nordrhein-Westfalens festgehalten werden. Das Heilberufsgesetz bildet die Grundlage der Berufsausübung aller Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Psychotherapeuten.

„Auf Grundlage dieses Gesetzes kann dann die Landestierärztekammer eine Notdienstordnung erlassen, die den Notdienst im Detail regelt“, so Neuhaus. Nordrhein-Westfalen ist bislang das einzige Bundesland ohne tierärztliche Notdienstpflicht. Das könnte sich zukünftig ändern. Auf Anfrage berichtet Dr. Neuhaus: „Die beiden Tierärztekammern in NRW sind an den Gesetzgeber herangetreten, um eine solche Verpflichtung in das Heilberufsgesetz aufzunehmen.“

Die notwenigen Rahmenbedingungen müssen gegeben sein

Die fehlenden tierärztlichen Notdienste aufzustocken, indem Tierärzte verpflichtet werden diese anzubieten, kritisiert der Tiermediziner. „Ich persönlich sehe dieses Instrument als völlig ungeeignet an, um die Notdienstproblematik zu entschärfen, geschweige denn zu lösen.“ Zuerst müssten die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch den Gesetzgeber geschaffen werden „die die kleinen Praxen in die Lage versetzen könnten, einen Notdienst anzubieten.“

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Pflichtnotdienste sind derzeit weder legal noch gewinnbringend

In seiner Praxis in Unna sind derzeit zwei Tierärzte, drei Tiermedizinische Fachangestellte, zwei davon in Teilzeit, und zwei Schüleraushilfen tätig. „Wenn ich einen Notdienst in der Nacht anbieten müsste, müsste ich meine Praxis am Tag vor und am Tag nach dem Notdienst schließen, um die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten für meine Mitarbeiterinnen einhalten zu können“, so Neuhaus. In dieser Zeit erhalten Tierarztpraxen auch keine Vergütungen. „Keine kleine oder mittlere Praxis kann daher legal und rentabel einen Notdienst rund um die Uhr oder in der Nacht darstellen“, ergänzt der Tierarzt.

Nicht nur in Nordrhein-Westfalen ein Problem

Die Probleme seien auch in allen anderen Bundesländern präsent - trotz Notdienstpflicht. „Da die Probleme struktureller Natur sind, wird es mittel- bis langfristig auch nicht helfen, den Notdienst einfach nur auf ein paar mehr Schultern zu verteilen“, berichtet Neuhaus.

Auf die Frage hin, was ohne Veränderungen passieren wird, erklärt Dr. Dirk Neuhaus: „Ohne Veränderungen sehe ich nicht nur massive Probleme im Notdienst. Langfristig ist sogar die flächendeckende Versorgung mit tierärztlicher Leistung gefährdet, da unter den gegenwärtigen Umständen viele Tierarztpraxen keine Nachfolger finden und schließen.“

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