André Jethon ist neuer Kämmerer der Stadt Lünen. Seinen Dienst wird der Leiter des Fachbereichs Finanzen, Beteiligungen und Immobilienangelegenheiten des Kreises Recklinghausen aber erst im neuen Jahr 2023 antreten. Mit Erhöhungen der Grundsteuern und der Gewerbesteuer wird er sich dann nicht gleich herumschlagen müssen, wohl aber mit tiefroten Zahlen und einem schweren Erbe für künftige Generationen.
Einen Einblick vermittelt der Haushaltsentwurf, den am Donnerstagabend (15.12.) Roman Greb eingebracht hat, der Fachbereichsleiter Finanzen in Lünen und damit künftig Jethons wichtigster Mitarbeiter im Kampf gegen die finanzielle Schieflage.
Bürgermeister: Das Boot wankt
Krieg in der Ukraine, Energiekrise, Inflation, fehlender Wohnraum für Flüchtlinge und immer noch die Folgen der Corona-Pandemie: Wie schwierig das zu Ende gehende Jahr 2022 war, hatte zu Beginn der letzten Sitzung des Jahres bereits Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns festgestellt. „Wir sitzen in einem Boot, das auf rauer See ins Wanken gekommen ist.“
Die aktuellen Krisen hätten laut Bürgermeister zwar den Zusammenhalt in der Stadtgesellschaft gestärkt. Das finanzielle Überleben der Kommunen, die immer mehr Aufgaben bewältigen müssten, hänge aber nicht nur von Solidarität und Engagement vor Ort ab, sondern auch von finanziellen Hilfen von Land und Bund. Auf frisches Geld oder eine Übernahme der aufgehäuften Altschulden warten Lünen und die anderen Städte und Kommunen aber bislang vergebens. Dafür gibt es etwas anderes: einen weiteren Bilanztrick, um ihre Haushalte zu schönen.
Genauso wie die Kommunen im Vorjahr Mehrbelastungen und Mindereinnahmen durch Corona ausklammern konnten, gilt das jetzt auch für die Mehrbelastungen durch den Russland-Ukraine-Krieg und seine Folgen. Wie das konkret funktioniert, zeigt der Lüner Entwurf für den 285-Millionen-Euro-Etat, der zwei ganz unterschiedliche Seiten hat: eine tiefrote ohne die sogenannte Isolierung und eine schwarze mit ihr.
Fehlbetrag von 28 Millionen Euro
Wie schon Lünens einstige Kämmerin Bettina Brennenstuhl, die als Hafenchefin nach Dortmund gewechselt ist, spricht Roman Greb von einer „prekären Haushaltslage“. Wesentliche Erträge würden sich „weit unterhalb der krisenbereinigten Entwicklung“ bewegen, während die Aufwendungen überproportional anstiegen. Mit anderen Worten: deutlich weniger Einnahmen, dafür aber extrem höhere Ausgaben. „Ein Haushaltsausgleich ohne die Ausweitung der Isolierung wäre realistisch nicht darstellbar.“ Eigentlich - also ohne den Bilanztrick der Isolierung - bewege sich der Haushaltsentwurf bei jährlichen Fehlbeträgen von rund 28 Millionen Euro.
Roman Greb sprach ein Ausrufezeichen mit und machte eine kurze Pause, bevor er auf die weitere Entwicklung der jährlichen Fehlbeträge einging. Sie würden Jahr für Jahr steigen und 2026 einen Negativ-Rekordwert von 40 Millionen Euro erreichen. Wieder eine Pause.
Wer flüchtig durch das Zahlenwerk blättert, würde von dieser Schieflage nichts ahnen. Denn durch die Isolierung endet das Haushaltsjahr 2023 mit einem Überschuss von rund einer halben Million Euro. Erst der Blick in die als gesonderter Bilanzposten ausgewiesenen Mehrausgaben und Mindereinnahmen zeigt das Problem, das Lünen noch mit Wucht treffen wird. Denn mit Haushaltsjahr 2025 müssen die isolierten Millionenbeträge linear abgeschrieben werden über längstens 50 Jahre: eine Bürde für die nachfolgenden Generationen, wie auch der Lüner Fachbereichsleiter Finanzen feststellte.
„Steuererhöhung um 140 Punkte“
Anstatt dem Grundsatz der Generationen-Gerechtigkeit zu genügen, würden die Auswirkungen der Krisen auf die Zukunft verschoben, sagte er. Nach der derzeitigen Rechts- und Haushaltslage bedeute das ab 2026 zusätzlich 3,6 Millionen Euro Aufwand pro Jahr über einen Zeitraum von 50 Jahren.
„Rein rechnerisch entspricht das bei einer Gegenfinanzierung durch die Grundsteuer B einer Steuererhöhung um 140 Hebesatzpunkte.“ Die Freude über die 2023 doch nicht zu erfolgende Steuererhöhung schien da den Ratsmitgliedern im Halse stecken zu bleiben.
Auf der einen Seite gibt es den wachsenden Schuldenberg durch den Bilanztick, den der Gesetzgeber lieber „Bilanzierungshilfe“ nennt. Auf der anderen Seite wächst der alte, ohnehin schon hohe Schuldenberg sowohl für Investitionen als auch für das laufende Geschäft beträchtlich weiter - und das bei den aktuell steigenden Zinsen. „Allein im Kernhaushalt beläuft sich der Anstieg der Schulden von derzeit rund 290 Millionen Euro auf rund 450 Millionen Euro bis Ende 2026“, rechnete Roman Greb vor. Die Kreditverbindlichkeiten des ausgegliederten Stadtbetriebs Zentrale Gebäudewirtschaft Lünen (ZGL) sind in diesen Summen noch gar nicht enthalten.
Strenge Haushaltsdisziplin
Für den Sprecher der Kämmerei steht fest, dass Lünen auf Hilfe von Bund und Land angewiesen ist: dieses Mal echte finanzielle und nicht nur bilanzielle Hilfe. Auf eine Lösung der Altschuldenproblematik, die als Auftrag im Ampel-Koalitionsvertrag steht, drängen viele Städte insbesondere im Ruhrgebiet. Roman Greb gibt zu bedenken, dass das alleine noch nicht ausreichen wird. Er forderte von den Politikerinnen und Politikern, die den Haushaltsentwurf jetzt diskutieren werden, „Prioritätensetzung“ und „echte Aufgabenkritik“. Ohne Vorschläge zur Gegenfinanzierung dürften keine neuen Ausgaben gefordert werden. Das zu moderieren, wird eine der ersten Aufgaben des neuen Kämmerers André Jethon sein.

Ärger wegen Ehrenamtspreis: Kunibert Kampmann: „Verfahren ist nicht klar geregelt“
Bürgerentscheide in Lünen: Verfahren am Sonntag wird für die Stadt deutlich teurer
Bürgerentscheide in Lünen: Stimmung in Politik gemischt - neuer Konflikt um Feuerwehr?