Feuerwehrmann aus Lünen nach Unfall in Thailand „Kann glücklich sein, dass ich noch lebe“

Ausreiseverbot: Lüner Feuerwehrmann über seine Leidenszeit in Thailand
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„Ich bin in fünf Minuten wieder da.“ Das war das Letzte, was Feuerwehrmann Martin seiner Freundin Leah im Hotel sagte. Der eigentlich schöne Thailand-Urlaub der beiden entwickelte sich danach zu einem Albtraum, als Martin sich einen Roller mietete und damit einen schweren Unfall hatte.

Zuerst lag er mehrere Tage im Koma, hatte mehrere Brüche und hat jetzt mehrere Metallplatten im Kopf. „Der Kiefer war mehrfach gebrochen, die Augenhöhle auch. Ich hatte so Gummis an meinen Zähnen, die quasi wie eine Zahnspange fungierten. Ich konnte die ersten Tage meine Zähne nicht richtig auseinander machen“, erinnert sich Martin, der für die Feuerwehr in Lünen arbeitet, im Gespräch mit der Redaktion.

Für seine Freundin Leah ein Schock. Eigentlich wollten die beiden in Phuket auf der gleichnamigen Insel aus ihrem Hotel auschecken und weiterreisen – Martin wollte nur noch schnell etwas zu trinken holen. „Dann saß ich da in der Lobby, wie in so einem schlechten Film. Nach dem Motto: Ich gehe mal eben Kippen holen. Und er kam nicht“, so Leah.

Danach versuchte sie mehrfach, Martin anzurufen. Doch er ging nicht ran. „Irgendwann ging jemand dran, der kein Englisch sprach und sagte nur irgendwas von Unfall“, erinnert sie sich und erzählt weiter: „Dann nannte er mir ein Krankenhaus und ich bin mit dem Taxi hin.“

Feuerwehrmann Martin aus Lünen im Krankenhausbett
Martin lag tagelang im Krankenhaus im Koma. © Privat

Mitten im Schockraum

Die Erinnerung an das, was sie dann im Krankenhaus sah, kann sie nicht vergessen. „Die haben mich quasi mitten in den Schockraum gestellt“, sagt sie. Von dort aus konnte sie zusehen, wie Martin der Schlauch in die Lunge gelegt wurde. „Das war schon übel und keiner hat mit mir gesprochen.“

Das Krankenhaus beschreibt sie als altmodisch, eine räumliche Trennung zu anderen Patienten gab es nur durch Stofftrennwände und kaum einer der Ärzte- oder Pflegekräfte konnte Englisch. „Keiner spricht mit dir. Man kriegt Panik, ist hilflos, macht sich Sorgen. Das Einzige, was die mir gesagt haben, war, dass sie nicht wissen, ob er das schafft.“ In diesem Raum, in dem Martin lag, lagen auch ein paar andere Menschen – und darunter tatsächlich die zwei Menschen, die ebenfalls am Unfall beteiligt waren.

Nach der Behandlung im ersten Krankenhaus sollte Martin von Patong in das Krankenhaus der Stadt Phuket verlegt werden – und Leah sollte zahlen. Denn das Krankenhaus wusste nicht, wie Martin versichert ist. Damit die Versorgung weiter gewährleistet war, sollte Leah nach eigenen Angaben 1500 Euro bezahlen.

Nach der Zahlung durfte Martin eine Nacht im Krankenhaus bleiben. In der Zwischenzeit wurde alles mit der Auslandskrankenversicherung geklärt und Martin in ein privates Krankenhaus verlegt, wo er anschließend an der Wirbelsäule operiert wurde.

Keine Erinnerung an den Unfall

An den Unfall könne sich Martin nicht mehr erinnern. Er wisse nur noch, wie er zu Leah sagte, er sei in fünf Minuten wieder da – von da an bis zum Krankenhaus sei keine Erinnerung vorhanden. „Da habe ich mich teilweise wie ein renitentes Kind benommen und ich weiß davon nichts mehr“, sagt Martin.

Dementsprechend sei es ihm schwergefallen, wieder in die Spur zu kommen. Als die beiden dann wieder zurückfliegen wollten, sagten die Behörden, dass das nicht ginge. „Die Polizei kam mit dem Vater eines der beiden Unfallbeteiligten ins Krankenhaus und meinte, das ginge nicht mit der Ausreise.“

Verpixeltes Video zeigt Unfall

Denn, so erklärt es das Paar, Martin bekam von den Behörden die Schuld an dem Unfall – und damit muss er Schadensersatz zahlen. Bevor er das nicht getan hat, durfte der Feuerwehrmann, der in Dortmund aufgewachsen ist und in Herne wohnt, nicht ausreisen. Einer der Gründe dafür, dass Martin die Schuld bekommen hat: ein Video des Unfalls.

„Das war ein ganz verpixeltes Video von einem Supermarkt gegenüber, rund 500 Meter entfernt. Da sieht man nur, dass zwei Roller ineinander knallen. Du kannst weder erkennen, wer auf dem Roller sitzt, noch sonst etwas. Das wurde uns einmal kurz gezeigt. Das und Zeugen, die gesagt haben, er sei schuld“, erklärt Leah.

Kurz darauf nahm sich das Paar einen Rechtsanwalt. Eine Rechtsschutzversicherung haben sie abgeschlossen, allerdings übernimmt diese nur für ein Vorverfahren 1500 Euro. Auf den restlichen Kosten für den Anwalt sei das Paar sitzen geblieben.

Martin und Leah zeigen das Dokument, das ihm die Rückreise nach Deutschland ermöglichte.
Martin und Leah sind in Deutschland. Ohne das Dokument hätte Martin nicht ausreisen dürfen. © Privat

Klinikrechnung sechsstellig

Nicht die einzigen Kosten, die entstanden sind. Denn die ganzen Operationen und der Aufenthalt im Krankenhaus mussten auch bezahlt werden – laut dem Paar haben die Behandlungen umgerechnet rund 107.000 Euro gekostet. „Ich bin froh, dass ich diesen Krankenversicherungsschutz in der Form habe. Wenn du das nicht hast und da auch noch alleine bist, dann kannst du dir auf jeden Fall eine Kiste aussuchen“, sagt Martin.

Nach dem Aufenthalt im Krankenhaus musste Martin zunächst einmal realisieren, was ihm da widerfahren ist. Rückblickend sagt er, dass er großes Glück gehabt hatte. „Ich kenne mich ja beruflich damit aus. Ich kann glücklich sein, dass ich ganz normal aussehe, noch lebe und aufrecht stehen kann. Das war mir direkt klar“, erklärt er, fügt aber an, warum die Situation trotzdem schwierig für ihn war: „Du musst dich damit arrangieren, dich nur durch einen Strohhalm ernähren zu können. Nur flüssige Suppe. Ganz, ganz, flüssige Suppe und Babybrei.“

Trotz seiner Situation versuchte Martin positiv zu bleiben. Kurz darauf gab es den nächsten Kontakt mit den Behörden. „Bevor ich überhaupt ausreisen darf. Das war schon verrückt“, findet er. Der eine Geschädigte forderte 10.000, der andere fast 75.000 Euro. Utopische Summen, wie das Paar findet. „Das Problem ist, die lassen dich halt nicht ausreisen. Du hast wirklich keine Chance und der Anwalt ist dann zur Polizei und hat das erste Mal verhandelt. Mit dem einen konnten wir uns schnell einigen, den Roller haben wir auch schnell bezahlt“, sagt sie.

Spenden durch Verein und Spiel

Da die Überweisungen ins Ausland länger dauern, hat das Paar die Spendengelder, die durch den Verein „Lüner helfen Lünern“, der Gofundme-Seite von Leah und das Benefizspiel gesammelt wurden, auf das Konto des Anwalts geschickt. Über die Hilfen aus der Heimat hat sich Martin sehr gefreut. „Ich kann es kaum in Worte fassen. Ich kann nicht sagen, wie viele Menschen sich beteiligt haben, das ist etwas ganz Besonderes für mich. Ich möchte mich von ganzem Herzen bei jedem bedanken.“

Kompromiss und Ausreise

Der andere Geschädigte blieb laut Martin zunächst hart bei seinen Forderungen von 75.000 Euro. Als Martin und Leah dann meinten, sie würden das nicht zahlen und wollen das vor Gericht aushandeln, gab der Mann aus Thailand nach. „Weil, wenn es vor Gericht geht, kriegen die halt viel, viel weniger. Und im Endeffekt hat er dann, ich glaube, 1,4 Millionen Baht (38.664 Euro, Anm. der Red.) gekriegt“, weiß Martin.

Damit verhandelte kein thailändisches Gericht den Unfall, um die Schuldfrage zu klären. Durch die außergerichtlichen Einigungen ist der Fall aber nun zu den Akten gelegt worden.

Doch anschließend zog sich das weitere Prozedere weiter hin, ausreisen durfte Martin erst mit einer speziellen Urkunde, die ihm erst ausgestellt werden musste. Als absehbar war, dass sich die Verhandlungen in den letzten Zügen befanden, und Martin wieder selbstständig den Alltag meistern konnte, reiste Leah zehn Tage früher nach Deutschland.

Am Flughafen angekommen hatte Martin trotzdem zunächst Probleme, einzuchecken. Denn zwar durfte er ausreisen und hatte sein Schreiben dabei, aber sein Pass war digital nicht freigeschaltet. Durch das Dokument durfte er seine Reise zurück nach Deutschland doch noch antreten.

Leben in Deutschland

Probleme mit den Arbeitgebern des Paares (Leah arbeitet in der Jugendhilfe) gab es keine – wofür sie sehr dankbar sind. Denn ohne Leah hätte Martin die Zeit laut eigener Aussage nicht überstanden. Nach all der Zeit am Flughafen zu sein, erleichterte Martin. „Im Flugzeug wurde es noch besser“, sagt er und meint, es sei wie eine Befreiung gewesen. In Frankfurt angekommen wartete Leah im Auto und schnellstmöglich ging es zurück nach NRW. Seitdem genießen die beiden die Zweisamkeit, zwischendurch traf man sich mit Familie und Freunden.

Insgesamt musste das Paar rund 55.000 Euro Entschädigung bezahlen – plus die anderen zusätzlichen Kosten für Hotel, Essen und mehr. Das Problem war dabei nicht die Versicherung, die das Paar in Deutschland abgeschlossen hat, wie sie verraten: „Da greift die Haftpflichtversicherung von dem Fahrzeug. Und die sind halt in Thailand nur mit 50.000 Baht abgesichert.“ Denn Martin mietete den Roller vor Ort. Eine Sache, die er so nicht noch einmal tun würde – genauso wenig wie in nächster Zeit noch einmal nach Thailand zu reisen. So schön der Urlaub zuvor auch war und er nicht das erste Mal in Thailand war. Laut dem Paar haben sie über 30.000 Euro der Entschädigungszahlungen selbst aufgebracht – aus eigenen Rücklagen oder geliehen von der Familie.

Doch wie geht es für Martin arbeitsmäßig weiter bei der Feuerwehr in Lünen? „Also ich habe auf jeden Fall Interesse daran, mein Leben, so wie es vorher war, wieder zu führen. Ich bin optimistisch, dass ich meinen Dienst wieder aufnehmen kann, so wie ich das vorher gemacht habe. Aber ich werde wahrscheinlich erst mal ein bisschen brauchen“, beantwortet er die Frage mehr als einen Monat nach dem Unfall, der fast sein Leben beendet hätte.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 1. Dezember 2024.