Mit einem Brandbrief an den Lüner Stadtrat hat sich die zum 1. Oktober dieses Jahres aus dem Amt geschiedene Erste Beigeordnete und Kämmerin Bettina Brennenstuhl (41) auf elektronischem Postweg von jedem einzelnen Ratsmitglied verabschiedet.
In dem gut dreiseitigen Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt und welches vom 11. September datiert, geht die Steuer- und Finanzexpertin einmal mehr auf die desolate Lüner Haushaltslage mit einem Schuldenberg von 380 Millionen Euro ein.
Lünens Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns und eine Handvoll weiterer Führungsköpfe der Verwaltung erhielten das Schreiben lediglich in Kopie. Das Schreiben hat nach Informationen unserer Redaktionen aus verwaltungsnahen Kreisen intern für viel Wirbel gesorgt.
Klare Finanz-Analyse
„Ich habe bereits beim letzten Haushalt 2022 gesagt, dass die Finanzlage in Lünen defizitär ist, der Haushaltsausgleich auf dem Papier ausschließlich durch die Bilanzierungshilfe (Corona-Deckel) darzustellen ist. Und auch nur aus diesem Grund konnte in der Planung bis 2025 das Eigenkapital aufgebaut werden und der rechtswidrige Zustand der bilanziellen Überschuldung beendet werden.“
Nach diesem kurzen Rückblick folgt eine eindringliche Analyse des Ist-Zustandes durch Bettina Brennenstuhl. Wobei nicht zuletzt das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen (MHKBG NRW) Kritik einstecken muss.
Ministerium rudert zurück
„Bis zum 5. September 2022 war die Haltung der für Kommunales zuständigen Ministerin (Ina Scharrenbach, CDU, Anm. d. Red.), dass die kommunale Finanzwelt wieder in Ordnung sei und daher die Bilanzierungshilfe nicht über das Jahr 2022 hinaus fortgesetzt werden müsse“, schreibt Brennenstuhl.
Vielmehr sei die Ministerin noch davon ausgegangen, dass das Mehr bei den Schlüsselzuweisungen 2023 auf die hohe Kante gelegt werden könne: „Das entspricht allerdings in keinster Weise der kommunalen Realität.“
Dass das Ministerium Anfang September die corona-bedingte Bilanzierungshilfe nicht nur bis zum Jahr 2025 verlängert, sondern auch noch um finanzielle Schäden infolge des Ukraine-Krieges ausgeweitet hat, verfälsche die Aussagekraft eines kommunalen Haushalts noch mehr.
Die Bilanzierungshilfe sei, betont Bettina Brennenstuhl, wenig zielführend und nachhaltig, da sie weder an den strukturellen Haushaltsproblemen der Kommune etwa ändere noch zu einem Zufluss an Liquidität führe.
Prognostiziertes Defizit
Unstrittig sei aber auch, stellt Bettina Brennenstuhl fest, dass es durch die Bilanzierungshilfe erst möglich werde, „die kommunalen Haushalte aufzustellen, ohne ein Defizit beziehungsweise nur mit einem geringen Defizit auszuweisen“.
Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, heißt es in dem Schreiben weiter, dass das Lüner Defizit im Jahr 2023 von rund 22,5 Millionen Euro planerisch um mindestens rund 17 Millionen Euro (fiktive Erträge) auf 6 Millionen Euro verringert werden kann. Brennenstuhl: „Trotz der Bilanzierungshilfe hätten wir damit keinen genehmigungsfähigen Haushalt für das Jahr 2023.“

In Anlehnung an Ausführungen von Dr. Brigitte Mandt, Präsidentin des Landesrechnungshofes NRW, zum Landeshaushalt NRW, der laut Brennenstuhl das gleiche Problem wie der Haushalt der Stadt Lünen hat, schreibt die Kämmerin den Lüner Ratsmitgliedern im September ins Stammbuch: „Das Geld reicht nicht für alles. Es müssen vielmehr Prioritäten gesetzt werden.“
Diese Aufgabe könne nur gemeinsam zwischen Verwaltungsführung und Politik gelöst werden: „Ein Ausruhen auf der Bilanzierungshilfe, die nur eine vermeintliche Lösung des Lüner Haushaltsproblems ist, wäre der falsche Weg. Die Probleme werden bis zum Jahr 2025 weiter steigen. Daher ist jetzt zwingend erforderlich zu konsolidieren. Diese Aufgabe sollte nicht hinausgezögert werden.“
Brennenstuhl: zu wenig Geld
In ihrem Schreiben an die Ratsmitglieder geht die Finanzexpertin „davon aus, dass neben Aufwandsreduzierungen im Zuge einer Prioritätensetzung - 'die wehtun wird' - auch Ertragserhöhungen in Form einer Erhöhung der Grundsteuer B und der Gewerbesteuer nicht vermeidbar sein werden.“
Eine andere Lösung, schreibt Bettina Brennenstuhl, sehe sie zurzeit nicht, wenn ein genehmigungsfähiger und nachhaltiger sowie generationengerechter Haushalt 2023 - und für die Folgejahre - in Lünen aufgestellt werden soll.
Die Basis dafür bildet der Haushaltsentwurf 2023, der nach Rücksprache mit dem Verwaltungsvorstand und den Fraktionsspitzen nicht mehr von Bettina Brennenstuhl selbst am 15. September dieses Jahres eingebracht wurde, sondern erst in der kommenden Ratssitzung am 15. Dezember.
Genehmigungsfähiger Haushalt?
Dafür verantwortlich zeichnet nach Angaben der Verwaltung Roman Greb, der seit dem 1. Oktober als Nachfolger von Dominik Skrinjar Leiter des Fachbereichs Finanzen ist.
Bis zum Amtsantritt von Lünens neuen Kämmerer Dr. André Jethon (50), bislang Fachbereichsleiter Finanzen beim Kreis Recklinghausen, kümmert sich Roman Greb um Lünens Haushalt.
Bei seinem Amtsantritt Anfang Oktober hatte Greb erklärt, dass er sich der schwierigen Situation bewusst, aber dennoch überzeugt sei, dass der städtische Haushalt auch für 2023 genehmigungsfähig wird: „Daran werden mein Team und ich nun mit Hochdruck arbeiten.“
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