Für Iris Lüken war es ohnehin absoluter Irrsinn. Die Leiterin der Lüner Osterfeldgrundschule erhielt vor Kurzem eine Dienstaufsichtsbeschwerde. Genau wie eine Lehramtsanwärterin, die zeitweise an ihrer Schule unterrichtete. Weil ein Mann aus Recklinghausen sich daran störte, dass die Referendarin Kindern im Unterricht Gendersprache beibrachte. Diese Dienstaufsichtsbeschwerde wurde inzwischen von der Schulaufsicht des Kreises Unna abgewiesen. „Schon vor zwei Wochen“, wie Lüken im Gespräch mit dieser Redaktion erklärt.
Der Recklinghäuser hatte seine Beschwerde seinerzeit damit argumentiert, dass in einer Schule die Amtssprache Deutsch sei. Gendern dürfe seiner Meinung nach dort deshalb nicht stattfinden. Die Lehramtsanwärterin hatte das Thema nicht nur im Schulunterricht behandelt, sondern auch konsequent im Alltag geschlechtergerechte Sprache verwendet. Immer, wenn sie über Menschen sprach, legte sie eine kurze Gesprächspause ein, der sie ein „in“ oder „innen“ folgen ließ – der sogenannte Glottisschlag, benannt nach der Stimmritze im Kehlkopf. Dieses Sprechen mit Lücke verdeutlicht jedes Genderzeichen in gleicher Weise, egal ob Stern, Doppelpunkt, Unterstrich oder Binnen-I.
Die Bezirksregierung konnte die Rücknahme der Dienstaufsichtsbeschwerde bislang nicht bestätigen. Sie ist laut Max Rolke, Pressesprecher des Kreises Unna, für die Bearbeitung verantwortlich gewesen. Die Antwort auf die von der Redaktion gestellte Anfrage steht noch aus.
„Dienstaufsichtsbeschwerden richten sich gegen das Verhalten einzelner Beschäftigter“, erklärt die Bezirksregierung auf ihrer Webseite. „Jede Beschwerde wird geprüft und beschieden, wobei kein Anspruch auf eine Begründung der Entscheidung besteht. Sofern eine Dienstaufsichtsbeschwerde begründet ist, können entsprechende dienstaufsichtsrechtliche oder organisatorische Maßnahmen veranlasst werden.“ Das ist im Fall von Lüken und der Referendarin nicht so.
Von Beschwerde überrascht
„Mich hat diese Beschwerde natürlich sehr bewegt“, erklärt Iris Lüken. „Schließlich war das die erste Beschwerde, die ich erhielt.“ Ihrer Ansicht nach war das Anliegen des Recklinghäusers aber von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. „Wir wollten mit dem Gender-Experiment ja nur einen Teil des normalen Lebens abbilden.“ Und ohnehin: Das Experiment war schnell ad acta gelegt, nachdem Schüler plötzlich von Tischinnen und Stühlinnen im Alltag sprachen. Besonders bei Kindern, die Deutsch als Zweitsprache lernen, sorgte das Experiment für Schwierigkeiten. Allerdings: Die Doppelnennung ist im Schulalltag angekommen. Um alle Kinder gleichzeitig anzusprechen, reden die Lehrerinnen und Lehrer von Schülerinnen und Schülern und nutzen nicht das generische Maskulinum.

Dennoch betont Lüken, dass es wichtig sei, auch andere Sichtweisen zu dem Thema anzuhören. „Grundsätzlich ist es jederzeit möglich, eine Dienstaufsichtsbeschwerde zu stellen, wenn man nicht zufrieden mit der Leistung von Lehrkräften ist“, weiß die Schulleiterin. „Und das ist auch gut so.“
Thema wird weiterhin behandelt
Gendern sei derzeit übrigens kein fest in den Unterricht integriertes Thema. „Die Lehrkräfte beschäftigen sich natürlich damit, etwa wenn es um das Einüben der Artikel geht“, berichtet Lüken. „Und wir werden das Thema selbstverständlich auch weiterhin behandeln.“
Auch im NRW-Schulministerium beschäftigt man sich mit geschlechtergerechter Sprache. Sämtliche Briefe und Anweisungen richten sich an Lehrerinnen und Lehrer. Die Ministerin spricht stets von Schülerinnen und Schülern. In Nordrhein-Westfalen gibt es anders als in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein oder Bayern kein Genderverbot.
