Akten, Jackett, Bürojob und Paragrafen – so sieht die alltägliche Arbeit in einer Fachanwaltskanzlei in Lünen für Lisa Stenke aus Selm aus. Wenn man die 28-Jährige privat sieht und kennt, könnte man das so gar nicht vermuten. Mit gefärbten Haaren, Tattoos und Piercings entspricht sie nicht dem, was man sich unter einer typischen Angestellten in einer Kanzlei vorstellt. Dementsprechend ungewöhnlich ist auch das Hobby, das Lisa Stenke an den Wochenenden ausübt.
An den Sonntagen findet man sie, gemeinsam mit ihrem Mann Jens Röppenack, im Wrestlingring in der Liga „Legion Wrestling“ in Dortmund. „Seit 2023 bin ich selbst aktiv im Wrestling“, sagt sie im Gespräch mit der Redaktion.
Für die Selmerin ist der Sport der ideale Ausgleich zum Alltag. Denn das Wrestling verbindet das Sportliche mit einer schauspielerischen Komponente, in die man seine eigene Persönlichkeit einfließen lassen kann. Genau das reizt Stenke sehr: „Ich persönlich denke, dass es eine der großartigsten Sportarten ist, die man machen kann.“
Vom Hass zur Liebe für den Sport
Eine Aussage, die Stenke früher niemals getroffen hätte. In ihrer Vergangenheit hat sie dem Wrestling nichts abgewinnen können – ganz im Gegenteil. „Mein Mann hat immer die WWE (Die größte Wrestlingliga der Welt, Anm. der Red.) geschaut und ich war davon sehr genervt. Ich habe teilweise die Türen zugeschlagen, weil ich schlafen wollte“, erinnert sich die 28-Jährige.
Als Grund für ihre vorherige Abneigung sieht Stenke in ihrer Erziehung. Denn die Religion, mit der sie aufgewachsen ist, verbietet jede Form der Gewalt, so auch das Wrestling.
Doch mit der Pandemie änderte sie ihre Meinung. „Borussia hat nicht mehr gespielt und daraufhin habe ich mir gesagt, dass ich mir das mit dem Jens gemeinsam anschaue“, erklärt Stenke. Seitdem schaut sie regelmäßig die wöchentlichen Shows und Fan des Sports geworden.
An den Zeitpunkt, an dem sie entschieden hat, selbst in den Ring steigen zu wollen, kann sich die 28-Jährige noch genau erinnern: „Ich war auf einem Geburtstag eines Freundes, der dazu immer eine Wrestling-Show veranstaltet. Ich stand im Ring, habe mich in die Ringseile gehängt und habe mir gedacht, dass das ein geiles Gefühl ist.“ Zwei Monate später ist Stenke dann gemeinsam mit ihrem Mann zu seinem Training in Dortmund gegangen.

Hochzeitsfeier im Ring
Mittlerweile ist das Wrestling ein fester Bestandteil im Leben der 28-Jährigen geworden. Nicht nur ist sie an den Sonntagen im Training oder bei den Live-Shows zu sehen, sondern auch im Privatleben des Ehepaares spielt der Sport eine wichtige Rolle. Auf dem Hochzeitsfoto sind beide mit den Champion-Gürteln der WWE zu sehen, zur kombinierten Hochzeits- und Geburtstagsfeier haben sie eine private Wrestlingshow organisiert, bei der die beiden auch selbst in den Ring gestiegen sind.

Es ist eine Liebe zueinander und zum Wrestling, die unter die Haut geht – oder auch auf die Haut. Röppenack hat mehrere wrestlingbezogene Tattoos, das Ehepaar hat auch ein Partnertattoo. Auf einem Arm haben die beiden sich jeweils ein Teil der Gesichtsbemalung der Usos, einem der bekanntesten Wrestling-Duos der Welt, tätowiert. Doch für Lisa Stenke hat das Tattoo noch eine zusätzliche Bedeutung: „Usos ist samoanisch für ‚die Geschwister des gleichen Geschlechts‘. Wir sind vier Schwestern, Usos hat vier Buchstaben und der kleine Punkt, das ist ja quasi meine Stieftochter, die für mich aber immer wie eine kleine Schwester ist. Außerdem hat den Schriftzug meine Schwester Julia geschrieben, die mittlerweile verstorben ist.“

Vorbild Alexa Bliss
Als Vorbilder hat das Ehepaar zwei Wrestler, die ebenfalls lange gemeinsam vor der Kamera aufgetreten sind. Während Röppenack mehrere Tattoos von Bray Wyatt hat, ist das Vorbild von Lisa Stenke die Wrestlerin Alexa Bliss. „Ich würde mich auch ein Stück weit mit ihr identifizieren“, erzählt die Selmerin. Röppenack sieht zwischen ihnen und dem ungleichen Charakter-Duo bei der WWE gewisse Parallelen. „Das sind totale Gegensätze, so wie wir Gegensätze sind. Es liegen 15 Jahre zwischen uns. Ich bin der Tätowierte mit den bunten Haaren, mittlerweile hat sie die auch, vielleicht habe ich sie damit angesteckt. Ich glaube, dass das ganz viel mit uns privat macht.“
Mehrere Shows in Dortmund
In der Liga von „Legion Wrestling“ ist Stenke als „Julia Numb“, in Andenken an ihre Schwester Julia, im Ring zu sehen. Dort nimmt sie die Rolle der „Match Makerin“ also der Managerin der Liga ein – so wie einst ihr Vorbild Alexa Bliss. „Das bedeutet, ich habe die Liga unter mir. Ich bin quasi dafür zuständig, dass wir Wrestler für die Events haben, dass das Catering läuft, dass der Aufbau läuft und dass es den Mitarbeitern gut geht“, erklärt sie ihre Rolle. Meistens sind die Auftritte der Wrestling-Liga in Dortmund zu sehen. Auch auf den sozialen Medien teilt Stenke ihre Liebe zum Sport, dort dann mit der Kombination beider Namen „Lisa Numb“.

Volle Unterstützung bei der Arbeit
Für Stenke ist das Wrestling ein Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Schon früh in ihrer Kindheit war sie eher eine Außenseiterin. „Im Kindergarten oder in der Schule war ich immer die Lauteste. Ich war immer diejenige, die Rockmusik gehört hat, die Metal gehört hat. Ich habe nie in eine normale Gruppe gepasst“, erinnert sie sich.
Doch wieso hat sich die 28-Jährige dann entschieden, sich bei einer Anwaltskanzlei und einem Bürojob zu bewerben? „Ich bin mit Akten groß geworden. Dementsprechend lag mir das schon im Blut. Ich habe versucht, mich dagegen zu wehren. Ich wollte eigentlich soziale Arbeit studieren. Am Ende habe ich mich dann doch auf die Stelle beworben“, erinnert sich Stenke.
Bei ihrer Arbeit ist das auffällige Aussehen und die Art von Stenke kein Problem – der Arbeitgeber stärkt ihr den Rücken. „Als ich mich beworben habe, habe ich ihm gesagt: ‚Ich habe pinke Haare, ich habe Tattoos, ich habe Piercings und davon wird es noch mehr geben. Stört dich das?‘ Und er hat nur geantwortet: ‚Wen das stört, der soll gehen.‘ So hat er auch reagiert, als ich mit ihm über das Wrestling gesprochen habe“, sagt Stenke.
„Gebt dem Wrestling eine Chance“
Dass der Sport bei vielen so verpönt ist, findet die 28-Jährige schade. „Klar, gibt es Schauspielerei. Aber das ist auf die Geschichte bezogen. Es ist jetzt nicht so, als würde man sich im Ring nicht wehtun. Wenn man einen Stuhl auf den Rücken oder einen Kendo-Stick in den Bauch bekommt oder sich auf die Matte fallen lässt, dann tut das alles weh. Das muss man abkönnen“, erklärt sie. Dementsprechend wünscht sie sich, dass man sich erst ein Bild von dem Sport macht, bevor man urteilt und sagt: „Gebt dem Ganzen eine Chance. Gerne auch in den kleinen Indie-Ligen vor Ort.“
Eben eine solche Liga ist die in Dortmund, in der auch Lisa Stenke und Jens Röppenack tätig sind. Die nächsten beiden Veranstaltungen haben einen wohltätigen Zweck. Am 13.4. wird es eine kostenlose Show mit dem Namen „Fight for Kids“ geben, die Spenden werden an die Hilfsorganisation „Bikers for Kids“ und einem Kinderhospiz in Düsseldorf gespendet.
Am 3.5. findet „Temporal Takedown“ statt, eine Veranstaltung im „80er-Jahre-Back-to-the-Future-Stil“, wie Stenke es erklärt. Die Kosten für die Tickets werden an die Michael J. Fox-Stiftung zur Parkinson-Erforschung gespendet, erzählt Röppenack über beide Veranstaltungen. Am 15.6. findet dann die nächste reguläre Live-Veranstaltung statt. Röppenack verrät, dass es zu den Veranstaltungen auch Wrestler zu sehen sein werden, die bei NXT-UK, einer Tochterorganisation der WWE, aufgetreten sind.
