Versetzung auf Zeit gegen akuten Lehrermangel auch an Lüner Schulen „Ist nur für den Moment gut“

Versetzung auf Zeit gegen akuten Lehrermangel: „Ist nur für den Moment gut“
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Die Nachricht der Landesregierung klang Anfang Dezember zunächst positiv: Deutlich mehr Menschen als noch vor einem Jahr sind an den Schulen in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Das große „Aber“ zeigt sich dann bei den derzeit rund 7100 unbesetzten Stellen. Vor allem Grundschulen sind vom Mangel an Lehrerinnen und Lehrern betroffen. Um dem entgegenzuwirken, werden in mehreren NRW-Städten auf Initiative des Landes Lehrkräfte von ihren Schulen versetzt - auch in Lünen.

Vom Freiherr-vom-Stein-Gymnasium seien vier Kolleginnen abgeordnet worden, erklärt Schulleiter Wilhelm Böhm. An eine Realschule, eine Grundschule, an das Förderzentrum Nord und an eine Gesamtschule. Ganz weg seien sie aber nicht, betont er. Mit der halben Stundenzahl bleiben sie dem Gymnasium erhalten. „Das waren sogenannte Vorgriffstellen. Die Lehrerinnen waren als Vertretungskraft bei uns eingestellt und haben über die Zustimmung für eine Teilabordnung eine feste Stelle bekommen.“ Personal, das schon länger an der Schule ist, wurde nicht an andere Standorte versetzt, erklärt Böhm.

Ähnlich sieht die Lage am Gymnasium Altlünen aus. „Bisher gab es bei uns eine Abordnung an eine Grundschule und zwei Vorgriffstellen. Wir haben die Leute eingestellt unter der Bedingung, auch an andere Schulformen zu gehen“, erklärt Schulleiter Reiner Hohl. Dies gelte nun bis 2025. Dem 60-Jährigen sei wichtig, dass solche Versetzungen im Einverständnis passieren und nicht gegen den Willen der Lehrkräfte. „Das finde ich dann sehr problematisch.“ Er sei letztendlich auch derjenige, der entscheiden müsste, wer geht, wenn niemand sich freiwillig meldet. Im Münsterland etwa gibt es aktuell ordentlich Ärger, weil rund 200 Grundschullehrkräfte an andere Standorte im Ruhrgebiet versetzt werden. Bereits 2023 traf es insgesamt 99 Lehrerinnen und Lehrer aus dem Regierungsbezirk.

Kein leichter Wechsel

Wenn eine Abordnung nur unter Zwang passiert, sieht das Lünens Grundschulsprecherin Iris Lüken ebenfalls kritisch. Sie leitet die Osterfeld-Grundschule. „Unter Umständen erwischt man dann jemanden, der da gar keinen Spaß dran hat und den Kindern den Lernstoff auch nicht mit Freude rüberbringen kann.“ Ganz so einfach ist der Wechsel beispielsweise vom Gymnasium an eine Grundschule ohnehin nicht, betont sie. Es sei etwas anderes, ob man Kinder oder ob man Jugendliche unterrichtet. „Man muss mit Grundschülern auf eine bestimmte, kindgerechte Art reden. Sonst verstehen sie einen nicht. Dieses Verhalten der Erwachsenen ist nicht selbstverständlich.“ Auch die Art des Lernens sei eine andere. Entsprechende Methoden lerne man in Studium und Referendariat.

Für Grundschulsprecherin Iris Lüken sollten Abordnungen von Lehrkräften nur in gegenseitigem Einverständnis vonstattengehen.
Für Grundschulsprecherin Iris Lüken sollten Abordnungen von Lehrkräften nur in gegenseitigem Einverständnis vonstattengehen. © Schulz-Gahmen

Reiner Hohl habe „großen Respekt“ vor den Lehrkräften, die derzeit aus ihrem eigentlichen Gebiet herausgeholt und in ein Neues gesteckt werden. „Da stellt sich natürlich immer die Frage, inwiefern sie dafür wirklich qualifiziert sind.“ Genau darin sieht auch Wilhelm Böhm die Schwierigkeit. „Die abgeordneten Lehrer werden übergreifend eingesetzt in den Fächern, das ist ja das Tragische. Eine Standardlehrkraft fürs Gymnasium hat zwei Fächer studiert. Jetzt ist was ganz anderes gefragt.“ Ihre Fachlichkeit könnten sie nicht wirklich „sinnvoll“ zum Einsatz bringen. Andere Qualifikationsmerkmale, die geschulte Lehrkräfte etwa im Förderzentrum mitbringen, würden ebenfalls fehlen.

Beide Schulleiter seien viel im Austausch mit den abgeordneten Lehrkräften, um bei Problemen schnell zur Stelle zu sein. Bisher funktioniere der Wechsel aber ganz gut, findet Wilhelm Böhm. Auch wenn es gerade zu Beginn eine Eingewöhnungsphase brauchte. „Ich weiß von einigen Schulen, dass erstmal im Tandem oder im Doppelpack gearbeitet wurde, damit sich die neuen Lehrer mit dem System anfreunden können.“

Keine Lösung des Problems

Ein bisschen Erfahrung mit Gymnasiallehrern hat Iris Lüken schon sammeln können. Denn in der Vergangenheit waren bereits Lehrkräfte an der Osterfeldschule, die keine Stelle an einem Gymnasium erhalten haben. „Die haben sich super gemacht als Grundschullehrer. In der Regel wollten sie aber leider nicht bleiben, sondern lieber in ihren Bereich gehen. Das kann man auch verstehen, dafür haben sie ja studiert.“ Auch eine Quereinsteigerin sei derzeit bei ihr beschäftigt. Sie habe vorher als Fremdsprachenkorrespondentin gearbeitet und unterrichte jetzt Englisch und dank einer zusätzlichen Ausbildung auch noch Sport.

Schulleiter Wilhelm Böhm ist mit den abgeordneten Lehrerinnen ständig im Austausch. Gerade am Anfang ist der Wechsel nicht leicht, hört er.
Schulleiter Wilhelm Böhm ist mit den abgeordneten Lehrerinnen ständig im Austausch. Gerade am Anfang ist der Wechsel nicht leicht, hört er. © Stachelhaus

Wirklich lösen würden die Abordnungen das eigentliche Problem - nämlich den Mangel an Lehrkräften - aber nicht, darin sind sich die zwei Schulleiter und die Grundschulsprecherin einig. „Das ist eine Flickschusterei und nur für den Moment gut“, sagt etwa Reiner Hohl. Gerade wenn die Gymnasien abschließend auf neun Jahrgänge gewachsen sind, bräuchte man die versetzten Lehrerinnen und Lehrer ohnehin wieder zurück, gibt Wilhelm Böhm zu Bedenken. „Das ist ja der Trick mit der Vorgriffstelle. Die Kräfte werden jetzt eingestellt, um dann 2026 vollumfänglich bei uns zu arbeiten. Da spielt man ein bisschen auf Zeit. Gut ist anders, aber besser so als keine Lehrkraft.“

Wirkliche Alternativen, die zeitnah umzusetzen sind, fallen Iris Lüken nicht ein. Sie würde sich wünschen, dass das Ganze nicht immer so „plötzlich“ komme. „Jetzt haben wir das Problem und können damit nicht mehr anders umgehen. Das ließe sich ja nur lösen, wenn in der Vergangenheit mehr Lehrer ausgebildet worden wären.“ In dem Punkt sieht Reiner Hohl dringenden Handlungsbedarf. Der Beruf müsse attraktiver gemacht werden. „Ich bin seit 30 Jahren Lehrer. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass das ein sehr anstrengender Job ist, mit einer entgrenzten Arbeitszeit.“ Die Anhebung der Eingangsbesoldung für alle Lehrämter auf die Stufe A13 sei zumindest schon mal ein Anfang.

Stellenausschreibungen laufen noch

Ayla Çelik von der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) hat weitere Forderungen, wie es in einem Artikel des Deutschen Schulportals heißt. Die Landesregierung „müsse den Numerus clausus für das Grundschullehramt abschaffen, massiv die Kapazitäten in der Ausbildung von Lehrkräften ausbauen, Fachleitungen angemessen bezahlen und in Bildung investieren, statt nur den Mangel zu verwalten“.

So könnte sich der Lehrermangel laut einer Prognose der Kultusministerkonferenz bis 2035 entwickeln an den verschiedenen Schulformen.
So könnte sich der Lehrermangel laut einer Prognose der Kultusministerkonferenz bis 2035 entwickeln an den verschiedenen Schulformen. © Deutsches Schulportal

Inwiefern sich die Situation an den Lüner Gymnasien und Grundschulen noch weiter verschärft, wird sich zeigen. Denn weitere Versetzungen sind zu jedem Zeitpunkt möglich. Derzeit laufen zudem noch mehrere Stellenausschreibungen, wie Bettina Riskop, Schulamtsdirektorin beim Kreis Unna, auf Anfrage erklärt. Darunter seien 19 Stellen für Grundschulen, vier davon in der Lippestadt.

Wilhelm Böhm und Reiner Hohl hoffen, dass es bei den aktuellen Abordnungen bleibt. Denn auch wenn die Lage nicht so drastisch sei wie an den Grundschulen und es keine unbesetzten Stellen an den zwei Gymnasien in Lünen gebe: Personal habe man nicht im Überfluss. Und ohne die Referendare wäre so oder so Land unter, erklärt Wilhelm Böhm.