Gut ein Jahr nach dem Angriff der Hamas auf Israel hat der Landtag beschlossen, dass die Bildungsarbeit an den Schulen zum Thema Antisemitismus ausgeweitet und verbessert werden soll. An der Heinrich-Bußmann-Schule (HBS) in Lünen spielt die Aufklärungsarbeit schon jetzt eine Rolle. „Der Angriff der Hamas und die aktuellen Konflikte haben uns als Schule stark sensibilisiert. Wir nutzen die Gelegenheit, die Themen Israel und Palästina intensiver in den Unterricht zu integrieren“, sagt die Schulleiterin Melanie Froch gegenüber der Redaktion.
So gibt es an der HBS den Wahlpflichtkurs „Israel“, in dem sich die Schüler „tiefgehend mit der Geschichte und Gegenwart des Landes auseinandersetzten“. Außerdem steht die Schulleiterin nach eigener Aussage in engem Kontakt mit der Schulleiterin der Partner-Waldorfschule in Shafo-Amro im Norden von Israel. „Wir arbeiten daran, ein erstes Treffen auf administrativer Ebene in einem Drittland zu organisieren.“ Der Austausch erfolge jedoch nicht nur über Modalitäten, „sondern auch über bestehende Kontakte wie Briefe und Videokonferenzen, um den interkulturellen Dialog zu fördern“, gibt Froch einen Einblick in die weitere Planung der Zusammenarbeit.

Thema in Unterrichtsfächern
Doch nicht nur im Kurs zu Israel wird das Thema an der HBS unterrichtet. Auch in verschiedenen Unterrichtsfächern wird der Konflikt besprochen – beispielsweise in der islamischen und christlichen Religionslehre, die getrennt unterrichtet werden. „Dabei wird stets die Perspektive jeder Religion berücksichtigt. Die außerschulischen Lernorte werden gemeinsam besucht, um die Gemeinsamkeiten beider Religionen herauszuarbeiten“, erklärt Froch und betont: „Auch das Judentum als dritte monotheistische Weltreligion wird thematisch mit einbezogen. Gemeinsamkeiten aller drei Weltreligionen werden betont.“
Eine Besonderheit an der HBS: An der Schule in Lünen wird „Politik“ als eigenständiges Fach unterrichtet. „Wir sehen in der Grundbildung eine besondere Verantwortung und möchten unseren Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, sich politisch zu bilden und kritisch mit aktuellen Themen umzugehen“, begründet Froch die Entscheidung.
Anzeichen für steigenden Antisemitismus
Vorfälle von Antisemitismus habe es an der Schule seit dem Angriff der Hamas im Oktober 2023 nicht gegeben. Sollte es zu solchen Vorfällen kommen, will Froch hart durchgreifen. „Verfassungsfeindliche Äußerungen bringen wir grundsätzlich zur Anzeige“, sagt sie. Ansonsten setzt die HBS aktiv auf Prävention und Aufklärung, um Antisemitismus zu bekämpfen. Froch erklärt, was sie damit meint: „Wir nehmen antisemitische Äußerungen oder Handlungen sehr ernst und thematisieren diese umgehend im Unterricht oder in erzieherischen Maßnahmen. Dies tun wir auch in jeder anderen Form des Fehlverhaltens zum Schutz von Personen. Unser Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler aufzuklären und zum Nachdenken anzuregen.“
Bisher kann Froch keine Zunahme von Antisemitismus an ihrer Schule feststellen, allerdings Anzeichen einer sinkenden Akzeptanz für den Staat Israel bei einigen muslimischen Schülern, „was uns in verschiedenen Unterrichtssituationen mitgeteilt wird“, sagt sie und ergänzt: „In diesen Fällen reagieren wir sensibel, greifen das Thema auf und besprechen es, um Verständnis und Respekt füreinander zu fördern“, sagt Froch.
Studie zur Israelfeindlichkeit
Diese sinkende Akzeptanz gegenüber dem Staat Israel zeigt auch eine Allensbach-Umfrage, die von März bis April 2024 im Auftrag der Antisemitismusbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen erstellt wurde. „Altersunterschiede gibt es ebenfalls kaum, allerdings sind 16- bis 18-Jährige auffällig israelfeindlich eingestellt“, heißt es in der Veröffentlichung.
Laut dieser Studie zeigen sich mehrere Auffälligkeiten bezüglich der Rolle von Religion: „Sowohl beim religiösen und offen modernen als auch beim israelbezogenen Antisemitismus liegen die Antisemitismuswerte von Muslim:innen über jenen von evangelischen und katholischen sowie nicht-religiösen Befragten.“
Aufgabe der Sachlichkeit
Ähnlich wie seine Kollegin Melanie Froch sieht auch Michael Schulte, Schulleiter der Profilschule in Lünen, die Aufgabe der Schule in der Aufklärung. „Antisemitischen Tendenzen zu trotzen ist eine Aufgabe für das gesamte Personal der Schule, ebenso wie die Sensibilisierung der Schülerinnen und Schüler. Aus diesem Grund wird dies auch im Unterricht und in Projekten thematisiert. In der Regel werden Problematiken aus diesem Bereich pädagogisch bearbeitet“, sagt er auf Nachfrage der Redaktion.
Antisemitische Vorfälle habe es an seiner Schule nicht gegeben, erklärt er. Wenn es zu solchen kommen sollte, werden laut Schulte Ordnungsmaßnahmen verhängt. Der Schulleiter gibt an, dass der Migrationsanteil an seiner Schule im letzten Jahr erheblich gestiegen ist. Dadurch würden Gruppierungen aufeinandertreffen – die nicht Israel betreffen – die schon aus ihrer Historie kritisch zueinanderstehen. „Diese Problematiken werden im Rahmen des täglichen Miteinanders pädagogisch aufgearbeitet“, sagt er.
Auch Beleidigungen, analog wie digital, seien eine immer wieder auftretende Problematik. „Dies kann sich dann auch in – oft aber auch einfach unüberlegten – antisemitischen Äußerungen zeigen“, so der Schulleiter.
Was Schulte beobachten kann: Viele Schüler seiner Schule mit „muslimischem Hintergrund, zudem aus Nachbarländern Israels“ haben einen skeptischen Blick auf Israel. „Dieser wird in manchen Familien sicherlich auch stark gefördert. Aufgabe der Schule ist es daher, Sachlichkeit in diese stark emotionale Situation zu bekommen“, findet er.
Trotz mehrfacher Nachfrage der Redaktion möchte sich der Schulleiter der Realschule Brambauer, Michael Schulten, „zu solch sensiblen Themen“ nicht äußern.
NRW soll sicher für Juden sein
In der Studie zum Antisemitismus wird deutlich, wie tief dieser in die Gesellschaft verwurzelt ist. Laut der Umfrage stimmt beispielsweise rund ein Viertel der Befragten der offenen Version der Verschwörungstheorie vom übermäßigen Einfluss der Juden zu. Zehn Prozent von ihnen finden, dass die Juden „zu viel Einfluss auf die öffentliche Meinung in Deutschland [haben]“ oder sie lehnen Aussagen ab, die darauf hinweisen, dass „Juden […] oft ungerechtfertigt angefeindet [werden], wenn es Krisen gibt“ oder dass „die jüdische Kultur […] gegen ihre Feinde geschützt werden“ müsse.
Während der Landtagssitzung vom 9. Oktober 2024, in der über den Ausbau der Bildungsarbeit zu Antisemitismus beraten wurde, verkündete Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU): „Nordrhein-Westfalen muss für Jüdinnen und Juden eine sichere Heimat sein. Für dieses Versprechen stehen wir ein.“ Laut WDR soll daher die historisch-politische Bildungsarbeit mit Schülerinnen und Schülern ausgebaut werden. „Jede, jeder soll mindestens einmal die Möglichkeit haben, ein Konzentrationslager zu besuchen. Wer einmal dort war, ist häufig ein anderer Mensch“, erklärte Wüst.