Erste Rücktrittsforderung
Knöllchen-Affäre um den Lüner Bürgermeister
Schwere Vorwürfe erschüttern das Rathaus. Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns (GFL) soll veranlasst haben, dass ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid gegen ihn fallen gelassen wird. Ein anonymer Hinweisgeber behauptet das – und die erste Rücktrittsforderung ist da.
„Der neue Bürgermeister ordnet an, seinen Bußgeldbescheid verschwinden zu lassen.“ So steht es in Unterlagen, die am Donnerstag an die Öffentlichkeit gelangten. Im Anhang sind interne Dokumente, sechs Seiten, die das belegen sollen. Unter anderem ein handschriftlicher Text von Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns (GFL): „Zahle ich nicht!“ Adressat: Die Ordnungsbehörde.
Zum Sachverhalt: Kleine-Frauns parkt am 30. Juli 2015, damals GFL-Ratsherr und Bürgermeisterkandidat, in der Marienstraße, gegenüber der GFL-Geschäftsstelle. Er bekommt ein Knöllchen. 10 Euro soll er zahlen. „Das zahle ich nicht“, habe er direkt gedacht, erklärt er auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz.
Er habe an jenem Tag nämlich statt einer Parkscheibe die sogenannte R-Karte hinter die Windschutz-Scheibe gelegt. Auf bestimmten Flächen dürfen Ratsmitglieder damit parken, wenn sie in Ratsangelegenheiten unterwegs sind.
Eine Broschüre mit Erläuterungen habe jedes Ratsmitglied ausgehändigt bekommen. In der Marienstraße sei das Parken damit nicht erlaubt, räumte Kleine-Frauns gestern ein.
Unausgesprochene Regel
Gibt es trotz R-Karte ein Knöllchen, könne das betroffene Ratsmitglied im Büro des Bürgermeisters anrufen und um Klärung bitten, sagt Kleine-Frauns. Dann werde das Verfahren im Regelfall eingestellt. Vertrauensschutz-Regelung heiße das.
Vertrauen darauf, dass das Ratsmitglied im Auftrag der Fraktion unterwegs war. Offiziell dokumentiert ist diese Regelung nicht, im Ältestenrat sei das vor vielen Jahren beschlossen worden. „Konsensual“, sei das gewesen, erklärt Frank Knoll, persönlicher Referent des Bürgermeisters: „Ein unausgesprochenes Agreement.“
30 Mal seien solche Anrufe im vergangenen Jahr im Büro des Bürgermeisters eingegangen. 30 Mal sei das Verfahren eingestellt worden. Auch Kleine-Frauns rief an. Doch das Verfahren lief weiter. Allerdings nur so lange, bis Kleine-Frauns – inzwischen zum Bürgermeister gewählt – am 24. November einen Mahnbescheid an die Ordnungsbehörde zurückfaxen lässt.
Darauf seine handschriftlichen Bemerkungen. „Zahle ich nicht!“, „Wir sollten/dürfen den Bogen an Ratsmitglieder (war ich zum Zeitpunkt) nicht überspannen“ und „Bitte nachdenken!“. Darunter sein Kürzel. Zwei Wochen später schreibt Friedhelm Wittlieb, Abteilung Verkehrsüberwachung, eine Mail zurück: Verfahren abgesetzt, Kleine-Frauns muss nicht zahlen.
Dass er vorher doch zahlen sollte, ärgert ihn: „Es kann nicht sein, dass der Vertrauensschutz einseitig entzogen wird“, sagt er, „vielleicht nur deshalb, weil ich mich im Bürgermeister-Wahlkampf befand“.
Ihm ginge es auch darum, dass das Ehrenamt so noch behindert würde. Er wolle sich künftig für klarere Regelungen einsetzen. Der Jurist hatte sich im Wahlkampf immer für mehr Transparenz in der Verwaltung ausgesprochen.
Knöllchen, kein Knöllchen – ein ganz normaler Vorgang? Knoll erwähnt im Pressegespräch SPD-Ratsfrau Christiane Mai. Bei ihr sei es noch vor wenigen Tagen ganz ähnlich gewesen.
Mai selbst ist auf Nachfrage überrascht. Sie sei lediglich beim Auslegen der R-Karte von einer Politesse angesprochen worden. Auf dem Pfarrer-Bremer-Parkplatz sei das gewesen, ganz legal also, denn dort ist das Parken mit R-Karte erlaubt.
Damit sei das erledigt gewesen, ein Knöllchen habe es nie gegeben. Dass in Ausnahmefällen Bußgelder zurückgenommen würden, hätte sie wohl schon einmal gehört, allerdings nur, wenn es ums Parken bei Ratssitzungen im direkten Rathaus-Umfeld ging.
Jochen Gefromm, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU, ist sauer: „Kleine-Frauns muss jetzt zurücktreten, was soll er denn sonst tun?“ Gerade ihm als Juristen, „der sich immer als Moralapostel hinstellt“, dürfe so etwas nicht passieren. „Und dann noch zu sagen, das wäre so üblich unter den Ratsherren – ich habe von dieser Regelung noch nie gehört.“ Genau so geht es FDP-Fraktionschef Dr. Roland Giller: „Von einem solchen Beschluss ist mir nichts bekannt.“
Zurück zu Kleine-Frauns. Auf 43,64 Euro und zu einem Bußgeldbescheid hatten sich die 10 Euro samt Verfahrenskosten am Ende summiert. Geld, das er nicht zahlen wollte (Kleine-Frauns: „Ich bin ein streitbarer Mann“) und am Ende auch nicht musste. Der anonyme Hinweisgeber unterstellt, dass Kleine-Frauns seiner Behörde aufgab, das Bußgeld fallen zu lassen. „Das war keine Anordnung“, sagt dagegen der Bürgermeister, „nur eine Aussage“.
„Nicht zu beanstanden“
Diese Einschätzung teilt Hans-Joachim Pohlmann, Dortmunder Fachanwalt für Verwaltungsrecht: „Das ist nicht so glücklich, aber nicht zu beanstanden.“ Den Fachmann macht eher stutzig, dass ein rechtskräftiger Bescheid widerrufen wurde: „Das geht nur, wenn es eine stichhaltige Begründung gibt.“
In Wittliebs Schreiben an Kleine-Frauns wird ein solcher Grund nicht ersichtlich, der Abteilungsleiter schreibt nur: Jeder seiner Mitarbeiter habe die Möglichkeit und das Recht, im Rahmen der bestehenden Rechtsnorm „alle Fünfe gerade sein zu lassen“. Für weitergehende Nachfragen war Wittlieb gestern nicht zu erreichen – er ist seit Donnerstag im Urlaub.
Klar ist nur: Für den Ratsherrn Kleine-Frauns gab es im Juli 2015 keinen Vertrauensschutz – für den Bürgermeister Kleine-Frauns im November schon.