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Kneipen im Lockdown: „Brauhaus Drei Linden“ und „Greif“ senden Lebenszeichen
Gastronomie
Keine Gäste, kein Einkommen, keine Perspektive: Die Gastronomie in Lünen hat schon bessere Zeiten erlebt. Zwei Wirte erklären, warum sie trotzdem Angst vor einer übereilten Öffnung haben.
Frank Teschler (60) fühlt sich derzeit „wie ein Schlauchboot auf offener See“ - man wird hin- und hergeschaukelt, ohne einen Einfluss auf die Richtung zu haben. Und wirklich gut geht es einem auch nicht. „Aber wir wollen ein Lebenszeichen senden: Wir sind noch da“, sagt der Wirt des Brauhauses Drei Linden an der Langen Straße. Gemeinsam mit „Greif“-Betreiber Bob Michaels (53) will er den Unkenrufen in der Stadt trotzen, die das Gegenteil behaupten. „Wir machen wieder auf“, sagen beide. Problem: „Wir haben absolut keine Ahnung, wann.“
Der bisherige Verlauf der Pandemie, mit eingeschränktem Betrieb, zwei Lockdowns und massiven Umsatzeinbußen, hat seine Spuren hinterlassen. „Wir haben Ängste, Wut, aber immer auch noch die Hoffnung, dass es irgendwann weitergeht.“ Allerdings beobachten die Gastronomen eine beunruhigende Entwicklung: „Man verfällt in eine Lethargie. Es ist einem egal, was passiert“, sagt Bob Michaels. „Eigentlich müsste man morgens wach werden, auf den Tisch hauen und sagen: ,So darf es nicht weiter gehen!‘ Aber das passiert nicht mehr.“ Dass die Gastronomie in den jüngsten Beschlüssen von Bund und Ländern keinerlei Erwähnung mehr fand, trug nicht gerade zur Besserung bei.
8000 Euro im Monat an laufenden Kosten
Die Zahl der Depressionserkrankungen ist in der Pandemie sprunghaft angestiegen - für Frank Teschler kein Zufall: „Die Menschen müssen raus, sie müssen feiern können, gemeinsam was trinken, natürlich auch dumme Sprüche klopfen.“ Weil sie das nicht können, stehen die Gastronomen vor einem Abgrund. „Während des eingeschränkten Betriebes haben wir 50 Prozent unseres normalen Umsatzes gemacht. Umsatz wohlgemerkt, nicht Gewinn.“ Mit dem zweiten Lockdown, der für die Kneipen und Restaurants bis heute anhält, habe sich die Situation dramatisch verschlechtert: „Seitdem bekommen wir gar nichts mehr“, sagt Bob Michaels.

Das Brauhaus Drei Linden in der Langen Straße. © Brauhaus Drei Linden
Natürlich gibt es Corona-Hilfen. Zumindest theoretisch. „Beantragt haben wir die, aber bis jetzt ist noch nichts geflossen.“ Die beiden Wirte beziffern die laufen Kosten, „damit der Laden hier nicht einfriert“, auf jeweils rund 8000 Euro im Monat. „Die Corona-Hilfen decken 90 Prozent dieser Kosten ab“, rechnet Bob Michaels vor. „Das macht dann pro Monat 600 Euro, die ich irgendwo hernehmen muss.“ In acht Monaten seien somit 4200 Euro zusammengekommen, die er selbst zu tragen hat. „Und dann haben wir nur über die laufenden Kosten gesprochen, nicht über alles weitere wie zum Beispiel die täglichen Dinge zum Leben oder die Altersvorsorge“, ergänzt Frank Teschler.
Ein weiterer Lockdown wäre das Aus
Doch fast noch schwerer als die aktuelle Situation wiegt die Perspektivlosigkeit. „Ich würde ja gerne mal wissen, ob und wann wir öffnen dürfen“, sagt Bob Michaels. „Ich weiß aber noch nicht einmal, welche Inzidenz dafür maßgeblich ist - die des Landes, des Kreises oder der Kommune?“ Ein Anruf beim zuständigen Ministerium brachte keine Klarheit: „Dort hieß es, dazu könne man keine Aussage machen, ich solle später nochmal anrufen.“ Frank Teschler befürchtet, dass man sich am Ende von Lockdown zu Lockdown hangelt. „Selbst wenn wir mit den Impfungen im dritten Quartal 2021 durch sind - wer sagt uns, dass es dann nicht wieder eine Mutante gibt, die alles durcheinander bringt?“

Das Greif an der Münsterstraße. © Greif
Die Situation führt dazu, dass die beiden Gastronomen sogar Angst vor einer zügigen neuen Öffnung haben: „Zunächst mal kann man nicht einfach von heute auf morgen öffnen. Das braucht Anlaufzeit, neue Getränke müssen her, die Kühlung muss starten, die Küche vorbereitet werden“, sagt Bob Michaels. Das sei das kleinere Problem. „Wenn wir dann aber für vier Monate aufmachen dürfen und man uns anschließend wieder alles dichtmacht, dann war es das. Endgültig.“ Bis jetzt habe man die Pandemie und den Lockdown überleben können, weil man zwar in der Zeit davor gut gewirtschaftet habe, aber eben auch harte Entscheidungen treffen musste: Frank Teschler hat seinen 20 Mitarbeitern, davon fünf Festangestellten, bereits im November gekündigt. Auch im Greif sind alle 11 Aushilfen verschwunden, die drei Festangestellten in Kurzarbeit. „Wenn wir jetzt nochmal alles anwerfen, nur um vier Wochen später wieder zu schließen, schaffen wir das nicht.“
„Was würde Fridays for Future sagen?“
Dabei hatten sich nicht nur das Drei Linden und das Greif auf die neue Situation eingestellt. Viele Kneipen reagierten schnell und legten Hygienekonzepte vor, investierten tausende Euro in Desinfektionsmittel, Plexiglasscheiben und Trennwände. „Und dann machen sie uns zu - alles war umsonst“, ärgert sich nicht nur Frank Teschler und flüchtet sich in Humor: „Was würde wohl Fridays for Future sagen, wenn wir den ganzen Plastikmüll jetzt wegwerfen können?“ Die Mehrwertsteuersenkung half da wenig: „Wir hatten geschlossen. Drei Prozent weniger von nichts ist immer noch nichts.“
Und trotz allem wollen weder Frank Teschler noch Bob Michaels aufgeben. Der Brauhaus-Wirt hat die Bepflanzung rund um sein Lokal dem Frühling angepasst. Und im Greif an der Münsterstraße wird der Biergarten erneuert. Wenn irgendwann die Gastronomie wieder öffnen darf, und sei es nur der Außenbereich, will Bob Michaels seinen Gästen schließlich etwas bieten. Die Umgestaltung kostet einen fünfstelligen Betrag. Das macht man nicht, wenn man keine Hoffnung mehr hat. Deshalb betonen beide zum Abschluss nochmal: „Wir werden wieder öffnen.“
Journalist, Vater, Ehemann. Möglicherweise sogar in dieser Reihenfolge. Eigentlich Chefreporter für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen. Trotzdem behält er auch gerne das Geschehen hinter den jeweiligen Ortsausgangsschildern im Blick - falls der Wahnsinn doch mal um sich greifen sollte.
