Kleine Patienten beim Großwerden begleiten, das liebt Kinderärztin Dr. Christiane Ruppert an ihrem Beruf. Doch für die kleinen und großen Nöte der Kinder oder ein in Ruhe geführtes Gespräch mit den Eltern bleibt im Praxisalltag immer weniger Zeit. Viel Bürokratie, mehr Zusatzaufgaben, Telefonate, Notdienste und zusätzliche Probleme durch den Mangel an Fiebersäften oder Antibiotika - das Drumherum bindet Kapazitäten. Das kommt bei einem Neun-Stunden-Tag noch oben drauf.
Christiane Ruppert möchte mehr Ärztin als Organisatorin sein und steigt aus. 15 Jahre ist sie in der alteingesessenen Lüner Kinderarztpraxis tätig, gemeinsam mit den Ärztinnen Susanne Kretschmann und Miriam Uding in den Räumen an der Merschstraße 22. Die Praxis bleibt, doch Christiane Ruppert geht.
Nicht ganz ohne Wehmut, „denn ich habe die Arbeit immer gern getan, aber die Vorfreude überwiegt“, sagt die Lünerin. Ab 3. Juli verlegt sie ihren Lebensmittelpunkt dahin, wo sie mit ihrem Mann, dem Zahnarzt Kostja Alexander Ruppert, seit Jahren gerne Urlaub macht und Freunde hat: nach Reutte in Tirol. Das österreichische Bergpanorama im Blick, den 7000-Seelen-Ort vor der Tür, wird sie dort eine neue berufliche Herausforderung annehmen. Ihr Mann ist weiterhin in seiner Praxis an der Münsterstraße 5 tätig. Die 670 Kilometer Entfernung überbrücken sie durch Pendeln.
Jobangebot zur rechten Zeit
Für Christiane Ruppert kam das Jobangebot aus Österreich „zur richtigen Zeit“, wie sie sagt. Denn vor ihrem 50. Geburtstag ist sie an dem Punkt, an dem sie sich fragt: „Will ich weitermachen oder etwas Neues anfangen.“ Künftig wird sie als Oberärztin am Bezirkskrankenhaus Reutte arbeiten, einer allgemeinen Klinik. Dort sind zwei Rettungshubschrauber stationiert, die auch Touristen aus den Bergen retten.
Das Krankenhaus hat eine Geburtshilfe sowie eine Kinderstation mit 15 Betten und eine angegliederte Kinderarztpraxis, für deren Aufbau Christiane Ruppert zuständig sein wird. Im ländlichen Bezirk gibt es keine Kinderärzte. Die kleinen Patienten werden von Allgemeinmedizinern behandelt. Der Bedarf ist also groß.
Christiane Ruppert freut sich auf die neue Herausforderung, „es wird dort anders sein, aber deutlich ruhiger“, sagt sie. Keine Notdienste mehr am Wochenende, weniger Patienten und mehr Zeit für ihren eigentlichen Beruf: die Behandlung von Kindern. Gerade die Coronaphase und der letzte Infektionswinter mit Scharlach- und Grippewelle hätten die Kinderärzte extrem gefordert. Auffällig seien bei den kleinen Patienten die psychosozialen Folgen der Pandemie, bis hin zu Depressionen und Essstörungen.
Mehrere Jahre Intensivstation
In Lünen ist der Beruf der Kinderärzte weiblich: Sieben Ärztinnen sind in vier Praxen tätig. Sie versorgen die 15.277 Kinder und Jugendlichen in der Stadt. Ab Juni gibt es eine Ärztin weniger, denn Christiane Ruppert nimmt vor ihrem Abschied noch Urlaub.
Wie viele Kinderärzte sich niederlassen können, regelt die Bedarfsplanung des Gemeinsamen Bundesausschusses. Sie bezieht sich bei Fachärzten auf den gesamten Kreis Unna. Dort sind laut Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) 25,5 Kinderärztinnen und -ärzte bezogen auf Vollzeitstellen tätig. Das entspricht einem Versorgungsgrad von 108,9 Prozent. Bei 110 Prozent würde der Bereich für neue Kinderärzte gesperrt. Zurzeit ist eine halbe Stelle im Kreis Unna vakant. Die Zahlen sind Stand November 2022. Sie werden Ende Mai aktualisiert.

Viele Eltern bedauern den Weggang von Christiane Ruppert. Bevor sie die 1978 gegründete Praxis übernahm, war sie acht Jahre in der Vestischen Kinderklinik in Datteln tätig, darunter mehrere Jahre auf der Intensivstation. Dort hat sie nach dem Medizinstudium in Essen auch ihre Facharztausbildung absolviert.
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