Katrin Linthorst managt Gesundheit beim Kreis Unna „Zuerst müssen wir draufzahlen“

Dr. Katrin Linthorst: „Prävention heißt, zuerst drauf zu zahlen“
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  • Dr. Katrin Linthorst, die neue Gesundheitsdezernentin beim Kreis Unna, sieht den öffentlichen Gesundheitsdienst als gleichberechtigte dritte Säule neben der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung.
  • Sie sieht den Staat in der Verantwortung, ungleiche Grundbedingungen wie die soziale Herkunft vom gesundheitlichen Wohlergehen zu lösen.
  • Ein mobiles Gesundheitskiosk wurde in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden eingeführt, um die Beratungs- und Präventionsaufgaben des Kreisgesundheitsamtes zu erfüllen.

Für die neue Gesundheitsdezernentin beim Kreis Unna ist es eine Rückkehr an einen viele Jahre zurückliegenden Arbeitsort: Katrin Linthorst, gebürtige Papenburgerin, jobbte als Studentin beim Apotheken-Versand Noweda. „Ich habe Medikamente in Unna, Holzwickede und Fröndenberg ausgefahren“, erzählt die inzwischen promovierte Gesundheitsmanagerin.

Heimisch geworden ist die 43-Jährige schon sehr lange in Herne, wo sie zuletzt das Gesundheitsmanagement der Stadt geleitet hat. Wie aber lässt sich Gesundheit managen und was kann eine Kreisverwaltung dabei tun?

Stärkung der Gesundheitskompetenzen

Dr. Katrin Linthorst, die seit Februar 2022 auch Professorin für Kommunale Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg war, sieht den öffentlichen Gesundheitsdienst als gleichberechtigte dritte Säule neben der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung.

Während ziemlich klar ist, dass in Kliniken und in Arztpraxen diagnostiziert, behandelt und therapiert wird, sind das Kreisgesundheitsamt und seine Bedeutung erst während der Corona-Pandemie für viele Menschen sichtbar geworden.

In dieser Zeit konnte die Behörde auf eine ausgebrochene Virusinfektion lediglich reagieren: mit der Erfassung von Daten, mit der Verbreitung von Informationen über die Krankheit, mit der Organisation der Impfungen.

Für Katrin Linthorst sollte die dritte Säule im Gesundheitssystem aber eigentlich für das genaue Gegenteil stehen: für Vorbeugung und Beratung, bestenfalls für eine Stärkung jedes Einzelnen und der gesamten Bevölkerung in ihren Gesundheitskompetenzen. Und, klar, die dringend notwendige Digitalisierung müsse auch weiter vorangetrieben werden.

Öffentlicher Gesundheitsdienst als Lotse

Natürlich, die beratende Funktion habe es immer schon gegeben. Doch könne ein Kreisgesundheitsamt noch viel mehr bewirken – und das sei auch nötig. Man merkt Katrin Linthorst an, dass ihr dieser eine Punkt besonders wichtig ist, wenn sie sagt: „Der öffentliche Gesundheitsdienst muss noch viel mehr Lotse sein.“

  • Das Gesundheitsamt bietet Beratung von Schwangeren an – vor allem auch in Konfliktsituationen. Auch während der Schulzeit stehen die Ärzte des Kreises Unna Eltern zur Seite. Kontakt: Tel. (0 23 03) 27-16 66; E-Mail: skb@kreis-unna.de.
  • Schuleingangsuntersuchungen mit individueller Beratung: Informationen darüber, außerdem ein Elternfragebogen und weitere Broschüren im PDF-Format unter www.kreis-unna.de/Gesellschaft/Gesundheit/Gesundheitsdienst.
  • Hygiene und Gesundheitsschutz: Wer zum Beispiel als Krankenpfleger, Gesundheits- und Krankenpflegeassistent oder Physiotherapeut im Kreis arbeiten möchte, wird zuvor Kontakt zum Gesundheitsamt haben.
  • Amtsärzte führen ärztliche Untersuchungen durch. Aufgabenschwerpunkte sind Gutachten für den öffentlichen Dienst und Prüfungsfähigkeit, gesundheitliche Eignung und Sehtestbescheinigungen für Berufstätige im Bereich der Personenbeförderung und Lkw-Fahrer.
  • Zahnärzte des Gesundheitsamtes wollen die Mundgesundheit bei Kindern und Jugendlichen verbessern und führen Zahnputzaktionen durch. Es gibt auch Gesundheitsunterricht und zahnärztliche Untersuchungen in Kindergärten und Schulen sowie Beratung der Eltern.
  • In der Gesundheitsförderung und -planung werden z.B. die Themenschwerpunkte Gesundheitsberichterstattung, Gesundheitsplanung, Gesundheitskonferenz und das Gesunde Städte Netzwerk bearbeitet.
  • Der Verhütungsmittelfonds des Kreises Unna unterstützt Menschen, die sich Verhütungsmittel wie die Pille, Kupferspirale oder eine Sterilisation nicht leisten können. Ungewollte Schwangerschaften sollen so verhindert werden. Die Antragstellerin zahlt nur 20 Prozent der Kosten. Die Beantragung läuft über die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen.

Als sie am Herner Marien-Hospital zur Krankenschwester ausgebildet wurde, später dann bei ihrer Promotion an der Uni Essen, die einen sozialwissenschaftlichen Ansatz hatte, stieß Katrin Lindhorst immer wieder auf einen Zusammenhang, der in ihren Augen dringend durchbrochen werden muss: Ein Mangel an Bildung kann sich verheerend auf die persönliche Gesundheit auswirken. Dass sie zugleich Bildungs- und Schuldezernentin ist, lasse sie ihre Ziele im Gesundheitsbereich daher vermutlich noch besser umsetzen. Und das sei bei weitem mehr als eine Parole wie „weniger Currywurst und mehr Hopsen“, wie sie lachend und bewusst flapsig sagt.

Sie erinnert sich an „vernachlässigte Haushalte in Herne“, in denen das Kümmern um die eigene Gesundheit, der regelmäßige Arztbesuch keine Rolle spielten. Sie könne belegen, dass „das größte Risiko für Gesundheit Arbeitslosigkeit ist“. Es sei gerade der Staat, der Impulse in die Gesellschaft geben könne, um ungleiche Grundbedingungen wie die soziale Herkunft vom gesundheitlichen Wohlergehen zu lösen.

Fehlende Gesundheitserziehung problematisch

Ursachen könnten natürlich auch woanders liegen: beim Angstpatienten etwa, der sein Vermeidungsverhalten in der Familie weitergibt: „Hat der Papa Angst vorm Zahnarzt und sein Kind nun auch?“ Wie unter einem Brennglas habe zudem die Corona-Pandemie diffuse Ängste offengelegt, die oft durch Unkenntnis bedingt waren, wenn der Herzinfarktpatient sich aus Angst vor eine Infektion nicht in die Klinik traute. Solche Problematiken könnten ebenfalls durch Beratung und Aufklärung gelöst werden.

Das Thema ist zu komplex, um alle sich in unzählige Zweige verästelnden Kausalitäten überhaupt aufzählen zu können. Doch dass es dabei so etwas wie einen Domino-Effekt gibt, der bei fehlender Gesundheitserziehung im Kindesalter beginnt und bei vermeidbaren Gesundheitsproblemen im Alter aufhört – das mag sofort einleuchten.

Seit einigen Wochen macht der mobile Gesundheitskiosk in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden Station. Dieses niederschwellige Angebot sei einer der Bausteine, mit denen das Kreisgesundheitsamt seine Aufgabe der Beratung und Prävention erfüllen möchte. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will sie vor allem in „ärmeren“ Städten etablieren.

Die Resonanz sei gut; man werde auswerten, wonach die Menschen im Gesundheitskiosk fragen und bei Bedarf das Sortiment erweitern oder ändern. Der Gesundheitskiosk nimmt auch bereits ein Stück der noch zu entwickelnden Fachstrategie in Katrin Linthorsts Gesundheitsdezernat vorweg: Gesundheitliche Chancengleichheit soll ein wesentliches Ziel im Kreis Unna werden. „Erreichen wir wirklich alle?“, so Linthorst, sei für sie eine Kernfrage.

Prävention bedeutet zuerst „draufzahlen“

Das Kreisgesundheitsamt erfülle damit schlicht gesetzliche Aufgaben, sagt sie Kritikern, die ein Zuviel beim Engagement des Kreises in Gesundheitsfragen wähnen. Noch recht jung ist etwa das Präventionsgesetz von 2015, das zum Beispiel die Früherkennungsuntersuchungen weiterentwickelt hat.

Ja, sagt Katrin Linthorst, sie wünsche sich auch durchaus mehr, was es heute noch nicht gibt. Eine Reihenuntersuchung bereits von Vierjährigen in den Kitas etwa, womit Kinder und Amtsärzte schon in einem frühen Stadium ersten Kontakt hätten. Als Präventionsmaßnahme sei das sehr empfehlenswert, findet Linthorst.

Sie zieht einen Vergleich mit der frühkindlichen Bildung, die in den zurückliegenden 15 Jahren auch stark ausgebaut worden ist. Ja, das koste dann mehr. „Am Anfang muss man draufzahlen“, so die zweifache Mutter. „Ich glaube aber, dass wir dadurch später extrem viel sparen.“ Eben dies ist ja auch der Ansatz des Präventionsgesetzes, das nicht zuletzt die Krankenkassen von hohen Behandlungskosten im Alter entlasten will.

Dr. Katrin Linthorst (l.) bei der Begrüßung durch Landrat Mario Löhr im Kreishaus.
Dr. Katrin Linthorst (l.) bei der Begrüßung durch Landrat Mario Löhr im Kreishaus. © Max Rolke/Kreis Unna

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