Kassenärzte warnen vor Praxen-Kollaps Lüner Hausarzt sagt: „Alle spüren den Druck“

Warnung vor Praxen-Kollaps: Dr. Arne Krüger: „Alle spüren den Druck“
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Die flächendeckende ambulante Versorgung sieht die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen Lippe (KVWL) in Gefahr. Die Kosten für Praxis, Personal und Investitionen seien gestiegen. Eine Inflationsrate von aktuell mehr als sechs Prozent würden die Praxisausgaben massiv in die Höhe schnellen lassen. Eine ausreichende Gegenfinanzierung sei wegen der gedeckelten Arzthonorare kaum noch möglich, erklärt die KVWL in einer Pressemitteilung.

„Alle spüren den Druck“, weiß Dr. Arne Krüger, Vorsitzender des Lüner Ärztevereins, und erklärt das Problem: Jeder Geschäftsmann könne die Preise anpassen, ein Arzt könne das nicht, obwohl er als Praxisinhaber selbstständig sei. Er bekomme das Geld von den gesetzlichen Krankenversicherungen. Der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) sei in den vergangenen Jahren um ein oder zwei Prozent erhöht worden.

Doch allein die Lohnkosten der Medizinischen Fachangestellten seien in den vergangenen vier Jahren um 13 Prozent gestiegen. Krüger beschäftigt um die 20 Mitarbeitende. Die Übernahme seiner Praxis habe ihn einen sechsstelligen Betrag gekostet. „Das muss erwirtschaftet werden“, erläutert er. Der Anteil an Privatpatienten sei in Lünen zudem nicht horrend hoch und liege im unteren zweistelligen Prozentsatz. „Ich kann an der Preisspirale nicht drehen“, so Krüger. Auffangen könne er die Kosten nur über mehr Patienten. Die Zeit für den Einzelnen werde dann aber erheblich knapper. „Wir sind im selben Hamsterrad wie die Kliniken“, findet der Arzt.

Krisensitzung in Berlin

Zu einer Krisensitzung kommen Vertreter von Ärzten und Psychotherapeuten nun am Freitag (18. August) in Berlin zusammen. Sie wollen der Politik sowie den Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen, dass die flächendeckende ambulante Versorgung auf dem Spiel stehe und jetzt gehandelt werden müsse. Seit dem 9. August laufen die Finanzierungsverhandlungen auf Bundesebene. Nach Berlin werde neben Dr. Prosper Rodewyk, dem KVWL-Bezirksstellenleiter, auch ein Arzt aus Lünen fahren. Bis zum 31. August müsse die Situation geklärt sein, so Arne Krüger. Er hofft auf deutlich mehr als zwei Prozent Tariferhöhung, besser sechs bis acht Prozent. „Damit die Kosten nicht weggaloppieren“, sagt er.

Sprechzimmer
Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe sieht die flächendeckende ambulante Versorgung in Gefahr. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Bei den Lüner Ärztinnen und Ärzten sei die finanzielle Lage in den Praxen durchaus Thema. „Alle arbeiten am Limit“, weiß Krüger. Die Corona-Prämie sei für viele Beschäftigte vom Staat bezahlt worden, nur nicht für die Mitarbeitenden in den Praxen. Für Krüger ist das ein Zeichen, dass der niedergelassene Bereich keine Lobby habe. In Coronazeiten hätten immer die Krankenhäuser im Fokus gestanden.

Er erinnert sich an die Phase der ersten Impfungen, als er elf Wochen am Stück durchgearbeitet habe. Auch die Medizinischen Fachangestellten hätten das zum Großteil mitgetragen. Nach der Schließung der Praxis von Dres. Mariß seien mehrere tausend Patienten auf die Praxen der Innenstadt umverteilt worden. Auch das habe zu erhöhtem Druck geführt. Das Personal habe das alles organisieren müssen.

Personal schwer zu finden

Man habe das Gefühl, den Kostenträgern und der Politik sei die Arbeit vor Ort egal, schimpft Krüger. Dabei stünden in Zukunft massive Veränderungen an. Die Gesellschaft altert, gleichzeitig geht eine Vielzahl von Arbeitskräften in Rente. Es kommen weniger junge Leute nach.

In Bayern habe man ausgerechnet, 2050 nochmal 15 Prozent mehr Pflegekräfte zu brauchen. „Zu den Bedingungen wie im Moment sind die nicht zu haben“, sagt Krüger. Auch Praxen haben Probleme, Personal zu finden. Alle würden denken, das werde schon gut gehen. Arne Krüger glaubt eher nicht daran.

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