Es gleicht einem Wunder, was bei der RTL-Show „Ninja Warrior Germany“ am Freitag (15. November) zu sehen war – dabei wirkt Jessica Stember (36) aus Lünen wie eine normale Teilnehmerin. Sportlich, Läuferin bei Halb-Marathon und Marathon sowie Osteopathin, mehr erfährt der Zuschauer nicht von ihr. Doch mit ihrer Teilnahme wollte sie vor allem eines vermitteln: „Wenn man an sich glaubt, schafft man Dinge, die für einen unmöglich scheinen.“
Denn: mit 18 Jahren hatte sie einen lebensbedrohlichen Pferdeunfall, lag im Koma und konnte eine Zeit lang kaum bis gar nicht sprechen. „Ich hatte ein schweres, offenes Schädel-Hirntrauma. Ich hatte nur noch einen halben Kopf, in der linken Seite habe ich eine Metallplatte“, erzählt Stember im Gespräch mit der Redaktion.

Unfall mit den Pferden
Sie erklärt, wie es zu diesem Unfall gekommen ist: „Ich wollte drei Pferde auf die Wiese führen. Es war am 25. November, also schlechtes Wetter. Die Wiese war nass. Ich bin auf der Wiese gelaufen, weil die Pferde keine Hufeisen hatten und sie laufen dann lieber auf Gras. Da meinte eine Freundin, ich soll auf jeden Fall auf dem Weg laufen. Ich wollte gerade zum Weg gehen, da bin ich wohl ausgerutscht. Die Pferde waren sehr, sehr lieb, aber haben sich in diesem Moment erschrocken und sind losgaloppiert. Dabei hat mir ein Pferd leider zweimal auf meinen Kopf getreten. Meine Freundin hat sich umgedreht und hat gesehen, dass ich auf dem Boden lag und die Pferde weg galoppiert sind.“
Danach habe die Freundin den Notruf alarmiert. „Das war wirklich meine Lebensrettung“, sagt Stember. Die Rettungskräfte vor Ort hätten versucht, die Blutung zu stoppen. Sie wurde in die Klinik nach Dortmund gebracht.
Albträume während des Komas
Dort soll Stember ins künstliche Koma versetzt worden sein. Sie erzählt, dass sie sich noch heute an die Träume – oder eher Albträume – erinnern könne. „Ich glaubte, ich sei ein Brötchen gewesen. Ein anderes Mal ein totes Schwein. Das ist alles wie im Film abgelaufen. Dann wurde meine Mama von einem Bus zerquetscht“, so die 36-Jährige.
Sie vergleicht das mit den Träumen in der Nacht, nur dass man aus diesen aufwachen kann und wieder in die Realität zurückkehrt. Das sei im Koma eben nicht der Fall. „Das war ganz gruselig. Du hast halt nie die Möglichkeit, dass du wach wirst. Normalerweise lässt dich der Albtraum aufschrecken, dann bist du wach. Das war im Koma halt überhaupt nicht der Fall“, erzählt Stember.
Sie beschreibt diese Erfahrungen so, als würde der Kopf sich manipulieren lassen und diese Träume zur eigenen Realität werden. „Ich war im Koma auch in England. Als ich dann aufgewacht bin, habe ich mich gefragt, warum alle mit mir Deutsch reden“, sagt die 36-Jährige.

Pferdetransport nach Dortmund zur Klinik
Doch selbst sprechen, das konnte sie laut eigenen Aussagen nicht. Neben der Narbe durch die Operation hatte sie postoperativ eine Meningitis, ein Hirnödem und sei beatmet worden, wie sie sagt. Deshalb musste sie essen, trinken und auch sprechen neu erlernen. Laut Stember habe sie noch heute eine leichte Broca-Sprachstörung – sie verwechselt Silben von Wörtern.
All das und Albträume über ihre sterbende Mutter, ihr getötetes Pony und viele mehr hatten ein folgenschweres Ergebnis: Jessica Stember wollte nicht mehr leben. „Mein Pony wurde im Traum vor meinen Augen erschossen und meine Mutter war gestorben (im Traum, Anm. der Red.). Ich habe mir alle Schläuche herausgerissen. Ich glaubte den Leuten nicht, die mich beschwichtigen wollten. Ich wollte mein Pony Scout sehen“, erzählt sie.
Doch wie sollte man das arrangieren? Stember erzählt, dass ihr Pony zur Unfallklinik und sie dann auf der Liege ans Fenster gefahren wurde, damit sie das Pferd für kurze Zeit vom Fenster aus sehen konnte. „Das war für mich so entscheidend, neue Kraft zu suchen, um wieder laufen zu wollen. Danach habe ich mir auch nicht mehr die Schläuche herausgezogen.“
Abitur, Ausbildung und Studium
Mit dieser Kraft ging es für die damals 18-Jährige schulisch weiter. Im Gymnasium Altlünen machte Stember zu dieser Zeit das Abitur – was ohne Hilfe nicht möglich gewesen wäre. Denn sie verstand zwar vieles, konnte das jedoch nicht in Worte fassen und aufschreiben. „Das war ganz lieb, dass man mich auch von der Klasse und vom Gymnasium aus unterstützt hat. Mir haben Lehrer und Schüler Nachhilfe gegeben“, erinnert sie sich. Mit einem Schnitt von 3,1 beendete sie das Abitur und begann danach eine Ausbildung in Bergkamen zur Physiotherapeutin.
Doch sie habe schnell gemerkt, dass dieser Beruf nicht das Richtige für sie gewesen war. Deswegen schrieb sie sich laut eigenen Aussagen zeitgleich in Belgien ein und studierte Osteopathie. Danach machte sie eine weitere Ausbildung in London. Jetzt hat sie ihre eigene Osteopathie-Praxis in Lünen.
Hindernis falsch eingeschätzt
All das sei aber nur durch „viel Unterstützung von Freunden, von der Familie, mit viel Disziplin und natürlich der Ehrgeiz“ möglich gewesen. Außerdem begab sich Stember in viele Therapien, die ihr geholfen haben. In der Psychotherapie bekam sie vom Therapeuten einen Tipp, der ihre sportliche Laufbahn prägen sollte: Stecke dir Ziele, die man nicht erreichen kann.
Da sie in ihrer Ausbildung schon vieles erreicht hatte, setzte sie sich ein sportliches Ziel: Einen Halbmarathon unter zwei Stunden zu laufen – was sie schaffte. Wie auch später einen Marathon. Dann folgte die Anmeldung bei „Ninja Warrior Germany“. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich genommen werde“, gibt Stember zu.
Sie trainierte in einer speziellen Halle in Münster, die ähnliche Parcours beinhalten. Als Stember die Bühne betritt, ist sie nervös. Nachdem sie die ersten Hindernisse mit Bravour meisterte, scheiterte sie an einem Hänge-Hindernis. Grund dafür seien zum Teil auch die Folgen der Verletzung von damals. „Ich habe den Abstand nicht richtig einschätzen können. Ich hätte nur einen Klimmzug machen müssen, dann hätte ich den Wagen bekommen“, ärgert sich die 36-Jährige.

Gemeinsames Training möglich
Sie ist sich sicher, dass sie den restlichen Parcours geschafft hätte. Dementsprechend wünscht sie sich, nächstes Jahr in der Jubiläumsstaffel wieder mit dabei zu sein. Mit dem Wunsch ist sie nicht alleine. Auch Mario Sienczak, der wie Stember auch dieses Jahr zum ersten Mal bei „Ninja Warrior Germany“ teilgenommen hat, hofft auf eine Teilnahme im nächsten Jahr.
Sollten beide Lüner an dieser Staffel teilnehmen, könnte sich Stember eine gemeinsame Vorbereitung vorstellen. „Zu zweit zu trainieren, ist immer besser. Die Motivation ist höher und man kann sich vieles abschauen. Aber es ist auch so ein bisschen der Ehrgeiz, wenn der eine etwas schafft, dann will man das auch schaffen.“
Suizid-Hinweis
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