Jens Spahn hört zu, Wilhelm Kanne kritisiert Bäckerei kämpft mit drei Problemen gleichzeitig

Jens Spahn bei Bäckerei Kanne: Unternehmen kämpft mit Problemen
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Man könnte meinen, der Besuch von CDU-Politiker Jens Spahn in der Lüner Traditionsbäckerei Kanne kam gerade recht. Die Situation in mittelständischen Unternehmen, der Fachkräftemangel und Energieverteuerungen sollten bei dem Treffen im Fokus stehen.

Als der stellvertretender Fraktionsvorsitzende mit weißem Schutzkittel zwischen Wilhelm Kanne und seinem Sohn in der großen Backstube steht, geht es aber um viel mehr. „Wir bräuchten eine ganze Woche, wenn wir über alle Probleme reden wollen. Eine solche Situation wie jetzt haben wir noch nie erlebt“, kündigt der Senior an. Dabei blickt der Familienbetrieb bereits auf eine fast 120-jährige Geschichte zurück.

Doch die vergangenen drei Corona-Jahre waren für das Bäckereiunternehmen kein leichtes und wenn Wilhelm Kanne Junior auf 2023 schaut, ist da viel Ungewissheit – angefangen mit den „noch guten“ Energieverträgen, die Ende des Jahres auslaufen werden. Jens Spahn ist erst einmal fürs Zuhören da. Und zu erzählen hat das Vater-Sohn-Gespann viel. Während der Jüngere von Spezialisten in jeder Abteilung berichtet, bereiten im Hintergrund zwei Angestellte mehrere Bleche mit Streuselkuchen für den nächsten Tag vor.

Der Bäckerei fehlt es an Auszubildenden. Vor ein paar Jahren waren es noch über 100. Heute können sie auf 35 Lehrlinge zurückgreifen.
Der Bäckerei fehlt es an Auszubildenden. Vor ein paar Jahren waren es noch über 100. Heute können sie nur noch auf 35 Lehrlinge zurückgreifen. © Leonie Freynhofer

Hier fangen die Sorgen der Bäckerei an. Vor einigen Jahren habe man noch auf über 100 Auszubildene zurückgreifen können, in der Backstube und in den Filialen. Fast alle Mitarbeiter im Team seien heute Eigengewächse, erzählt Wilhelm Kanne Junior stolz. Doch wie in vielen Handwerksbetrieben fehlt der Nachwuchs. „Wir haben derzeit lediglich 35 Lehrlinge.“ Viel zu wenig, um alle Aufgaben verteilen zu können.

„Früher gab es zusätzlich eine Auszubildende in den Filialen. Das ist heute einfach nicht mehr möglich“, fügt Kanne Junior an. Es sei ziemlich schwierig gute, junge und motivierte Leute zu finden, die das Bäckerhandwerk lernen möchten. Das führt in den Backshops zu direkten Konsequenzen: längere Wartezeiten und verkürzte Öffnungszeiten.

Schwierigkeiten mit Bürokratie

„Wie wollen Sie dieses Problem in Zukunft lösen“, fragt Jens Spahn in einer späteren Diskussionsrunde. Neben Mund-zu-Mund-Propaganda als „beste Marketingstrategie“ seien auch Mitarbeiter aus dem Ausland eine Option, erklärt Hannah Kanne. Hier habe man „überwiegend gute Erfahrung gemacht“, doch die Bürokratie würde unnötig hohe Hürden schaffen.

„Wir wollen die Leute integrieren, aber wir müssen ihnen so viel Gehalt zahlen, dass sie ihren Lebensunterhalt in Deutschland bestreiten können. Manchmal ist das mehr als unsere Auszubildenden bekommen.“ Zuletzt konnte Kanne einem jungen Bäcker aus Syrien keine Ausbildung anbieten, da wegen der finanziellen Problematik keine Aufenthaltsgenehmigung zu Stande kam. „Das kostet unser Unternehmen viel Herzblut und Kraft, denn da gehen viele Stunden und E-Mails ins Land, bis ausländische Angestellte hier sind“, so Hannah Kanne.

Jens Spahn stellt in Bezug auf den Fachkräftemangel auch die aktuelle Arbeitsmarktpolitik in Frage, die man eigentlich „völlig umdenken“ muss. Neben den Schwierigkeiten bei der Einstellung von ausländischen Mitarbeitern müsse es auch sich lohnen, mehr Stunden zu machen. Und man müssen sich fragen, welchen Druck es derzeit in Deutschland gibt, um arbeiten zu gehen. „Wo sind die Mitarbeiter geblieben? Wir haben doch so viel Beschäftige wie nie“, fügt Spahn an. Betretenes Schweigen in der Diskussionsrunde.

Quark um 170 Prozent teurer

Doch auch wenn Kanne genügend Mitarbeiter und Lehrlinge hätte, bleiben noch zwei andere Probleme: Kosten und Energie. Die Mühlen, die für die Traditionsbäckerei arbeiten, haben wegen der Inflation nur Preislisten ohne Energiekosten aufgestellt. „Wir gehen das erste Mal seit Jahren ohne Lieferantenkontrakte da raus“, so Wilhelm Kanne Junior. Wenn die aktuellen Energieverträge Ende 2023 auslaufen, rechnet der Bäckereichef mit einer dreifachen Steigerung. Dem voraus gehen beispielsweise Preiserhöhungen von 170 Prozent für Quarkprodukte. Dahinter reihen sich Mehl und Butter ein.

Die teurere Produktion der Kanne-Produkte geht einher mit einer Erhöhung in den Backshops. Doch wie solle man das auf die Preise umrechnen, fragt Wilhelm Kanne Senior. „Wir machen uns ja total unglaubwürdig, wenn es bei Aldi oder Lidl alles billiger gibt. Machen Sie das den Kunden mal klar.“ Auch die Auswahl für die Kunden leidet unter der aktuellen Situation.

Auch wenn Wilhelm Kanne Senior (rechts) schon Rentner ist, hilft er trotzdem in der Traditionsbäckerei aus.
Auch wenn Wilhelm Kanne Senior (rechts) schon Rentner ist, hilft er trotzdem in der Traditionsbäckerei aus. © Leonie Freynhofer

Das eigentliche Vollsortiment sei „drastisch zusammengeschrumpft“. Über Silvester habe man außerdem zum ersten Mal Betriebsferien in der Konditorei machen müssen. Ständige Optimierung steht daher ständig auf der To-Do-Liste von Wilhelm Kanne Junior und seinem Team. „Wir schauen uns jedes Produkt an und fragen uns, ob wir das weiter drin behalten können. Das ändert sich ja auch ständig, wie die Preise.“ Auch bei Aufträgen könne Kanne nicht mehr alles einfach so annehmen.

Doch irgendwann sei man auch damit am Ende. „Derzeit geht es um Verlustoptimierung. Wir müssen an jeder Ecke und Kante sparen“, so Wilhelm Kanne Senior. Er sei eigentlich Rentner, doch trotzdem habe er im vergangenen Jahr oft um drei Uhr morgens in der Backstube gestanden und ausgeholfen. „Wir sind nicht mehr so handlungsfähig und können auch nicht mehr so aus dem Vollen schöpfen wie 2018 und 2019. Wir müssen irgendwie die nächsten Jahre überleben“, erklärt sein Sohn.