Jazz-Kennerin und Dolmetscherin Lore Boas (†98) ist tot Trauer um außergewöhnliche Frau

Trauer um Jazz-Kennerin und Dolmetscherin Lore Boas (†98)
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Die Nachricht vom Tod Lore Boas´ war nicht nur in Selm und Lünen ein Paukenschlag, sondern in der Jazz-Szene weithin. Die zierliche Frau kannte sich in der bunten Jazz-Welt bestens aus und pflegte Kontakte zu Jazz-Liebhabern und Jazz-Experten rund um den Globus. Am 11. November ist sie im Alter von 98 Jahren im St. Marien Hospital in Lünen gestorben. Zuletzt hatte sie ihr Zuhause in Cappenberg kaum noch verlassen. Aufgrund fortschreitender Schwerhörigkeit sei Kommunikation kompliziert geworden, berichten Weggefährten.

Als außergewöhnliche, besondere Persönlichkeit, „Original“ und „Legende“ beschreibt Reinhard Lorenz, Stiftungsvorstand des Lippmann+Rau-Musikarchivs in Eisenach, Lore Boas. „Lorchen“, wie Freunde sie nannten, habe stundenlang Geschichten erzählen können. Ihr zuzuhören, sei ein Erlebnis gewesen. Sie sei in ihre Bücher- und Musikwelt versunken, wer sie besuchte, sei mit ihr abgetaucht. Ihr Wissen habe fast ein Jahrhundert der Zeitgeschichte abgebildet. Viele Fotos zeigen sie mit Zigarette. Rauchen war ihre Passion.

Lore Boas im Dialog mit Künstlern, am Klavier Günter Boas.
Lore Boas (3.v.l.) im ehemaligen Restaurant Schwansbell mit Mitgliedern des Theaterpathologischen Instituts (TPI) und dem damaligen Kulturdezernenten Wolf-Rüdiger Zellmann (M.) sowie Günter Boas am Klaver. © Goldstein

Interessiert und hochgebildet

Lore Boas liebte den Jazz und hatte einen großen Fundus an Fotos, Filmen und Schallplatten. Enge Beziehungen pflegte sie zum Jazz-Archiv Eisenach und feierte viele Geburtstage an dem idyllischen Ort im denkmalgeschützten Haus. Dort ist der älteste Jazz-Club in Ostdeutschland aktiv. In dem renommierten Archiv wird die Jazz-Sammlung ihres Mannes, des Blues-Papstes Günter Boas, in Form von unzähligen Schallplatten, Jazz-Zeitschriften und Briefen für die Nachwelt verwaltet. „Lore Boas war in Eisenach sehr beliebt“, berichtet Reinhard Lorenz.

Der bekannte Pianist und Blues-Experte Günter Boas ist am 14. Dezember 1993 gestorben. Zwischenzeitlich hat er 16 Jahre bei der Stadt Lünen im Kulturamt gearbeitet. Zu seinen Ehren ist eine Straße in Lünen nach ihm benannt worden. Sein Klavier steht noch heute im heimischen Wohnzimmer, umrahmt von Bücher- und CD-Regalen.

Lore Boas als Frau des Jazz-Pianisten Günter Boas zu definieren, würde ihr nicht gerecht. Heinz-Günther Murawski, der mit beiden befreundet war, beschreibt sie als vielseitig interessiert und hochgebildet. Die Tochter eines Cellisten kam 1926 in Dortmund zur Welt und wuchs in Düsseldorf mit Musik auf. Später kam die Liebe zum Jazz dazu. Im Musikgeschäft „Die Schallplatte“ in Dortmund, in der Günter Boas Jazz-Abteilungsleiter war, kaufte sie ein und lernte ihren späteren Mann kennen. Von Beruf war Lore Boas Übersetzerin. Neun Jazz-Bücher hat sie ins Deutsche übertragen, darunter eine Autobiografie von James Brown oder die Hommage „Purple Haze“ an Jimi Hendrix. Als ihr Lektor sagt Heinz-Günther Murwaski: „Die Übersetzungen waren ganz hervorragend.“

Lesungen in Schwansbell

Lore Boas bei der Übergabe der Plattensammlung von Günter Boas an Reinhard Lorenz vom Jazz-Archiv in Eisenach.
Lore Boas zusammen mit Reinhard Lorenz, Stiftungsvorstand Lippmann+Rau-Musikarchiv in Eisenach, bei der Übergabe der Plattensammlung nach dem Tod von Günter Boas. © Goldstein

Das Ehepaar Boas pflegte Kontakte auch in die Theaterszene, wie beispielsweise zum Theaterpathologischen Institut (TPI), das in den 90er-Jahren in Lünen auftrat. Im damaligen Restaurant Schwansbell bei Franz Lauter, in dem Lore Boas manche Lesung veranstaltete, wurde mit Künstlern diskutiert und musiziert. Beim Lüner Festival Jazz-Light saß Günter Boas am Klavier und Lore im Publikum. Zudem war sie eine begeisterte Kinogängerin. Lore Boas hat einen Fundus von über 1000 Videokassetten mit Aufnahmen bis in die 50er-Jahre.

Termin der Beisetzung

Inzwischen ist der Termin ihrer Beisetzung bekannt. Die Gedenkfeier ist am Freitag (20. Dezember) um 12 Uhr im Theater Schloss Cappenberg. Dort besuchte Lore Boas in der Vergangenheit gerne die Konzerte des Musikfestivals. Anschließend findet die Beisetzung der Urne auf dem Cappenberger Friedhof statt. Philip Schulze-Wethmar öffnet im Anschluss das Café Alte Kegelbahn im Schlosshof.

Lore Boas mit Bild von Louis Armstrong und dem Buch über Jimi Hendrix, das sie übersetzt hat.
Lore Boas im November 2020 an der Straße, die nach ihrem Mann Günter Boas benannt wurde. In den Händen hält sie ein Bild von Louis Armstrong und das Buch über Jimi Hendrix, das sie übersetzt hat. © Knut Thamm