Jan Steffen (31) aus Lünen trägt Organspendeausweis unter der Haut „Ich will zu Gesprächen anregen“

Jan Steffen aus Lünen trägt Organspendeausweis unter der Haut:
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Etwa 8000 Menschen in Deutschland warten jetzt gerade auf eine Organspende. Auf eine Niere, eine Leber, eine Lunge, ein Herz. 8000 Menschen hoffen in dieser Sekunde auf den erlösenden Anruf der Klinik: „Wir haben ein Organ für Sie.“ Der Anruf, der Gesundheit, Lebensqualität, Freiheit und Selbstbestimmung verspricht. Viele der Menschen werden diesen Anruf aber nicht erhalten. Sie werden sterben, noch bevor das passende Spenderorgan für sie gefunden wird. 2022 traf dieses Schicksal in Deutschland 743 Menschen auf der Warteliste, wie Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung darlegen.

Denn in Deutschland gibt es seit Jahren zu wenige Organspender. So wird die Wartezeit auf ein passendes Spenderorgan zur jahrelangen Zerreißprobe. Am längsten ist die Wartezeit auf eine Niere – das in Deutschland am häufigsten transplantierte Organ. Etwa acht bis zehn Jahre stehen Menschen aktuell auf der Warteliste. Jan Steffen aus Lünen will sich mit der Situation nicht abfinden und trägt sein Bekenntnis zur Organspende auch unter der Haut – der Organspendeausweis als Tattoo, sozusagen. „Es ist eine kleine Entscheidung, mit der ich viel bewegen kann“, sagt der Angestellte eines Medizinunternehmens.

Gut fünf Zentimeter groß ist das Organspendetattoo von Jan Steffen.
Gut fünf Zentimeter groß ist das Organspendetattoo von Jan Steffen. © Jan Steffen

Zu wenige Organspender in Deutschland

Ein Grund dafür, dass in Deutschland weit mehr Organe benötigt als gespendet werden, ist die Entscheidungslösung. Wer spenden will, muss aktiv zustimmen. In anderen Ländern Europas, wie Spanien oder den Niederlanden, ist die Regelung genau andersherum. Dort muss jeder, der nicht spenden will, aktiv widersprechen. Das beschert den Ländern deutlich höhere Transplantationszahlen und deutlich kürzere Wartezeiten für die Patienten. So beträgt die Wartezeit auf eine Spenderniere in Spanien nur etwas mehr als ein Jahr. Dort werden zudem im europäischen Vergleich die meisten Transplantationen durchgeführt.

Um der Organspende mehr Sichtbarkeit als den orangefarbenen Organspendeausweis zu schenken, hat der gemeinnützige Verein „Junge Helden“ ein Tattoo entworfen, das seine Träger als Organspender kennzeichnet. Eine kunstvolle Interpretation der Buchstaben O und D – angelehnt an das englische „Organ Donor“. Zwar ist das Tattoo kein rechtsgültiges Dokument – anders als der Organspendeausweis. Doch da es häufig an sichtbaren Stellen getragen wird, erhoffen sich die Initiatoren damit, zu Gesprächen und zum Nachdenken anzuregen. Außerdem ist es im Todesfall eine Willenserklärung für die Spende, auf die sich die Angehörigen nach dem Todesfall berufen können, erklärt der Verein auf seiner Website.

Zu Gesprächen anregen

Einer, der sich für ein solches Tattoo entschieden hat, ist Jan Steffen. Die verschnörkelten Buchstaben zieren nun den Unterarm des 31-jährigen Lüners. Sein erstes Tattoo ist es nicht, wie er sagt. Schon an den Körperseiten hat er welche. Es ist aber das erste Tattoo, das man offen sehen wird. Die Stelle habe er ganz bewusst gewählt, wie er erzählt. Denn er will mit diesem sichtbaren Statement Aufmerksamkeit für die Organspende schaffen, will zu Gesprächen anregen, mit Leuten in den Austausch gehen, die sich fragen, was die dünnen Buchstaben auf seinem Unterarm bedeuten. „Im besten Fall möchte ich, dass Menschen sich für einen Organspendeausweis entscheiden“, sagt er im Gespräch mit der Redaktion.

Er selbst hat seit vielen Jahren einen Organspendeausweis. Dass das Thema in regelmäßigen Abständen auf die politische Agenda kommt, aber nie eine wirkliche, verändernde Entscheidung getroffen wird, ärgert ihn. Es ärgere ihn auch, dass Politiker manche unpopuläre Aussage zur Organspende nicht treffen, weil einige wenige die Meinungsfreiheit durch die Widerspruchslösung gefährdet sehen. Doch das ist nicht so. Jeder kann bei dieser Regelung einer Organspende klar widersprechen. Dass das weiter möglich ist, ist Jan Steffen auch wichtig, die Entscheidungsfreiheit der Menschen soll keinesfalls eingeschränkt werden. Er habe auch Verständnis, dass manche Menschen nicht spenden wollen oder nicht jedes Gewebe – wie beispielsweise Augen oder die Netzhaut. Auch diese Einschränkungen könnten trotz der Widerspruchsregelung weiter getroffen werden und im Organspendeausweis hinterlegt werden.

Mit dem Organspendeausweis können Menschen festlegen, ob und welche Organe und Gewebe sie nach ihrem Tod spenden möchten. Ohne eine aktive Zustimmung kann in Deutschland niemandem seine Organe entnommen werden.
Mit dem Organspendeausweis können Menschen festlegen, ob und welche Organe und Gewebe sie nach ihrem Tod spenden möchten. Ohne eine aktive Zustimmung kann in Deutschland niemandem seine Organe entnommen werden. © picture alliance/dpa

Nicht nur alte Menschen betroffen

„Im persönlichen Umfeld habe ich noch keine Erfahrungen mit Organspenden gemacht“, sagt er und klopft auf den Tisch. Als gutes Omen, dass das auch noch lange der Fall sein wird. „Aber mein bester Freund arbeitet als Arzt auf der Intensivstation, da bekomme ich schon etwas mit“, sagt er. Aus dieser Erfahrung habe er auch gelernt, dass nicht nur alte Menschen krank sind und auf eine Transplantation angewiesen sind. Auch Kinder und Jugendliche sind betroffen. Laut Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wurden 254 Menschen unter 18 Jahren 2023 transplantiert – Ende desselben Jahres standen noch 206 weitere Kinder und Jugendliche auf der Warteliste.

Schmerzen habe Jan Steffen beim Stechen des Tattoos nicht gespürt. „Feintattoos tun nicht weh, es ist eher wie ein Kribbeln“, erzählt er nach dem Tattootermin, der in einem Studio in Lünen stattgefunden hat. 120 Euro hat sein Bekenntnis zum Organspenden gekostet, sagt er. Doch so viel Geld muss nicht grundsätzlich ausgegeben werden. Denn der Verein „Junge Helden“ kooperiert auch mit Tattoostudios, dann müssen Kundinnen und Kunden nur die Materialkosten zahlen. Eines dieser Studios ist das „Heavenly Pain Tattoo“ in Gahmen. Dort halte sich die Nachfrage nach diesem Motiv zwar noch in Grenzen, einige wurden aber dennoch bereits gestochen, heißt es auf Nachfrage der Redaktion.