In der Klasse und in der Schule treffen viele unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, unterschiedlichen Erwartungen und unterschiedlichen Herangehensweisen aufeinander. Dabei verbringen die Kinder in der Regel einen großen Teil des Tages miteinander. Es kommen ängstlichere Kinder zusammen mit solchen, die erst einmal ausprobieren und anschließend einen Plan entwickeln, wie sie mit Problemen umgehen.
Kinder aus behüteten und sehr behüteten Elternhäusern treffen auf Kinder, die vieles bereits alleine selber ausprobiert haben. Zurückhaltende Kinder treffen auf solche, die zunächst einmal davon überzeugt sind, alles richtigzumachen und sich forsch an anstehende Aufgaben machen. Dabei sind die Kinder, wenn sie in die Schule kommen, zunächst gerade dem Kindergartenalter entwachsen. Sie müssen erst lernen, wie sie sich in einer größeren Gemeinschaft sozial angepasst verhalten können.
Wenn man sich das so vorstellt - ohne dass man Elternteil eines dieser Kinder ist - dann wird ziemlich schnell klar, dass ein solcher neuer Abschnitt nicht ganz reibungsfrei ablaufen kann. Das bedeutet im Alltag, dass Konflikte entstehen. Je unterschiedlicher die Kinder sind und je mehr aufeinandertreffen, umso mehr dieser Konflikte sind zu erwarten.
So weit klingt das erst einmal unspektakulär. Bis - ja, bis zu dem Moment, in dem ich ein Elternteil bin, das sein Kind in die Schule gibt. Dann erwarte ich etwas anderes: dass mein Kind störungs- und konfliktfrei, möglichst ohne Ängste zu entwickeln, gesehen und seinen Begabungen und Neigungen entsprechend begleitet und gefördert wird.
Warum eskaliert eine Situation?
Jetzt bin ich an dieser Stelle kein Elternteil, sondern die Lehrerin, die ängstliche, zurückhaltende, forsche, interessierte, verspielte, manchmal lustlose und unmotivierte Schülerinnen und Schüler durch einen Lebensabschnitt begleiten, sie dabei unterstützen und ihnen möglichst helfen soll. Und will.
Dabei versuche ich, allen Kindern gerecht zu werden. Dass das schwierig ist, weiß jeder, der schon einmal einen Kindergeburtstag ausgerichtet hat, nur zu gut. Manchmal frage ich mich während der Schulzeit, wie eine Situation eskalieren konnte. Manchmal bekomme ich es nicht mit, weil ich nicht gleichzeitig alle Schülerinnen und Schüler individuell beraten, ihnen Zusatzerklärungen auf den einzelnen Wissensstand angepasst geben und alle vielleicht gerade gedanklich sich an einer ganz anderen Stelle befindlichen oder am Thema uninteressierten Kinder gleichzeitig im Blick behalten kann.
Ganz oft erlebe ich nach Pausen oder auch freieren Unterrichtsphasen, dass Kinder zu mir kommen und mir erzählen, was ein anderes Kind ihnen angetan hat. Ich habe mir angewöhnt zu fragen: „Was hast du denn vorher gemacht?“ In der Regel sind die Kinder sich dann sicher: „nichts“. Was das andere betroffene Kind oft ganz anders sieht: „Du hast mich beleidigt“. „Ja, aber nur, weil du mich vorher beleidigt hast“. Beleidigungen sind in der Regel genauso verletzend wie das Hauen oder Schubsen. Man sieht sie nur nicht.
Manchmal, wenn sich eine Auseinandersetzung überhaupt nicht im Klassenverband regeln lässt, kommen die Streithähne zu mir als Schulleiterin. Es ist dann mehr Zeit und die anderen Kinder werden nicht beim Lernen gestört. Gerade bei diesen größeren Streitereien, die zu mir kommen, stelle ich immer wieder fest, dass der eigentliche Streit meist gar nicht an diesem Morgen entstanden ist, sondern oft schon sehr lange schwelt. Es ist oft wirklich - auch bei bestem Willen - nicht mehr möglich den Ursprung auszumachen.

Eines haben diese Entwirrungen meistens gemeinsam: Wir kommen sehr oft an einen Punkt, an dem mindestens eines der Kinder sagt: „Meine Eltern haben gesagt, dass ich mir nichts gefallen lassen soll. Ich soll mich wehren.“ In der Regel hat das Kind das getan, sich gewehrt. Das geht ganz oft beiden Kindern gleich. Beide haben sich gewehrt. Aus ihrer Sicht.
Ich frage dann oft: „Warum beschwerst du dich jetzt, wenn du dich zunächst gewehrt hast? Wieso sagst du nicht Bescheid, bevor du dich wehrst, zurück beleidigst, zurückhaust oder schubst?“ In der Regel wissen die Kinder darauf keine andere Antwort als „ich lasse mir nichts gefallen“. Ich stimme dieser Überlegung grundsätzlich zu. Allerdings sehe ich dabei ganz klar, dass so kein einziger Konflikt friedlich gelöst wird.
Meine Idee dazu ist es - gerade bei den großen, langfristigen Konflikten - sich aus dem Weg zu gehen. Muss ich denn genau dort spielen, wo das Kind spielt, mit dem ich nicht klarkomme?
Im Zweifel kann ich doch in den Pausen dort sein, wo die Lehrerinnen oder der Lehrer sind, die gerade Aufsicht führen. Dort passieren die wenigsten Konflikte. Sozialkompetenz bedeutet in einer Gesellschaft, auch dann zurechtzukommen, wenn ich nicht mit allem einverstanden bin, was gerade passiert. Dazu kann ich mir Hilfe holen, zum Beispiel von den Lehrer/innen.
Bei all dem, was ich jetzt erzählt habe, weiß ich, dass es auch andere Fälle gibt. Solche, in denen bewusst und rücksichtslos Menschen gequält und erniedrigt werden. In einem solchen Fall muss anders gehandelt werden. Diese Fälle möchte ich hiermit nicht „klein“ reden. Gerade im Grundschulbereich ist die beschriebene Situation – zumindest in meinem Umfeld – die deutlich häufigere Variante. Und vor allem die, bei der ich selbst als beteiligtes Kind und als Berater als Elternteil Einfluss nehmen und die Situation verändern kann.