
Eine Kamera, eine hochauflösende Grafikkarte und schnelle Übertragungswege sind die Grundlagen der Technologie für kluge Windanlagen, die die Firmen von Gary Hilgemann (l.) und Dirk Hartmann (r.) gemeinsam entwickelt haben. © Mahad Theurer
Intelligente Windräder leben länger: Lüner Entwickler mit Pilotprojekt
Künstliche Intelligenz
Zwei Lüner Firmen haben ein System entwickelt, mit dem sie die durchschnittliche Lebensdauer von Windrädern verlängern wollen. In diesem Sommer soll ein Pilotprojekt an der Nordsee starten.
„Windräder halten aktuell etwa 30 Jahre lang, dann müssen sie ausgetauscht werden“, erzählt Dirk Hartmann, Geschäftsleiter der Lüner Firma Compart IT-Solutions. „Der häufigste Grund ist ein Flügelbruch.“
Gemeinsam mit dem Lüner KI-Unternehmen Rebotnix hat die Firma für IT-Vernetzung nun ein System für intelligente Windparks entwickelt. Ziel der Technologie ist, die Haltbarkeit der Windräder um bis zu 6 Jahre zu verlängern. Verschleißerscheinungen sollen frühzeitig erkannt, dokumentiert und an Wartungsteams weitergegeben werden. Dabei soll die Künstliche Intelligenz irgendwann komplett autark arbeiten. Wie das funktionieren kann, haben die Entwickler erklärt.
„Geschwindigkeiten bis zu 300 km/h“
„Man macht sich da kaum Vorstellungen, aber die Rotoren von einem Windrad bewegen sich mit bis zu 300 km/h“, erklärt Gary Hilgemann, CEO von Rebotnix. „Das sind Geschwindigkeiten, bei denen schon leichte Unebenheiten und Reibungen zu starkem Materialverschleiß führen können.“ Bislang sei es so, dass Windräder in regelmäßigen Abständen aufwändig gewartet werden müssten, um solche Unebenheiten zum Beispiel am Rotorkopf ausfindig zu machen. Oder sie würden nicht gefunden und führten zu dauerhaft defekten Rotoren.
Ein Verantwortlicher des Energieversorgers „EWE“ aus Oldenburg, der selbst etliche Windparks betreibt, sei an Dirk Hartmann herangetreten und hätte gefragt, ob es dafür keine effektivere Lösung gäbe. Nach kurzer Überlegung hätte Hartmann Rebotnix kontaktiert. Gemeinsam haben sie ein Wartungs- und Erfassungssystem entworfen, dass vor allem mit Kamerabildern arbeitet.

So könnte die künstliche Intelligenz ein Windrad später sehen. Untersucht wird die Bewegung der Rotorblätter, die Wärmeabgabe der Anlage und weitere Parameter. Bei Anomalien soll direkt ein Wartungstrupp informiert werden. © Rebotnix/Compart IT-Solutions
Die Grundidee des Systems ist: Ein bis zwei Drohnen, ausgestattet mit hochauflösenden Kameras, fliegen festgelegte Routen durch einen Windpark. Die so eingefangenen Videodateien werden dann von der Künstlichen Intelligenz auf mehreren Ebenen überprüft. So können die Bewegungslinien der Rotorblätter bis ins Detail nachvollzogen werden. Kleine Abweichung in den kreisrunden Bewegungen würden bereits auf Unebenheiten im System hinweisen. Auch Infrarot-Aufnahmen entstünden auf diese Weise, um etwaige Überhitzungen frühzeitig zu erkennen.
„Sechsstelliger Verlust bei Windradausfall“
Die Daten würden gespeichert und bei der Feststellung einer Anomalie direkt an einen Wartungstrupp weitergegeben. Dieser könnte dann viel gezielter Reparaturen durchführen, oder die Kameradrohnen dazu nutzen den dokumentierten Schaden nochmal genau zu überprüfen. So könne vermieden werden, dass die Windräder unnötigerweise für längere Wartungsvorgänge vom Netz genommen werden müssen. „Nehmen Sie so ein Windrad mal eine Woche vom Strom, da entsteht ein sechsstelliger finanzieller Verlust“, sagt Dirk Hartmann.
Die KI des Systems ist mit hochpotenten Grafikchips ausgestattet, um noch so kleine Details auf den Bildern zu erkennen und verstehen zu können. Compart IT-Solutions und Rebotnix arbeiteten hierfür mit dem Grafikkartenhersteller Nvidea zusammen, der mit der Grafikkartenreihe GeForce führende Produkte im Bereich PC-Gaming baut.
KI soll selbstständig Lernen
„Die KI wird für die Fehlererkennung trainiert“, erzählt Dirk Hartmann. „Zum Vergleich werden ihr Simulationen von Anomalien oder Defekten gezeigt. Auf lange Sicht soll die KI aber lernen, eigene Fehlerbilder zu erkennen und festzulegen, so dass das System immer präziser wird. Dieser Lernvorgang wird erst von uns begleitet, doch irgendwann läuft das System dann autark.“
Sollte das Pilotprojekt im Sommer glücken, gibt es einen Auftrag über 15.000 Windräder, die mit der Technik ausgestattet werden sollen, so Dirk Hartmann.
Mahad Theurer, geboren 1989 in Witten, ist studierter Musikjournalist, davon abgesehen ist er stark sportbegeistert und wohnt als Schalke-Fan manchmal einfach in der falschen Stadt. Aber Ruhrgebietscharme, den es zu beschreiben gilt, haben Dortmund und Umgebung auch reichlich.
