Reporter Daniel Claeßen kommentiert als "Fretful Father" heute elterlichen Zorn - und wieso er nicht schlimm ist. © Kristina Schröder / Montage Klose

The Fretful Father

Ich könnte meine Kinder an die Wand klatschen – werde es aber niemals tun

Der Überschrift wäre noch ein „natürlich“ hinzuzufügen, aber gewisse Dinge verstehen sich von selbst. Dennoch wundert sich unser Fretful Father immer wieder, wie bedingungslos Liebe sein kann.

Lünen

, 02.09.2021 / Lesedauer: 4 min

Mit „It’s just one of those days“, „Es ist bloß einer dieser Tage“, beginnt das Lied „Break Stuff“ der Band „Limp Bizkit“. Falls sich jemand fragt, warum diese Band den Ruf hat, aggressiv und vulgär zu sein - dieses Lied wäre die passende Antwort darauf. Es geht um ziemlich viele Wörter, die meine Kinder niemals hören dürften (und die sie trotzdem irgendwann hören werden), um noch mehr Wut, und um irgendwas mit einer Kettensäge und einem Gesicht.

Wie ich darauf komme? Weil ich gerade mal wieder einen dieser Tage hatte und beruhigt bin, dass ich damit besser klar komme als der Protagonist von „Break Stuff“. Viel mehr beschäftigt mich, wer dafür verantwortlich ist, dass es einer dieser Tage wurde: meine Kinder nämlich. Wie oft schon habe ich Eltern sagen hören: „Meine Kinder hätte ich heute an die Wand klatschen können.“ Unnötig hinzuzufügen, dass das niemand macht. Zumindest niemand, der Kinder hat und weiß, was das bedeutet.

Das ist die erste Schwierigkeit bei der Materie: „Außenstehenden“ ist schwer zu vermitteln, dass man unfassbar wütend auf jemanden sein kann, ohne dass das für diesen Jemand irgendwelche ernsten Konsequenzen hat. Es ist das Gleiche wie mit dem Kinderkriegen: Du kannst dir Hunderte oder Tausende Erfahrungsberichte durchlesen oder mit zig „Betroffenen“ darüber sprechen - wirklich vorbereiten kann dich nichts. Diese Erfahrungen und diese Gefühle muss jeder selbst erleben. Weshalb mir Menschen, die keine Kinder bekommen können oder wollen, unfassbar leid tun. Aber das ist ein anderes Thema.

Der tägliche Wahnsinn

Zurück zu einem dieser Tage. Hier gibt es eine weitere Schwierigkeit, der Eltern begegnen: Die Kinder mögen der Auslöser für den Gedanken an die spontane Begegnung mit der Wand sein. Der alleinige Grund sind sie aber nicht. In meinem (beziehungsweise unserem, meine Frau macht das schließlich ebenfalls mit) Fall war es so, dass bereits der vorangegangene Tag nicht unbedingt gut war. Er begann damit, durch diverse Etagen des Hauses zu laufen, Klamotten zurecht zu legen, Frühstück zuzubereiten, die Schul- und Kitataschen zu packen und Frisuren zu machen (letzteres gelingt mir nie, aber ich gebe nicht auf).

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Danach gab es Arbeit, für die ich zum Glück bezahlt werde, zwischendurch Mittagessen kochen (es lebe das Home Office!), neue Wäsche waschen, einkaufen, den Großen zum Sport bringen, die Kurze abholen, Wäsche noch mal waschen, weil man sie zu lange in der Maschine gelassen hat, panisch noch mal den Arbeitsrechner hochfahren, weil man drei wichtige Angelegenheiten vergessen hatte, Großen vom Sport abholen, Abendbrot, Zähneputzen, Gute-Nacht-Geschichten vorlesen, Spülmaschine fertig machen, Wäsche aufhängen, Sofa, Bett.

Gefühlt fünf Minuten später klingelt dann der Wecker, und das Ganze geht von vorne los. Mit dem Unterschied, dass die Kinder schlecht gelaunt sind, weil der eine die falsche Hose rausgelegt bekommen hat, die andere nicht das Rollo hochziehen durfte und die Kurze Wurst lieber ohne Brot essen will. Das Ganze schaukelt sich mit meiner schlechten Laune hoch bis hin zur Eskalation, die in gegenseitigen Vorwürfen gipfelt. Das ist nicht schön, vor allem laut (sorry, liebe Nachbarn!), aber immerhin noch gesittet. Ich fürchte, in ein paar Jahren könnten „Limp Bizkit“ aus unseren morgendlichen Diskussionen dann einen neuen Liedtext machen.

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Dieser Tornado aus Wut, Frust und Trotz wirbelt eine knappe Stunde durch alle Etagen, bis die Kinder es irgendwie in die Schule oder Kita geschafft haben. Dann, kurz vor dem Beginn der eigentlichen Arbeit, kommen diese fünf Minuten, in denen man einen Kaffee trinkt und denkt: „Manchmal könnte ich...“

Und das ist ok. Denn Eltern wissen: Nein, wir könnten nie, und wir werden auch nie. Ein Außenstehender wird einwerfen: „Ihr wolltet es doch so!“ Das stimmt. Wir wollten es so, ich wollte es so, exakt so. Ich wusste zwar nicht, worauf ich mich einlasse, aber meine Frau und ich wussten, dass dies der Sinn unseres Lebens sein sollte. Es ist nun mal eine Herausforderung, Kinder zu erziehen, ihnen Grenzen aufzuzeigen, ihnen die Konsequenzen ihres Handelns zu verdeutlichen (und diese Konsequenzen im Ernstfall auch durchzuziehen). Dabei kann es durchaus passieren, dass man die Fassung verliert. Als Erwachsener wie als Kind.

Alles exakt so, wie man es wollte

Und dann kommt sie ins Spiel, diese bedingungslose Liebe, die alles andere in den Schatten stellt. Auch wenn wir uns morgens gezofft haben wie die Kesselflicker (was ja Gott sei Dank nicht die Regel ist), schaue ich mittags sehnsüchtig die Straße entlang, wenn die Kinder aus der Schule kommen (sagte ich schon, dass das Home Office hochleben soll?), und sobald sie mich sehen, rennen sie in meine Arme. Vollkommen egal, was war, dieses eine starke Gefühl relativiert alles und lässt selbst den größten Streit nichtig erscheinen.

Und genau deshalb wissen Eltern, wenn sie den Satz mit den Kindern und der Wand hören, was gemeint ist: Dieser kurze Moment zwischen Wut, vielleicht auch Angst vor Überforderung, und der Erkenntnis, dass alles halb so wild ist, weil das Leben gerade exakt so läuft, wie man es haben wollte. Einer dieser Tage eben. Davon mag es viele geben, aber es gibt zum Glück auch ganz viele andere. Morgen zum Beispiel.

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