Schon seit Beginn des Jahres bestreiken bundesweit Hals-Nasen-Ohren-Ärzte bestimmte ambulante Operationen bei Kindern. Der Anlass ist, dass es seit 2023 weniger Geld dafür gibt. Doch so leicht ist das nicht, sagt unter anderem der Lüner HNO-Arzt Dr. Thorsten Ockermann. „Die Vergütung war schon vorher unwirtschaftlich. Hier geht es um mehr als Geld“, fasst er zusammen und kontert damit Kritiker, die meinen, der Protest würde auf dem Rücken der Kinder ausgetragen. „Nicht der Protest schadet den Kindern. Sondern die Kürzungen“, sagt er und erläutert auch wieso.
Um die Situation zu verstehen, müsse man die Praxis der Ärzteschaft betrachten. Die Operationen, um die es geht, sind Mandelverkleinerungen sowie Eingriffe an den kindlichen Polypen, den Adenoiden, und den Paukenröhrchen. „Diese Eingriffe sind einfach und oft schnell gemacht. Die reine Operationszeit – also die Schnitt-Naht-Zeit – beträgt 10 bis 20 Minuten“, sagt er. Theoretisch hat sich die OP also ambulant ziemlich zügig erledigt. Doch sei der Optimalfall unrealistisch. Und darin liege das ganze – laut Ockermann systemische – Problem.
Die meiste Zeit ist unbezahlt
„Diese Kinderoperationen, wie zum Beispiel die Mandel-Verkleinerung, sind einfach. Aber natürlich trotzdem nicht risikofrei“, sagt er. „Vergütet wird aber nur die Operationszeit. Also um die 15 Minuten.“ Er prangert an, dass es unrealistisch sei, bei der kurzen Schnitt-Naht-Zeit, mehrere dieser Eingriffe in einer Stunde zu realisieren. Zu einer OP gehöre mehr.
Er zählt auf: „Vorbereitung, Aufklärung, die Eincheckprozedur in die Klinik, der Transport vom Patientenzimmer in die OP-Schleuse, die Einleitung der Narkose im OP-Saal, dann die eigentliche OP, danach die Ausleitungszeit der Narkose, das Ausschleusen in den Aufwachraum, der Rücktransport in das Patientenzimmer, die Nachbesprechung und mehr. Das können, wenn man alle Beteiligten einrechnet, mehrere Stunden sein.“
Dazu käme, dass der Operateur für eventuell entstehende Komplikationen, wie zum Beispiel Nachblutungen, auch noch in Bereitschaft sein muss. In dem Fall könne auch immer eine weitere notfallmäßige OP anstehen.
„Unter diesen Gesichtspunkten ist es völlig unrealistisch, mehrere von diesen 15-minütigen Eingriffen in einer Stunde zu machen“, sagt er, „allein die OP-Blockierungszeit beträgt ungefähr eine Stunde.“ Er prangere einen systemischen Denkfehler an.
Kindeswohl an erster Stelle
Die Symbolkraft, die diese Kürzungen für Kinder-Operationen mit sich bringe, sei sein eigentliches Problem. „Uns Ärzten geht es primär nicht um das Geld, sondern darum, Menschen – in dem Fall Kindern – zu helfen. Das geht aber nicht, wenn die Methoden dazu unwirtschaftlich werden und diese Behandlungen dadurch nicht mehr angeboten werden können“, erläutert er.
„Ich finde, jeder sollte für das bezahlt werden, was er leistet. Das ist in der Medizin aktuell nicht so. Und das war es auch vor den Kürzungen und vor den Protesten nicht“, so Ockermann. Seine Kolleginnen und Kollegen hätten absolut Recht mit ihren Forderungen, sagt er, vor allem nicht die niedergelassenen Ärzte. „Es muss sich grundlegend etwas ändern. Sonst sieht es in Zukunft düster aus.“
Denn es handelt sich um wichtige Eingriffe, so Ockermann. Richtig zu hören ist für Kinder, gerade wenn es in Richtung Schulzeit geht unglaublich wichtig. Darunter leidet am Ende auch die Sprachentwicklung und die gesamte geistige Entwicklung. Ein Kind, dass den Lehrer kaum versteht, lernt viel schwerer.
„Diese Kürzungen sind ein Zeichen mangelnden Respekts für eine wichtige Berufsgruppe. Gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Inflation“, sagt er sichtlich betroffen. Wegen der tiefgreifenden Probleme sehe er aktuell kein Ende des Protests. Er erhoffe sich lediglich mehr Aufmerksamkeit für die Lage. Die ganzen Forderungen der Ärzteschaft findet man unter anderem in ihrer Petition auf change.org.
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