Niemand möchte gerne an Heiligabend alleine sein. Die meisten verbringen Weihnachten mit ihren Liebsten. Aber es gibt auch Menschen, die sich aus verschiedenen Gründen einsam fühlen. Zum Beispiel wohnt man weit von der Familie entfernt. Freunde haben an Weihnachten schon etwas vor. Oder verwitwete Menschen haben keine Familie, die sie besuchen können. Milan Gutkowski aus Lünen möchte etwas dagegen tun und Personen, die sich einsam fühlen, helfen. Er hat sich am Dienstagmorgen, 19. Dezember, in der Facebook-Gruppe „Du kommst aus Lünen, wenn...“ zu Wort gemeldet.
„Hallo zusammen, ich habe eine Frage. Gibt es evt. eine - zwei Personen die sich am 24.12.23 einsam fühlen? Falls ja, ich möchte ein festliches Essen kochen und diese einladen. Geplant ist vorher noch ein Film zu gucken und einfach einen schönen Abend zu haben.“ Mit diesen Worten lädt Gutkowski Menschen ein, ihr Weihnachten nicht allein zuhause, sondern mit ihm zusammen zu verbringen.
„Warum eigentlich nicht?“
Milan Gutkowski hat sich schon oft für andere Menschen eingesetzt. „Ich bin Koch und arbeite im Christlichen Jugenddorfwerk Dortmund. Da habe ich bis vor zwei Jahren Köche ausgebildet, jetzt bin ich zu Hauswirtschaften gewechselt.“ Neben seiner Arbeit ist er auch Teil des Clubs der Köche e.V. (CdK). Die Gruppe aus Profiköchen hilft unter anderem, Weihnachtsessen für mehrere hundert Menschen zuzubereiten. „Mir macht diese Arbeit unglaublich viel Spaß“, erzählt Gutkowski.
„Bei diesem Weihnachtsessen haben wir für etwa 400 Menschen gekocht. Und bei diesem Essen hat mich auch eine Kollegin auf die Idee gebracht, selbst Menschen einzuladen.“ Besagte Kollegin habe Gutkowski von ihrem Wunsch erzählt, einsame Menschen an Heiligabend einzuladen. Aus privaten Gründen sei das für sie aber nicht möglich. „Ich schätze ihre Meinung wirklich sehr. Dann habe ich mir das genauer überlegt und schließlich gedacht: Warum mache ich das eigentlich nicht?“
Die Idee wird von den Gruppenmitgliedern sehr gut angenommen. Kommentare wie „Tolle Idee, schön dass du das machst“ oder „Es sollte mehr Menschen geben, die so etwas anbieten“ unterstützen das Vorhaben. Unter den Kommentaren finden sich auch Nutzer, die Milan Gutkowski von anderen Menschen berichten, welche ebenfalls nach einsamen Menschen an Weihnachten suchen.
Jeder fünfte Mensch lebt allein
Denn Einsamkeit ist in Deutschland ein Massenphänomen. Laut dem Bundesamt für Statistik lebte im Jahr 2022 mehr als ein Fünftel der deutschen Bevölkerung in einem Singlehaushalt. Der Anteil an alleinlebenden Menschen betrug 20,1 Prozent. Damit lag der Anteil im Jahr 2022 deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 15,8 Prozent. Europaweit besaß Deutschland den sechstgrößten Anteil an alleinlebenden Menschen. Nur in den Ländern Finnland (22,7 Prozent), Schweden (23,5 Prozent), Dänemark (23,2 Prozent), Litauen (22,7 Prozent) und Estland (21,8 Prozent) wohnten vergleichsweise noch mehr Menschen allein.
Besonders ältere Menschen leben öfter allein. Das Bundesamt für Statistik teilt mit, dass 2022 etwa 32 Prozent der über 65-Jährigen allein lebten. In Deutschland lag der Wert mit 34 Prozent knapp über dem Durchschnitt. In fast allen EU-Staaten lebten 2022 statistisch häufiger Frauen allein als Männer.

Große Resonanz auf Facebook
Dass der Facebook-Post so große Welle schlagen würde, hat Milan Gutkowski dennoch nicht erwartet. „Ich finde gar nicht, dass das eine so besondere Sache ist. Aber ich merke dadurch, wie groß das Thema Einsamkeit ist.“ Für ihn ist das Thema vielschichtig. „Es wird meiner Meinung nach in der Gesellschaft als Tabuthema behandelt. Wer einsam ist, hat versagt. Ich habe das Gefühl, es ist den Leuten weniger peinlich zu sagen, dass sie kein Geld haben und pleite sind, als ihre Einsamkeit zuzugeben.“
Beim Stichwort Geld zeigt er einen Chatverlauf mit einer Frau auf seinem Handy, die sich bei ihm gemeldet hat. Die Frau schildert ihre finanzielle Lage, schreibt, dass sie durch die hohen Preise nicht viel einkaufen kann und deshalb kein richtiges Weihnachten feiern könnte. „Meine Mutter würde sich bestimmt freuen, dass ich das mache“, sagt Gutkowski. „Sie war selbst sehr sozial engagiert und hat zum Beispiel die Hausaufgabenhilfe in Gahmen mitgegründet.“
Geplant sei gar nichts, sagt er. Ihm sind bereits einige Ideen gekommen, die man in kleiner Runde an Heiligabend tun könnte. „Ich würde zum Beispiel sehr gerne etwas kochen oder auch Plätzchen backen .Aber man könnte auch gemeinsam einen Film sehen oder Fußball schauen, wenn die Gäste darauf Lust haben.“ Dass keine Fremden, sondern Gäste zu Besuch kommen, ist ihm sehr wichtig zu betonen. „Für mich sind das ganz klar Gäste, die ich empfangen werde. Und ich richte mich nach meinen Gästen, worauf sie Lust haben. Sei es ein Spiel spielen oder einen Spaziergang draußen zu machen.“ Auch erwartet er nicht, dass seine Gäste Geschenke oder Aufmerksamkeiten mitbringen. „Ich möchte nichts Materielles haben.“
„Wer sich nicht traut, gewinnt nicht“
Gutkowski ist der Meinung, dass die Menschen sich wieder annähern müssen. „Heutzutage ist alles so schnelllebig und unpersönlich geworden. Ich fahre ganz oft mit der Straßenbahn und sehe regelmäßig, dass zum Beispiel ältere Menschen stehen müssen, weil ihnen kein Sitzplatz angeboten wird. Man sollte sich die Frage stellen: Möchte ich selber auch so behandelt werden?“
Er muss an eine Tradition in den slawischen Ländern wie Polen oder in der Ukraine denken. Dort ist es an Weihnachten Brauch, einen zusätzlichen Teller auf dem Tisch sowie einen leeren Sitzplatz herzurichten. Ursprünglich sollte dort ein Verstorbener der Familie sitzen, mittlerweile hat sich der Brauch gewandelt. Jetzt steht der Teller für einen Fremden bereit, der vielleicht am Heiligabend an die Tür klopft und nach einer Unterkunft fragt. „Das finde ich wirklich schön“, sagt Gutkowski. „Das würde ich mir für Deutschland auch wünschen.“
Ob seine Einladung zu einem schönen Weihnachtsfest führen wird und ein paar neue Freundschaften entstehen, darauf ist Milan Gutkowski mehr als gespannt. „Wenn es nicht so gut wird, wie ich hoffe, dann war es halt einen Versuch wert. Aber wer sich nichts traut, kann auch nichts gewinnen.“