Ernste Töne schlagen die Hausärzte in Lünen und Selm an. Viele von ihnen hatten am Protesttag der Apotheker und Ärzte am Mittwoch (15. November) ihre Praxen geschlossen. Sie trafen sich mit ihren medizinischen Fachangestellten in der Weiterbildungsstätte des St. Marien Hospitals, um Probleme und Gestaltungsmöglichkeiten für eine zukunftsfeste Betreuung der Bevölkerung zu
besprechen. Über Notdienste waren ihre Patienten versorgt.
Bisher hätten die hiesigen Ärzte ihren Protest an der Gesundheitspolitik eher leise formuliert. „Man ist es nicht gewohnt, dass wir laut werden“, sagt Dr. Arne Krüger, Vorsitzender des Lüner Ärztevereins. Doch die Uhr ticke, es sei längst nicht mehr fünf vor, sondern nach zwölf. Viele Praxen mit insgesamt 61 Hausärzten arbeiteten längst am Limit. In Lünen und Selm sind zurzeit 10 Arztsitze nicht besetzt. Die Mediziner und Medizinerinnen fehlen in der hausärztlichen Versorgung der beiden Städte mit 111.704 Einwohnern. „Selbst wenn sich neue Ärzte finden, hätten sie kein Personal“, erklärt Krüger gemeinsam mit Matthias Schröder, Hausarzt aus Selm und engagiert im Hausärzteverband. Medizinische Fachangestellte seien schwer zu finden, viele wanderten inzwischen in Krankenhäuser oder zu fachfremden Firmen mit besseren Bedingungen ab.
Ein weiteres Problem steht an: 13 der Fachärzte und Fachärztinnen für Allgemeinmedizin in Lünen und Selm seien 65 Jahre und älter. Sie könnten jederzeit ihre Praxen schließen. Nachwuchs sei zu den aktuellen Konditionen nicht in Sicht.
Weniger Zeit für Patienten

Was es bedeutet, wenn Praxen ohne Nachfolger vom Netz gehen, haben die Lüner erlebt: Ende März dieses Jahres verabschiedeten sich die Allgemeinmediziner Dres. Frank und Katrin Mariß in den Ruhestand. Ende 2021 gab Dr. Elisabeth Meiß ihre Praxis in der Innenstadt ab. Die Patienten wurden zwar von den hiesigen Hausärzten aufgefangen, doch endlos lässt sich das nicht fortsetzen.
„Jeder von uns arbeitet schon deutlich mehr als 40 Stunden“, so Krüger. Die Mehrbelastung der Ärzte schlägt sich in längeren Wartezeiten und kürzeren Arzt-Kontakten aber auch in weniger Hausbesuchen nieder. Viele junge Mediziner wollen nicht mehr Hausarzt werden. „Zu Recht überlegen sich Fachkräfte doppelt, wie man exzellente qualitative Arbeit in solch einem Umfeld leisten und darüber hinaus eigene Familienplanung und die eigene Gesundheitsvorsorge hiermit in Einklang bringen kann“, teilt Krüger mit. Die Gesundheitsversorgung vor Ort drohe den Anschluss zu verlieren.
Zu schaffen macht den Hausärzten außerdem die ausufernde Bürokratie, die geschätzt 60 Werktage an Arbeitszeit in Anspruch nehme. Dazu kämen zeitlich fehlende Spielräume für die nötige Krankenversorgung am Bett der Selmer und Lüner. Seit 1996 sei die Gebührenordnung nicht mehr angepasst worden, trotz der gestiegenen Nebenkosten und „zu recht gestiegenen Lohnkosten der Angestellten“ in den Praxen.
Forderung an Politik
Die Teilnehmenden der Krisensitzung in Lünen fordern einmütig, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann sowie die Verantwortlichen der Krankennkassen und der lokalen Politik vor der Situation nicht länger die Augen verschließen dürfen. „Die Politik sollte nicht länger die hausärztliche Versorgung als Problem ansehen“, heißt es in ihrer Erklärung.
Die Hausärzte und Hausärztinnen mit ihren hochqualifizierten Teams stünden auch vor Ort bereit, sich auf höchstem Qualitätsniveau der Gesundheit aller anzunehmen. „Wir sind nicht das Problem, sondern die Lösung in einem immer komplexer werdenden Gesundheitssystem als Lotse zur Seite zu stehen“, heißt es seitens Teilnehmer. Viele von ihnen haben sich anschließend in den Protestzug in Dortmund eingereiht.
Die ambulante Versorgung ist in Gefahr: Lüner Ärzte und Apotheken schließen am Mittwoch
Hausärzte in Horstmar ziehen wenige Meter weiter: Barrierefreie Praxis im neuen Ärztehaus
Dr. Christian Geiping seit 25 Jahren Hausarzt in Lünen: „Hätte nichts anderes werden wollen“