
© Nigge
Haus an der Ernst-Becker-Straße sieht aus wie eine Burg: Wohnen unter alten Bäumen
Ungewöhnliche Orte
Wie eine Burg wirkt das Haus an der Ernst-Becker-Straße. Nach vorne abgeschottet, geben hinten hohe Fenster den Blick frei auf alte Bäume. Leben in der Natur, mitten in der Stadt.
In der Häuserzeile der Ernst-Becker-Straße fällt ein Gebäude besonders auf. Im Sommer duckt es sich von der Straßenansicht aus unter ein Blätterdach. Aus einem dreiteiligen Gebäudeensemble ragt ein zehn Meter hoher Turm heraus.
Freie Form, keine rechten Winkel und viel Glas, das sogar durch das Dach Licht ins Innere lenkt. Der vielfach preisgekrönte Naturfotograf Klaus Nigge (63) hat sich hier seinen grünen Wohntraum erfüllt. Dafür hat er den Klinkerbau eigenwillig um eine amerikanische Roteiche in seinem Garten herum geplant. Er wollte Bestehendes bewahren und maximale Transparenz zur Natur. „Ein Haus als Spaziergang im Garten“, wie er sagt.
Ausblick auf alten Baumbestand
Diese Wirkung erreicht Klaus Nigge durch hohe, rahmenlose Fenster in jeder Etage. Schräge Nischen bringen Weite und Licht. 20 Meter Holzfensterbänke sind zum Sitzen da. Sie ermöglichen einen unbeschreiblichen Ausblick auf den alten Baumbestand in seinem Garten. Viele der Bäume sind 1933 gepflanzt worden.
Es ist ein Stück naturbelassene Idylle, in der gefiederte Bewohner singen, klopfen und brüten. Ein Eichhörnchen hat seinen Kobel in direkter Sichtweite. Der Baumläufer kommt vorbei. Ein Specht zieht dort regelmäßig Junge groß. Klaus Nigge gelang hier eines seiner für ihn schönsten Naturfotos: Ein junger Specht sitzt auf einem Ast, da schaut ein weiterer aus der Höhle und plötzlich fliegen beide Eltern an.
Selber machen, für den studierten Biologen und Botaniker, der bis heute von Hand spült, ist das ein Lebensprinzip. Schon mit 15 wollte er ein eigenes Haus bauen. Zu den Plänen inspirierte ihn schließlich der Architekt Robert Weiß mit Ideen aus Amerika. Beide engagierten sich in den 80er Jahren für die Grünen im Stadtrat.
Pläne selbst gezeichnet
Während Klaus Nigge auf Fotosafari in Kamtschatka darauf wartete, dass sich der Schneesturm legt, skizzierte er Pläne für sein Haus. Erste handwerkliche Erfahrungen hatte er schon beim Umbau einer Doppelgarage gesammelt. Sie wurde sein Domizil, als er den Wald an der Ernst-Becker-Straße von seiner Großtante Agatha erbte. Das ermöglichte ihm den Start.
1999 begann Klaus Nigge mit den Bauarbeiten. 17.000 Steine hat er selbst von Hand aufeinandergesetzt, die Fenster eingebaut und den Innenausbau gestemmt. Alles in Handarbeit und nach eigener Vorstellung. Ein enormes Projekt.
Nach acht Jahren zog er ein. Bis heute ist der Eingangsbereich von der Straße aus noch nicht fertig. Klaus Nigge hat keinen Druck, aber immer neue Ideen. Fertigwerden ist gar nicht sein Ziel.
Zum Wohnbereich gelangt der Besucher zu dieser Jahreszeit durch einen Raum wie im Regenwald. Er ist sechs Meter hoch und beherbergt mannshohe Baumfarne. Manche sind 40 Jahre alt. Klaus Nigge hat sie aus Sporen selbst gezogen. Sie stammen aus Neuseeland und Tasmanien. In dem Wintergarten hält er sie frostfrei, kühl und feucht. Es ist die „ästhetische Dimension“, die ihn an Baumfarnen fasziniert. Im Sommer kommen sie in den Garten.
Ungewöhnliche Perspektiven
Auffällig sind in dem dreiteiligen Gebäudeensemble die abgeschrägten Winkel. „Hätte ich gewusst, wie viel Arbeit das ist, hätte ich das nicht gemacht“, sagt Klaus Nigge heute. Für die freie Form mussten alle Steine einzeln gesägt werden. Doch gerade sie macht den Charme des Hauses aus, schafft Perspektiven und Blickachsen.
Die unmittelbare Nähe zur Natur will Klaus Nigge auch durch eine ungewöhnliche Idee erreichen: durch Baden in der Baumkrone in einer Outdoor-Wanne auf einem Balkon im ersten Stock. Das Projekt ist noch unvollendet. Allein die Idee sagt viel über das Naturverständnis des Bauherrn aus: Sich geborgen fühlen unter dem Blätterdach des Waldgartens mitten in der Stadt.
Lünen ist eine Stadt mit unterschiedlichen Facetten. Nah dran zu sein an den lokalen Themen, ist eine spannende Aufgabe. Obwohl ich schon lange in Lünen arbeite, gibt es immer noch viel zu entdecken.
